Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Impfen ist die beste Öffnungsst­rategie

Schnelltes­ts, Hygienekon­zepte und Apps reichen nicht aus für eine Rückkehr zur Normalität. Ohne ein besseres Impfkonzep­t droht der Rückfall. Möglichkei­ten gibt es

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Wie nach der ersten Welle ertönt in der Politik ein schwer erträglich­es Konzert aus lauten Rufen nach Lockerunge­n und eindringli­chen Warnungen vor einer erneuten Eskalation der Pandemie. Schürten viele vor einem Jahr die „Corona-app“als große Hoffnung, preisen nun fast die gleichen Vertreter Schnelltes­ts als Allheilmit­tel.

Doch zwei Dinge unterschei­den die Lockerungs­debatte der ersten und der zweiten Welle grundlegen­d. Auf der negativen Seite sind es die Virusmutat­ionen. Sie drohen alle Lockerungs­bemühungen schnell wieder zunichte zu machen.

Die gefährlich­en Virusvaria­nten tragen bislang nicht zufällig allesamt Namen von Nationen, die es mit der Pandemiebe­kämpfung lässig nahmen: Großbritan­nien, Brasilien, Südafrika. Ein Hinweis der

Natur, dass Verdrängen und Selbstüber­schätzung in der Pandemie alles andere als hilfreich ist.

Der zweite Unterschie­d ist ein umso positivere­s Zeichen der Hoffnung: Es gibt Impfstoff und Monat für Monat mehr davon. Die Erfahrung aus einem Jahr Pandemie zeigt, dass es für die Bundesrepu­blik keine bessere Strategie geben kann als Impfen. Zu große Erwartunge­n an Selbsttest­s zu knüpfen ist riskant: Im Vorreiterl­and Österreich drehen sich die Infektions­und Todeszahle­nkurven langsam, aber deutlich Richtung dritte Welle.

Wer ein internatio­nales Vorbild sucht, schaut zwar gerne auf Israel. Doch das Land hat auf clevere Weise deutlich mehr Impfstoff bestellen können als andere. Als realistisc­hes Vorbild taugt deshalb ausgerechn­et Großbritan­nien. Es kämpft sowohl mit den Mutationen als auch mit knappem Impfstoff. Das Land setzt vor allem auf den hierzuland­e zu Unrecht in Verruf geratenen Impfstoff von Astrazenec­a.

Die Briten sind nicht nur stolz darauf, dass das Mittel dank langer Coronavire­n-forschung von ihrer

Elite-universitä­t Oxford entwickelt wurde. Vor allem haben die Briten aber ihre Impfungen radikal beschleuni­gt. Sie legen die jeweilige zweite Dosis nicht im Kühlschran­k zurück, sondern verimpfen in einer nationalen Kraftanstr­engung fast Tag und Nacht, was geht, und vertrauen auf Nachschub. Zudem strecken sie die Zeit zwischen der Zweifachim­pfung. Überrasche­nd stieg damit die Wirksamkei­t sogar. Großbritan­nien kann dank wachsenden Impfschutz­es langsam, aber ohne jenes unberechen­bare Risiko wie in Österreich Schritt für Schritt seinen harten Lockdown lockern.

Deutschlan­d ist, wie bei fast allem, was in der Pandemie wichtig wäre, zu langsam, zu umständlic­h und auf Sonderwege fixiert. Die Ständige Impfkommis­sion hat der Impfkampag­ne einen gefährlich­en Bärendiens­t erwiesen, indem sie nicht der europäisch­en Empfehlung gefolgt ist, Astrazenec­a auch für über 65-Jährige zuzulassen.

Gesundheit­sminister Jens Spahn versäumte es sträflich, sich darauf vorzuberei­ten, dass viele Deutsche den Astrazenec­a als zweitklass­ig empfinden könnten, und ließ die Diskussion zunächst einfach laufen. Das Informatio­nsdesaster droht sich in wenigen Wochen zu wiederhole­n, wenn der nächste Impfstoff von Johnson & Johnson zugelassen wird. Eine moderne Aufklärung­sund Impfkampag­ne, die diesen Namen verdient, schuldet der sonst um Selbstmark­eting nie verlegene Cdu-minister bis heute. Der junge Politiker wird immer mehr von einem Teil der Lösung zum Teil des deutschen Problems.

Dabei könnte auch Deutschlan­d mit schnellere­n Impfungen nach britischem Vorbild mit einer „Impfwelle“vor die Infektions­welle kommen. Laut Medizinern sogar bereits zu Ostern. Auch wenn es unpopulär ist, sollte sich die Bundländer-konferenz deshalb mehr über schnellere­s Impfen als Lockerunge­n den Kopf zerbrechen.

Minister Spahn wird immer mehr zum Teil des Problems

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