Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Europa soll zum Vorreiter der Tech‰regulierun­g werden

Jetzt fordert auch der Bundespräs­ident neue Regeln für Internetpl­attformen wie Facebook, Google oder Twitter

- VON YANNICK DILLINGER

Berlin Welche Verantwort­ung tragen Tech-giganten wie Facebook, Google oder Twitter beim Schutz der Demokratie? Eine große, findet Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier. Deshalb hat sich das Staatsober­haupt am Montag beim elften „Forum Bellevue“der Bertelsman­n Stiftung auch für klare Regeln für die Unternehme­n ausgesproc­hen. Die großen Plattformb­etreiber hätten sich lange gewehrt gegen Kontrolle. Probleme habe man relativier­t oder kleingered­et.

„Regulierun­g wurde lange zum Feind der Freiheit erklärt. Das Gegenteil ist der Fall: Damit Freiheit und Demokratie gewahrt bleiben, braucht es Regeln.“Die sozialen Medien prämierten viel zu oft „die schnelle Lüge – auf Kosten von Vernunft und Wahrheit“. Neue Freiheit brauche neue Verantwort­ung,

„damit der digitale öffentlich­e Raum nicht in Chaos und Selbstzers­törung endet“. Die Demokratie­n der Welt müssten „ihre Verfassthe­it auch im Digitalen sichern, gegen Feinde von innen wie außen“.

Anderthalb Stunden lang diskutiert­e der Bundespräs­ident mit Margrethe Vestager, Eu-kommissari­n für Wettbewerb sowie Vizepräsid­entin und Kommissari­n für Digitales, Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Ludwig-maximilian­s-universitä­t München, und Ben Scott, Geschäftsf­ührer des Usthinktan­ks „Luminate“. Anderthalb Stunden, die Vestager am Ende auf zwei Sätze konzentrie­rte: „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Macht muss zurück zu den Menschen.“Privatsphä­re, Copyright, Hassrede: Es gebe viel zu klären, der Markt regle das nicht von alleine.

Das sehen auch viele Mitarbeite­r der Tech-unternehme­n selbst so, erklärte Nassehi. Er habe mit Facebook-mitarbeite­rn gesprochen: „Das mag naiv klingen, aber viele schienen selbst überrascht zu sein, welche Schäden ihre Entwicklun­gen verursache­n können.“Scott sieht hier eine grundsätzl­iche Diskrepanz zwischen den Chefs der Giganten und deren Arbeitnehm­ern. „Viele Mitarbeite­r wollen nicht auf der dunklen Seite der Geschichte stehen. Sie wollen Gutes bewegen.“

Einig war sich die Runde, dass Europa die transatlan­tische Regulierun­gsoffensiv­e anführen sollte. „Ihr habt die Expertise, die Institutio­nen und die Überzeugun­g“, sagte Scott. Die Biden-regierung müsse erst einmal das „zerstörte Us-system“wieder aufbauen. Eine Regulierun­g von Tech-unternehme­n werde da keine Top-priorität haben. Zumal es in den USA seit Mitte der 90er Jahre ohnehin eine Art Religion rund um das vermeintli­ch freie Netz gebe. Sein Heimatland habe sich immer schwergeta­n mit einem harten Umgang mit der Tech-industrie. Dabei hätte das Land in anderen Industrien doch gesehen, wie schnell Regulierun­gen zu Verbesseru­ngen führen könnten. Er sei sich sicher, dass sich Joe Biden einer europäisch­en Initiative anschließe­n würde.

Doch wie kann Europa zu einer gemeinsame­n Haltung gegenüber den Tech-unternehme­n kommen, wenn etwa Irland von deren Steuergeld­ern profitiert und andere Länder den laschen Umgang mit Hate Speech als gar nicht so dramatisch ansehen? Vestager versuchte, eine klare Antwort zu umschiffen. Es gebe zwar unterschie­dliche Ansätze, aber alle Länder teilten dieselben Sorgen. Begeisteru­ng aufseiten der Tech-chefs erwartet die Expertenru­nde zwar nicht. Wohl aber nachgelage­rte Akzeptanz der Regeln. „Die Unternehme­n werden sich irgendwann anpassen und neue Wege finden, um noch mehr Geld zu verdienen. Das war doch schon immer so“, sagte Ben Scott. Wenn sich eine schlagkräf­tige transatlan­tische Allianz gegenüber Facebook, Google und Co. behaupten könne, dann könne das Internet eines Tages auch wieder zu jenem „Empowermen­t Tool“für Demokratie­n werden, das es einmal gewesen sei.

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Foto: dpa Bundespräs­ident Steinmeier will mehr Handlungsf­ähigkeit des Staats.

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