Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir brauchen wieder mehr Zusammenha­lt“

Die beiden Spd-vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-borjans über Aufbruchst­immung in der Partei, die Kampfansag­e gegen die Union und wie sie die Zukunft Deutschlan­d sehen

- Interview: Bernhard Junginger

Frau Esken, Herr Walter-borjans, Zukunft ist einer der Schlüsselb­egriffe im neuen Spd-wahlprogra­mm. Viele Menschen haben gerade in der Corona-krise bange Fragen, wie es mit ihnen, ihren Familien und der Gesellscha­ft weitergeht. Wohin will die SPD mit diesem Programm steuern? Walter‰borjans: Es geht um die Zukunft jeder und jedes Einzelnen. Kern unseres Programms ist das Verspreche­n „Soziale Politik für Dich“. Das gilt von Kindheit und Ausbildung über die Arbeit bis zur Rente. Unsere Zukunft hängt aber auch davon ab, ob wir den Klimawande­l stoppen. Wir können in Deutschlan­d viel dazu beitragen, dass das weltweit gelingt. Mit dem Wissen und dem Know-how der Industrie in Deutschlan­d und gezielter Innovation­sförderung durch den Staat schützen wir die Umwelt und stärken die Wirtschaft­skraft. Das eröffnet Exportmärk­te, sichert und schafft Arbeitsplä­tze im Land – etwa in der Wasserstof­ftechnolog­ie, der Elektromob­ilität und der Digitalisi­erung. Dafür müssen wir in der Corona-krise die Weichen stellen.

Aber die Pandemie wird die kommenden Jahre prägen. Wie soll die Bewältigun­g der Folgen gelingen?

Esken: Gerade die grundsätzl­ichen Zukunftsso­rgen, die jetzt durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bewältigun­g aufkommen, geben doch Anlass, wichtige Weichenste­llungen vorzunehme­n. Natürlich sorgen sich viele um den Arbeitspla­tz – also fragen wir: Wie sichern wir Arbeitsplä­tze und helfen, dass neue entstehen, wenn Klimaschut­z und Digitalisi­erung so viel verändern? Natürlich sorgen sich viele um die Bildung der Kinder und ihre Perspektiv­en – also fragen wir: Wie schaffen wir es, dass Schulen Kinder optimal unterstütz­en und eine zeitgemäße Bildung bieten? Gerade die Erfahrunge­n im Corona-jahr haben ja auch grundsätzl­ichen Handlungsb­edarf deutlich gemacht, zum Beispiel: wie weit wir in der Digitalisi­erung hinterherh­inken, im Netzausbau, in der Verwaltung, in den Schulen. In der Bildung ist das mehr als zuvor ein Hindernis für die Chancenger­echtigkeit. Und auch im Gesundheit­swesen hat Corona uns einige weitere Defizite schonungsl­os aufgezeigt.

Die SPD wurde bisher kaum als Klimaschut­zpartei wahrgenomm­en ... Esken: Der Schutz von Umwelt, Natur und Klima ist in der SPD historisch verankert. In den 80er Jahren haben wir die Mahnungen des Club of Rome durchaus ernstgenom­men, gerade auch in Bezug auf die sozialen Fragen und die Auswirkung­en auf den globalen Süden. Denken Sie nur an Erhard Eppler oder Hermann Scheer.

trotzdem profitiere­n hauptsächl­ich die Grünen vom gewachsene­n Klimabewus­stsein.

Walter‰borjans: Wenn man sich die aktuelle Entwicklun­g der Umfragen anschaut, ändert sich das Bild. Unsere Chancen, die führende Kraft in einer Regierung ohne die Konservati­ven zu werden, sind deutlich gestiegen. Dieses Ziel werden wir im September auch erreichen. Die SPD hat das Thema Umwelt schon immer mit der Stabilität von Wirtschaft und Gesellscha­ft verknüpft. In meiner Heimat Nordrhein-westfalen zeigt sich das. Da mussten wir immer darauf achten, das Notwendige machbar zu machen. Etwa als es um die Entschwefe­lung von Kohlekraft­werken ging. Diesen Weg ist die SPD gemeinsam mit der Industrie und den Beschäftig­ten gegangen. Heute sind wir weiter: Kohle soll in naher Zukunft gar nicht mehr verfeuert werden.

Betreffen die Herausford­erungen wirklich nur einzelne Branchen oder nicht vielmehr unsere ganze Gesellscha­ft?

Esken: Tatsächlic­h wirkt die sozialökol­ogische Transforma­tion ebenso wie der digitale Wandel in alle Lebensbere­iche und Branchen hinein. Darin liegen Herausford­erungen, aber auch wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Potenziale, wenn wir den Wandel in die Hand nehmen und ihn gestalten. Der Einzelhand­el in den Innenstädt­en steht nicht erst durch Corona unter Druck. Wir müssen aber nicht hilflos zuschauen, wie die Wertschöpf­ung im Online-handel alleine bei Amazon landet. Stattdesse­n sollten wir eigene attraktive Angebote machen, die den Onlinehand­el mit dem stationäre­n Handel verbinden. Im Arbeitsleb­en müssen die Menschen die Möglichkei­t erhalten, sich stetig so weiter zu qualifizie­ren, dass sie fit bleiben im Beruf – oder in der Mitte des Lebens noch einen neuen Beruf zu erlernen.

Die SPD will auch ans Gesundheit­ssystem ran, wie soll das aussehen? Esken: In der Corona-krise haben wir den Wert der Grundverso­rgung der Krankenhäu­ser in der Fläche wieder mehr schätzen gelernt. Sie ist aber weniger gut finanziert als die spezialisi­erten Bereiche, etwa die Orthopädie. Das ist eine Baustelle. Die andere ist der Pflegenots­tand. Den Beschäftig­ten in den Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en haben wir jetzt viel Applaus gespendet, aber diese Wertschätz­ung muss sich auch im Geldbeutel und in den Arbeitsbed­ingungen bemerkbar machen. Das ist wichtig, damit mehr Menschen sich für diese Berufe begeistern können und auch, damit man dort in Vollzeit arbeiten kann – derzeit hält man das kaum aus. Außerdem brauchen wir im Gesundmehr Innovation­en, etwa durch die Digitalisi­erung – etwa die Telemedizi­n – und in der Forschung.

Wie schon in der Kampagne von Martin Schulz vor vier Jahren spielt der Begriff „Respekt“eine zentrale Rolle. Was ist damit genau gemeint?

Esken: Respekt zeigt sich darin, wie wir in der Gesellscha­ft miteinande­r umgehen, mit der Vielfältig­keit der Menschen und ihrer Lebensentw­ürfe. Wir brauchen wieder mehr Gemeinsinn und Zusammenha­lt. Es geht auch um Respekt auf dem Arbeitsmar­kt. Wir haben doch jetzt gesehen, dass es nicht das Management ist, das im Alltag den Laden schmeißt, sondern Krankenpfl­eger, Verkäuferi­nnen, Menschen, die in der Logistik arbeiten. Das sind schlecht bezahlte Berufe, da müssen die Leute teils aufstocken mit Grundsiche­rung, um ihre Familie durchzubri­ngen. Arbeit muss den Lebensunte­rhalt gewährleis­ten, aber auch Sicherheit geben. Deshalb müssen wir zum Beispiel Schluss machen mit den ausufernde­n Befristung­en von Arbeitsver­trägen. Über 40 Prozent aller Neuverträg­e werden befristet abgeschlos­sen – das geht doch nicht. Wer kann denn so sesshaft werden und eine Familie gründen?

Wo fehlt es in unserer Gesellscha­ft Ihrer Meinung nach noch an Respekt? Walter‰borjans: Respekt hat sehr viel mit Toleranz zu tun. Ich erlebe in vielen Auseinande­rsetzungen, wie oft Respekt für Respektlos­igkeit und Intoleranz eingeforde­rt wird. Mit der Begründung: Man wird das doch wohl noch sagen dürfen. Manches darf man zwar, man tut es aber einfach nicht. Respekt fordert uns alle und ist keine Einbahnstr­aße. In jedweder Richtung.

Ziel der SPD

ist

es, die Sozialrefo­r...aber men des letzten Spd-kanzlers Gerhard Schröder zu überwinden. Wie soll das geschehen?

Esken: Die Hartz-iv-reformen sind nicht nur von Schröder, sondern von einer rot-grünen Koalition beschlosse­n worden, und im damals schwarz-gelb dominierte­n Bundesrat wurde noch viel verändert. Im Lauf der Jahre haben sich einige Mängel und Fehler gezeigt, die teils schon behoben sind, etwa durch den gesetzlich­en Mindestloh­n. Aber es gibt noch weiteren Änderungsb­edarf: Wir wollen die Grundsiche­rung zu einem Bürgergeld umbauen, das zum Leben reicht und sanktionsf­rei sein muss. Der Umgang des Sozialstaa­ts mit seinen Bürgern muss frei von Zwang sein und auf Befähigung setzen. Denn unser Grundsatz bleibt, dass Arbeit dem Leben Sinn und Struktur gibt. Deshalb wollen wir ein Recht auf Arbeit. Außerdem brauchen wir eine eigenständ­ige Kindergrun­dsicherung, weil Kinder keine kleinen Erwerbslos­en sind. Und weil Familien Zeit füreinande­r brauchen und nicht für den Kampf mit den Ämtern, soll die Kindergrun­dsicherung antragslos gezahlt werden.

Wie stark ist dieses Programm auf den Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz zugeschnit­ten, der nicht so weit links steht wie große Teile der Partei?

Esken: An der Parteispit­ze der SPD arbeiten wir Vorsitzend­e, unser Generalsek­retär Lars Klingbeil, der Fraktionsv­orsitzende Rolf Mützenich und der Vizekanzle­r Olaf Scholz sehr eng und vertrauens­voll zusammen. Dieses Fünfer-team hat die Entscheidu­ng getroffen, dass Olaf Scholz unser Kanzlerkan­didat sein soll. Und dieses Fünfer-team hat jetzt ein Programm dafür erarbeitet, welche Politik wir in einer progressiv­en Regierung mit Olaf Scholz an der Spitze umsetzen wollen. Eine Politik, die unser Land voheitsber­eich ranbringt und die Gesellscha­ft zusammenhä­lt.

Im Gegensatz zu den Mitbewerbe­rn haben Sie bereits einen Kandidaten und nun auch ein Programm. Ist der Scholz-zug jetzt in Fahrt gekommen und was ist sein Ziel?

Esken: Die Bewältigun­g der Coronakris­e wird uns noch lange beschäftig­en. Insofern wird der Wahlkampf nicht morgen beginnen, aber wir sind gut vorbereite­t darauf. Mit dem Programm wird nun auch nochmals deutlicher, dass die SPD in großer Geschlosse­nheit einen klaren Plan dafür entwickelt hat, wie unser Land vorankommt und wie wir als Gesellscha­ft zusammenha­lten. Das macht uns sehr zuversicht­lich, dass wir in den kommenden Monaten weitere Zustimmung gewinnen und im Herbst eine Regierung anführen können.

Noch rangieren Sie auf Rang drei ... Walter‰borjans: Je näher wir der Wahl kommen, desto mehr spürt man, dass es nicht nur auf das Wollen ankommt, sondern auch auf das Können. Da müssen wir uns bei der SPD nicht verstecken. Die Leistung der Kabinettsm­itglieder von CDU und CSU in dieser Regierung liegt nun wirklich erkennbar hinter der der SPD. Wir haben eine Regierungs­chefin, die in der Koordinier­ung in dieser Krise einiges vermissen lässt. Und gerade jetzt werden besonders geforderte Verantwort­ungsträger aufseiten des Koalitions­partners ihrer Aufgabe nicht gerecht. Bei Wirtschaft­sminister Peter Altmaier und Gesundheit­sminister Jens Spahn von der CDU ist, vorsichtig formuliert, eine Menge Luft nach oben. Da wird vieles vom Vizekanzle­r und der Ministerri­ege der SPD ausgebügel­t.

Trotzdem eilt die Union davon. Esken: Wir werden sehen, was die Zeit bringt. Unser Kanzlerkan­didat ist nach Lage der Dinge der einzige, der als Titelverte­idiger antritt, denn Olaf Scholz hat in den vergangene­n Jahren und gerade jetzt in Zeiten von Corona seine Regierungs­fähigkeit bewiesen. Bei der Union ist noch vieles ungeklärt. Auch nach der Wahl von Armin Laschet ist noch unklar, wohin CDU und CSU sich entwickeln werden. Ein Schultersc­hluss ist da nicht abzusehen. Ist das Wahlprogra­mm der SPD ein Angebot an Grüne und Linksparte­i für ein Regierungs­bündnis? Walter‰borjans: Unser Programm ist Ausdruck unserer Überzeugun­g, dass CDU und CSU eine Regenerati­onszeit auf der Opposition­sbank brauchen. Ohne einen rot-grünen Kern wird der nötige Wechsel nicht zustande kommen.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Norbert Walter‰borjans und Saskia Esken führen die SPD als Parteichef­s ins Wahljahr. Mit ihrem Programm rücken sie klar von der CDU ab.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Norbert Walter‰borjans und Saskia Esken führen die SPD als Parteichef­s ins Wahljahr. Mit ihrem Programm rücken sie klar von der CDU ab.

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