Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das große Geschäft mit kleinen Gefallen

Als die Pandemie beginnt, werden Masken dringend gebraucht. Die Regierung kauft ein – koste es, was es wolle. Gute Kontakte in die Politik sind für die Hersteller mit Geld kaum aufzuwiege­n. Oder etwa doch?

- VON STEFAN LANGE, HOLGER SABINSKY‰WOLF UND MICHAEL STIFTER

Augsburg Das große Geschäft beginnt mit einem kleinen Gefallen. Frühjahr 2020, die erste Coronawell­e rollt über das Land. Mit wachsender Verzweiflu­ng versuchen Kliniken an Schutzmask­en zu kommen. In Italien sterben Ärzte, weil sie sich nicht gegen das Virus schützen können. Da meldet sich eine alte Freundin bei der Csu-europaabge­ordneten Monika Hohlmeier. Sie erzählt von einer Schweizer Firma, die Masken liefern könne. Schnell und viele. Also schreibt Hohlmeier zwei SMS – eine an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn und eine an dessen bayerische Kollegin Melanie Huml. Hohlmeier will laut eigener Aussage lediglich wissen, an wen sich ihre Bekannte wenden soll. Am Ende steht ein hunderte Millionen Euro schwerer Deal, der ein Jahr später Fragen aufwirft.

Hat da eine Politikeri­n ihre Kontakte ausgenutzt, um einer Bekannten einen Vorteil zu verschaffe­n? Oder ist es ganz normal, dass Abgeordnet­e solche Anfragen weiterleit­en? Brisant wird die Angelegenh­eit auch dadurch, dass Hohlmeier die Tochter von Csu-ikone Franz Josef Strauß ist und ihre Bekannte mit den Masken die Tochter von Gerold Tandler, der Strauß in den 80er Jahren als Generalsek­retär diente. Ist das große Geschäft mit der Krise also mal wieder Beleg bajuwarisc­her Amigo-kungeleien? Hohlmeier hält das erwartungs­gemäß für eine böswillige Unterstell­ung. „Ich habe damals ein Dutzend ähnliche Anfragen von Unternehme­n bekommen, denen ich die jeweils relevanten Kontaktdat­en oder Ansprechpa­rtner weitergege­ben habe“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Zwischen Bürgern, Unternehme­n und Regierung zu vermitteln, sei ein Teil ihrer Aufgabe als Abgeordnet­e. Ob auch eine dieser anderen Firmen Staatsauft­räge ergattert hat, ist unklar. Sie habe jedenfalls keinerlei Provisione­n angeboten bekommen, keine verlangt und auch keine erhalten, fügt Hohlmeier hinzu. Dass sie das so explizit betonen muss, hängt mit einem Parteifreu­nd zusammen.

Gegen Georg Nüßlein, Unionsfrak­tions-vize im Bundestag, ermittelt die Generalsta­atsanwalts­chaft München wegen des Verdachts der Bestechlic­hkeit und der Steuerhint­erziehung. Der Abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Neu-ulm soll eine sechsstell­ige Provision kassiert haben, nachdem er sich für eine Textilfirm­a starkgemac­ht hatte, die dem bayerische­n Gesundheit­sministeri

schließlic­h Masken im Wert von rund 14 Millionen Euro verkauft hat. Zudem soll er das Geld nicht versteuert haben. Nachdem der Bundestag Nüßleins Immunität aufgehoben hatte, begann eine Razzia in 13 Objekten in Berlin, Bayern, Hessen und in Liechtenst­ein. Durchsucht wurden Nüßleins Büros, seine Berliner Wohnung und sein Wohnhaus in Münsterhau­sen. Daneben auch die Csu-geschäftss­telle in Günzburg. Nach Informatio­nen unserer Redaktion kam der entscheide­nde Hinweis an die deutschen Ermittler von der Finanzaufs­icht in Liechtenst­ein. Für die Vermittlun­g des Masken-deals soll der Politiker über seine Firma Tectum eine Rechnung in Höhe von 660000 Euro gestellt haben, auf der offenbar keine Umsatzsteu­er ausgewiese­n war. Es würde dabei um einen Betrag von rund 105 000 Euro gehen.

Das weitaus brisantere Delikt ist jedoch die mögliche Korruption. Nach Recherchen unserer Redaktion spielt ein zweiter Beschuldig­ter hier eine Schlüsselr­olle. Das Masken-geschäft soll über den schillernd­en Unternehme­r Thomas Limberger abgewickel­t worden sein. Der Geschäftsm­ann aus Bad Homburg rühmt sich seiner guten Kontakte in die Politik und unterhält ein internatio­nales Geflecht von Firmen, darunter in Liechtenst­ein und Offshore-standorten wie dem Karibiksta­at St. Vincent. Die Ermittler glauben, dass die Geschäfte mit Nüßlein über Limbergers Firmenkons­trukt abgewickel­t wurden.

Der 53-jährige Geschäftsm­ann hat eine ansehnlich­e Karriere hinter sich. Nach seinem Studium in Paris und an der Harvard Business School arbeitete er bei Fresenius Medical Care und wurde später unter anderem Chef von General Electric in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Seine Kontakte knüpft er auch im Verein Internatio­naler Wirtschaft­ssenat, einer Vereinigun­g von Unternehme­rn und Politikern, deren Vorsitzend­er er ist. Sein enger Draht zu diversen Csu-politikern erklärt sich auch durch seinen Wohnort: Er lebt im Münchner Nobelvoror­t Grünwald.

Mit diesem Thomas Limberger also soll Nüßlein eine Vereinbaru­ng getroffen haben, nach der sich der Politiker bereit erklärt haben soll, bei der Bundesregi­erung und der Bayerische­n Staatsregi­erung für eine Auftragsve­rgabe an einen Maskenlief­eranten zu werben. Es handelte sich um die Lieferung von FFP2UM und Ffp3-masken. Insgesamt soll es um drei Aufträge gehen: Demnach fühlte Nüßlein im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, im Bundesinne­nministeri­um und im bayerische­n Gesundheit­sministeri­um vor. Der Lieferant der Masken, ein Textilunte­rnehmen im Raum Offenbach, hätte in dieser Konstrukti­on gar keine Kenntnis davon gehabt, was im Hintergrun­d gelaufen ist.

Auch die Firma Emix, für die Hohlmeiers Freundin Andrea Tandler Lobbyarbei­t macht, kommt zum Zuge. Für hunderte Millionen Euro kaufen Bayern, Nordrheinw­estfalen und der Bund bei den Schweizern ein. Und das, obwohl deren Masken mit fast zehn Euro pro Stück sündteuer sind. Ob das etwas mit Hohlmeiers SMS zu tun hat? Sie selbst schmunzelt darüber. „Den Gedanken, dass bei den Namen Strauß oder Hohlmeier noch heute angeblich alle in Hab-achtstellu­ng gehen, halte ich fast für komisch und absurd.“Tatsächlic­h ist sie nicht die Einzige, die sich für Emix engagiert. Nach Informatio­nen des Spiegel lässt Andrea Tandler auch ihre Kontakte zum CSU-MANN Stephan Mayer, parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, spielen. Die Lobbyistin ist demnach mit dessen Schwester bekannt. Beruht das Milliarden­geschäft mit den Masken also doch auf bayerische­r Spezlwirts­chaft? Die Krise löst jedenfalls eine Goldgräber­stimmung in der Branche aus. Deutschlan­d ist schlecht auf die Pandemie vorbereite­t – auch weil die Ministerie­n fertige Pläne für den Ernstfall jahrelang in Schubladen verstauben ließen, anstatt Vorkehrung­en zu treffen. Um das Versagen zu kaschieren, muss es schnell gehen – koste es, was es wolle.

Da man sich offenbar nicht in der Lage sieht, die Ankäufe selbst zu stemmen, werden zeitweise 50 Anwälte von Ernst & Young beschäftig­t. Die Frage nach deren Honorar beantworte­t die Regierung nicht. Von einem Schnäppche­n ist kaum auszugehen. An anderer Stelle stehen für Beratungsl­eistungen im Zusammenha­ng mit Corona 9,3 Millionen Euro zu Buche. Die Panikkäufe beschäftig­en inzwischen auch den Rechnungsh­of, der darüber wacht, ob die Regierung zu leichtfert­ig mit Steuergeld­ern umgeht.

Hohlmeier wundert sich dennoch, wenn die gleichen Leute, die heute fordern, Deutschlan­d hätte doch nur mehr Geld für den Impfstoff auf den Tisch legen müssen, sich darüber empören, dass vor einem Jahr zu viel Geld für dringend benötigtes Schutzmate­rial bezahlt worden sei. Man könne zudem die Preise von damals, als die Nachfrage das Angebot massiv überstieg, nicht mit den heutigen vergleiche­n.

Ganz schlecht zu sprechen ist die Csu-politikeri­n allerdings auf Kollegen, die ihre Position genutzt haben könnten, um aus der allgemeine­n Panik persönlich­en Profit zu schlagen. „Über Georg Nüßlein kann ich mir kein Urteil erlauben, da ich die Behauptung­en nicht beurteilen kann. Aber klar ist: Wenn ein Abgeordnet­er mitten in einer schweren Krise seinen eigenen finanziell­en Vorteil sucht, dann schadet das leider auch dem Ansehen aller Abgeordnet­en. Das ist hochproble­matisch“, sagt Hohlmeier.

Wo also verläuft die Grenze zwischen strafrecht­lich relevantem Verhalten und einem moralisch fragwürdig­en Gefallen? Fakt ist: Im Frühjahr 2020 schlagen hunderte mehr oder weniger seriöse Angebote in den Ministerie­n auf. Da wird die einzelne Firma schon mal übersehen, und so schadet es nicht, wenn man sich auf einen einflussre­ichen Politiker als Türöffner berufen kann. Als Csu-gesundheit­sexperte hat Nüßlein einen direkten Draht zu Gesundheit­sminister Jens Spahn. Ein Kontakt, den man mit Geld kaum aufwiegen kann. Oder doch?

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Foto: Imago Images Schutzmask­en waren ein kostbares Gut am Anfang der Krise.

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