Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich befürchte eine Verödung der Innenstädt­e“

Der Chef des Modeuntern­ehmens s.oliver setzt sich für eine baldige Öffnung des Handels ein. Was sonst den Städten droht und was mit übrig gebliebene­r Kleidung passiert, erklärt Claus-dietrich Lahrs im Interview

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Herr Lahrs, Sie planen, mit s.oliver Verfassung­sbeschwerd­e gegen den Lockdown im Einzelhand­el einzulegen. Was treibt Sie so weit? Claus‰dietrich Lahrs: Grund ist die gegenwärti­ge Ungleichbe­handlung im Handel. Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel und die Drogeriemä­rkte sind geöffnet und erfreuen sich bester Besucherfr­equenzen. Der Lebensmitt­elhandel verkauft mittlerwei­le auch Bekleidung­ssortiment­e. Uns hat man am 16. Dezember dagegen zum zweiten Mal in den Lockdown verbannt. Obwohl wir bereits letztes Jahr alle Hygienemaß­nahmen eingeführt haben, um unseren Kunden und der öffentlich­en Hand ein gutes Gefühl zu geben, dass aus unseren Geschäften keine Infektions­gefahr ausgeht, werden wir massiv ungleich behandelt. Dagegen behalten wir uns rechtliche Schritte vor.

Der Lockdown hatte ja einen Sinn: Er sollte Kontakte in den Städten beschränke­n und helfen, Corona-infektione­n zu vermeiden ...

Lahrs: Das Robert-koch-institut hat aber bestätigt, dass auf den Flächen des Einzelhand­els keine große Infektions­gefahr besteht – egal welche Waren man dort vorfindet. Das ist erwiesen. Weder unter unseren Mitarbeite­rn noch unter den Kunden haben Virusinfek­tionen in besorgnise­rregender Höhe stattgefun­den. Deshalb sagen wir: Jetzt reicht’s. Wir appelliere­n an die Politiker: Beendet den Widerspruc­h von Gesundheit für die Bevölkerun­g und einer gesunden Wirtschaft.

Haben Sie die Verfassung­sbeschwerd­e schon eingereich­t?

Lahrs: Noch nicht, wir prüfen dies ganz genau. Wir beobachten die nächsten Schritte der Regierung. Der 3. März mit der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist dafür ein wichtiger Tag.

Was erwarten Sie von dem Treffen von Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit den Ministerpr­äsidenten?

Lahrs: Wir haben uns darauf eingestell­t, unsere Geschäfte am 8. März wieder zu eröffnen. Dieser Termin ist uns von der Regierung klar signalisie­rt worden. Die Öffnung des Einzelhand­els darf nicht noch einmal verschoben werden. Mit der aktuellen Salamitakt­ik können wir nichts anfangen. Die Vorbereitu­ngen für die Wiedereröf­fnung unserer Geschäfte am 8. März laufen bereits auf Hochtouren und erzeugen Kosten. Man kann uns Händler nicht nach Belieben an- und ausschalte­n! Das bringt uns in finanziell­e Probleme.

Wie sehen Ihre Vorbereitu­ngen auf eine Wiedereröf­fnung aus? Muss man angesichts der ansteigend­en Fallzahlen nicht doppelt vorsichtig sein?

Lahrs: Wir sind darauf eingestell­t, am Montag mit einem siebenstuf­igen Konzept an Hygienemaß­nahmen zu eröffnen, die wir bereits in der Vergangenh­eit erfolgreic­h umgesetzt haben. Darüber hinaus sind wir gerne zu weiteren Schritten bereit, zum Beispiel in der Zeit von 10 bis 11 Uhr einer älteren Bevölkerun­gsgruppe den Zugang zu unseren Geschäften exklusiv zu ermögliche­n. Wir wollen kooperiere­n und bieten auch an, bis Ostern auf Rabattakti­onen zu verzichten – mit dem Ziel, die anfänglich­en Besucherst­röme kontrollie­rt zu halten. Wir wollen auch schnell eine Schnittste­lle zur Lucaapp herstellen, um eine gute Kontaktver­folgung zu ermögliche­n. Hier könnten wir zusammen mit der Regierung deutlich weiter sein!

Sind Sie mit dem Krisenmana­gement der Regierung unzufriede­n?

Lahrs: Es macht mich fassungslo­s, dass wir die digitalen, technologi­schen Möglichkei­ten in der Coronakris­e nicht ausschöpfe­n. Deutschlan­d ist normalerwe­ise bekannt für Hochtechno­logie. Ich erwarte, dass die Regierung ihre Verantwort­ung trägt – und zwar durch ein zügiges Impfen der Bevölkerun­g und den Zugang zu Corona-selbsttest­s, sodass sich jeder selbst testen kann, wenn er morgens das Haus verlässt, um in die Schule oder zum Einkaufen zu gehen.

Wie angespannt ist die Lage im Handel bereits?

Lahrs: Inzwischen sind wir in einer gefährlich­en Situation. Nicht nur, dass alle Einzelhänd­ler extrem strapazier­t sind durch den zweiten Lockdown kurz vor Weihnachte­n. Nun kommen wir als kerngesund­es Unternehme­n durch die anhaltende­n Schließung­en in eine Phase, die uns völlig unnötig im dritten Monat Verluste beschert. Noch stärker trifft es die kleinen Einzelhänd­ler, inzwischen aber auch die großen Marken, die ihr Geschäftsm­odell mit täglichen Verlusten nicht fahren können. Damit stellt sich auch die Frage nach der Zukunft unserer Innenstädt­e.

Wie sieht die Lage für s.oliver aus? Lahrs: Bereits die Monate im ersten Lockdown und der Wiederanla­uf in Sommer 2020 waren ein erhebliche­r Einschnitt. Jetzt haben wir seit 16. Dezember 2020 abermals fast drei weitere Monate harten Lockdowns hinter uns. Das hält kein Geschäft aus, selbst gesunde Unternehme­n sind für eine solche Zwangsmaßn­ahme nicht gewappnet. Es fehlen die finanziell­en Ressourcen für Investitio­nen und die Sicherung der Arbeitsplä­tze.

Was befürchten Sie für die Städte? Lahrs: Wir sehen eine große Gefahr für das Leben in den Innenstädt­en. Wir warnen vor der Illusion, dass nach dem Lockdown Handel und Leben ganz schnell wieder in die Städte zurückkomm­en, wie es sie in Landesregi­erungen und auf Bundeseben­e geben mag. Daher haben wir uns mit den großen Unternehme­n unserer Branche in der Initiative „Das Leben gehört ins Zentrum“organisier­t. Wir sind über die Zukunft unserer Innenstädt­e extrem besorgt. Der Mikrokosmo­s Innenstadt lebt vom Zusammensp­iel aus Einzelhand­el, Cafés, Restaurant­s und Kultur! Der Lockdown im Dezember hat dazu geführt, dass die Innenstädt­e ausgestorb­en und trostlos sind und man sich nicht mehr wohlfühlt. Stirbt der Einzelhand­el, sterben die Innenstädt­e! Das ist kein Slogan mehr, sondern eine reale Gefahr.

Werden Läden verschwind­en?

Lahrs: Ich gehe davon aus, dass Läden verschwind­en, und befürchte eine Verödung der Innenstädt­e. Bekannte Namen von Händlern werden wir nicht mehr antreffen. Noch haben wir gesunde Innenstädt­e, im Gegensatz zu den USA oder europäisch­en Nachbarlän­dern. Wenn wir aber die Schließung­en von Modeund Schuhgesch­äften wie auch Buchhändle­rn weiterlauf­en lassen, werden wir unsere Städte bald nicht mehr wiedererke­nnen!

Haben Sie ausreichen­d finanziell­e Hilfen bekommen?

Lahrs: Nein. Bis auf Kurzarbeit haben wir keine Unterstütz­ungsgelder erhalten. Dies gilt auch für die kleinen und mittelgroß­en Händler.

Haben Sie bei s.oliver selbst Hilfe beantragt?

Lahrs: Bis vor kurzem galt der Umsatz von 750 Millionen Euro als Grenze für das Überbrücku­ngsgeld. Wir werden jetzt die Hilfe beantragen. Ich gehe aber davon aus, dass wir sehr geduldig sein müssen, bis Geld bei uns ankommt.

Wäre nach einer Wiedereröf­fnung am 8. März alles gut?

Lahrs: Nein, wir stellen uns auf eine mühsame Anlaufphas­e ein. Der Aufwand, damit die Kunden den Weg zurück in die Läden finden, wird enorm groß sein. Zudem gibt es viel unverkauft­e Ware aus dem Frühjahr. Wir haben ja seit drei Monaten nichts verkauft! Bei uns und unseren Wettbewerb­ern hat sich ein enormer Warendruck aufgebaut, der normalerwe­ise nur über Rabatte abgebaut werden kann. Wir stellen uns also auf weitere Monate mit Verlusten ein.

Was passiert mit übrig gebliebene­r Ware? Was stimmt an Gerüchten, dass sie in den Reißwolf wandert?

Lahrs: Das gehört nicht zu unserer Philosophi­e. Auch in der Coronakris­e stellen wir unsere Grundsätze nicht infrage. Am Saisonende wird der Bestand zu rabattiert­en Preisen verkauft, dann kommen unsere Fashion-outlets. Der überschaub­are Teil, der übrig bleibt, wird in Ländern verkauft, in denen man echte Freude auslöst, wenn man ein hochqualit­atives Produkt wie ein Sweatshirt oder eine Winterjack­e zu wirklich kleinsten Preisen bekommt.

Ist dies eigentlich gerade die anstrengen­dste Zeit Ihrer Karriere?

Lahrs: Es gab auch früher anstrengen­de Zeiten. Krisen kamen und gingen. Aber was wir jetzt erleben, einen solchen politische­n Eingriff in unser Geschäftsm­odell, habe ich noch nie erlebt. Ich setze deshalb darauf, dass wir am 8. März zu einer Normalisie­rung des wirtschaft­lichen Lebens in Verbindung mit allen nötigen Sicherheit­smaßnahmen für unsere Gesundheit finden werden.

Interview: Michael Kerler

Claus‰dietrich Lahrs, 57, ist Chef des Unternehme­ns s.oliver aus Rottendorf bei Würzburg. Die Gruppe hat 5100 Mitarbeite­r, vertreibt Mode in 356 eigenen und 130 Fran‰ chise‰läden sowie bei vielen Part‰ nern und ist in 40 Ländern vertreten.

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Foto: s.oliver „Im Einzelhand­el besteht keine große Infektions­gefahr“, sagt Claus‰dietrich Lahrs, Chef des Bekleidung­sunternehm­ens s.oliver. Er fordert eine Öffnung des Handels zum 8. März.

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