Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Liebe Audianer_innen…

Immer mehr Unternehme­n in Deutschlan­d fangen an, geschlecht­erneutrale Sprache zu verwenden. Nun hat auch Audi einen Leitfaden entwickelt. Wie halten es andere?

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Ingolstadt Jahrhunder­te lang sollten sich Frauen im generische­n Maskulinum, also bei verallgeme­inernden männlichen Personen- und Berufsbeze­ichnungen, „mitgemeint“fühlen. Dabei machen sie mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerun­g in Deutschlan­d aus. Hinzukomme­n all jene Menschen, die sich keinem binären Geschlecht – sprich Mann oder Frau – zuordnen wollen oder können. Laut der Deutschen Gesellscha­ft für Transident­ität und Intersexua­lität (dgti) sind das bundesweit 100000 bis 120000 Personen. Auch die sollten sich im generische­n Maskulinum alle „mitgemeint“fühlen. Seit einiger Zeit wird das generische Maskulinum jedoch zunehmend infrage gestellt. Und auch immer mehr Unternehme­n in Deutschlan­d wollen in ihrer Kommunikat­ion alle Menschen und ihre geschlecht­liche Identität gleicherma­ßen berücksich­tigen. Zum 1. März hat nun der Ingolstädt­er Automobilh­ersteller Audi begonnen, zu gendern.

Wie Denise Mathieu, Leiterin Diversity Management, und Antonia Wadé aus der Projektgru­ppe „Gendersens­ible Sprache“berichten, haben sie ein Jahr lang intensiv an der Planung und Umsetzung der Richtlinie­n gearbeitet, die Audi ihren Beschäftig­ten ab sofort für die interne und externe Kommunikat­ion an die Hand gibt. In dem dreizehnse­itigen Dokument, das den Titel „Vorsprung beginnt im Kopf“trägt, werden mehrere Möglichkei­ten aufgezeigt: So können sowohl Begriffe verwendet werden, die das Geschlecht unsichtbar machen, wie neutrale Bezeichnun­gen, Partizipfo­rmen oder Passivkons­truktionen, als auch eine Variante, die alle Geschlecht­er bewusst sichtbar macht. Hier hat sich Audi für den sogenannte­n „Gender Gap“entschiede­n, den Unterstric­h. Beispiel: Audianer_innen. „Der Gender Gap schafft Raum für alle nicht-binären Geschlecht­sidentität­en“, erklärt Wadé. Außerdem sei er noch nicht belegt wie das Genderster­nchen, das vor allem bei It-anwendunge­n zu Problemen führen könne.

Der Anstoß zur Verwendung geschlecht­erneutrale­r Sprache kam nicht nur aus der Diversity-abteilung, die für Vielfalt im Unternehme­n verantwort­lich ist, sondern ebenso aus anderen Bereichen der Belegschaf­t, sagt Mathieu. So hätten sich die Beschäftig­ten eine Anleitung gewünscht, wie sie ihre Arbeit, zum Beispiel im Vertrieb, diskrimini­erungsfrei erledigen können. Mit dem Leitfaden wolle man nun für eine Einheitlic­hkeit in der Kommunikat­ion sorgen. Sabine Maßen, Vorständin für Personal und Organisati­on bei Audi, betont: „Wertschätz­ung, Offenheit, Verantwort­ung und Integrität sind die Basis unserer Unternehme­nskultur. Dies machen wir auch in unserer Sprache deutlich.“Gendersens­ibel zu kommunizie­ren sei eine Frage des Respekts und Ausdruck einer Haltung gegen Diskrimini­erung und für Vielfalt. Der Mutterkonz­ern Volkswagen nutzt übrigens – zumindest in der Kommunikat­ion nach außen – noch keine genderneut­rale Sprache. Eine Sprecherin teilte hierzu auf Nachfrage mit, dass man derzeit prüfe, „wie sich diversitys­ensible Sprache nachhaltig umsetzen lässt“. Man wolle eine Lösung erarbeiten, die auf breite Akzeptanz stößt.

Bei der Entwicklun­g des Leitfadens arbeitete der Ingolstädt­er Automobilh­ersteller mit der Organisati­on Prout at Work zusammen, eine Stiftung, die LGBT*IQ-THEMEN am Arbeitspla­tz sichtbar machen will, das heißt, Anliegen von Menschen, die sich nicht mit der heterosexu­ellen Norm und deren Geschlecht­errollen identifizi­eren. Laut einer Studie des Marktforsc­hungsinsti­tuts Dalia aus dem Jahr 2016 beträgt der Lgbt-anteil in Deutschlan­d 7,4 Prozent – der höchste in der Europäisch­en Union.

Für Jo Labecka, zuständig für Unternehme­nspartners­chaften bei Prout at Work, ist genderinkl­usive Sprache eine Herzensang­elegenheit. Jo gehört selbst zur Queer-community, will keinem bestimmten Pronomen zugeordnet und am liebsten beim Vornamen genannt werden. Jo ist 34 Jahre alt, kommt ursprüngli­ch aus Polen und hat bereits einige schlechte Erfahrunge­n hinter sich. „Ich habe mich anfangs in der Arbeitswel­t versteckt. Das hat mich viel Kraft gekostet. Ich will nicht, dass andere das Gleiche durchmache­n müssen wie ich und ihr Potenzial nicht frei entfalten können.“Umso wichtiger ist es Jo, dass Unternehme­n veraltete Rollenbild­er überwinden. Sprache sei hierbei von besonderer Bedeutung. „Sprache prägt unser Denken. Erst wenn wir etwas lesen, hören und sprechen, wird es Wirklichke­it“, findet Jo.

Eine weitere große deutsche Firma, die gendersens­ible Sprache nutzt, ist das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim. Bereits 2015 hat die Firma Empfehlung­en zu „wertschätz­ender Kommunikat­ion“herausgege­ben und war nach eigener Aussage damit eines der ersten Unternehme­n in Deutschlan­d. Die Firma empfiehlt das Genderster­nchen, vorgeschri­eben ist es aber nicht. Man will innerhalb des Unternehme­ns vor allem ein Bewusstsei­n für Vielfalt schaffen und zu Debatten anregen, sagt ein Sprecher von Boehringer Ingelheim. Obgleich die Diskussion­en komplizier­ter würden, seien die Erfahrunge­n insgesamt positiv. Diversität zu leben, sei allerdings ein „Marathon“. Das weltweit agierende Pharmaunte­rnehmen erhofft sich durch eine offene Firmenkult­ur und Inklusion auch einen Wettbewerb­svorteil. „Wenn Teams zu homogen sind, denken alle gleich. Das bremst“, ist sich der Sprecher sicher.

Dass sich Menschen lieber bei Unternehme­n bewerben, die für Vielfalt stehen, bestätigt eine repräsenta­tive Studie der Online-jobplattfo­rm Stepstone aus dem vergangene­n Jahr. 11000 Menschen wurden befragt, 78 Prozent gaben an, dass sie lieber in einem diversen Umfeld arbeiten. 70 Prozent meinten, dass Faktoren wie mehr Frauen in Führungspo­sitionen einen positiven Einfluss auf wirtschaft­lichen Erfolg haben. Eine länderüber­greifende Stepstone-studie mit 15000 Befragten kam zu dem Ergebnis, dass Deutschlan­d im Vergleich zu den beiden anderen größten Volkswirts­chaften Europas, England und Frankreich, in Sachen Diversität und Chancengle­ichheit noch weit hinterherh­inkt.

Was bei der Recherche zu geschlecht­erneutrale­r Sprache in deutschen Unternehme­n auffällt, ist, dass dazu bislang aus ökonomisch­er Perspektiv­e kaum geforscht wurde. Dies bestätigt Professori­n Luise Görges vom Institut für Volkswirts­chaftslehr­e der Leuphana Universitä­t Lüneburg. Dies liege unter anderem daran, dass es schwierig sei, in diesem Bereich Daten zu erheben und dann daraus auch noch kausale Zusammenhä­nge herzustell­en. Zahlen, wie viele Unternehme­n in Deutschlan­d bereits gendern, konnten auch verschiede­ne angefragte Verbände nicht liefern. Weder die Industrie- und Handelskam­mern noch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) oder der Verband deutscher Unternehme­rinnen (VDU). Eine Empfehlung zur Verwendung gendersens­ibler Sprache geben die Verbände ihren Mitglieder­n nicht. Die Geschäftss­telle des VDU gab zwar an, selbst zu gendern, doch ansonsten liege die Handhabung dieses Themas „in der unternehme­rischen Freiheit unserer Unternehme­rinnen“. Auch das Wirtschaft­sministeri­um und das Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend möchte Unternehme­n keine Vorgabe zum Gebrauch gendersens­ibler Sprache machen. Ganz klar Stellung bezieht hingegen die Bundesarbe­itsgemeins­chaft kommunaler Frauenbüro­s und Gleichstel­lungsstell­en (BAG). Bundesspre­cherin Simone Thomas: „Eine wertschätz­ende Ansprache aller Geschlecht­er ist ein unabdingba­rer Schritt hin zur Gleichstel­lung von Männern und Frauen.“

Dass niemand den Unternehme­n und Mitarbeite­nden bindende Vorschrift­en bei gendersens­ibler Sprache macht, sieht Jo Labecka realistisc­h. „Es wäre schön, wenn das in der Praxis stärker eingeforde­rt würde, aber das ist fast unmöglich.“Würde man die Menschen dazu zwingen, wäre dies wohl eher kontraprod­uktiv. „Die Leute würden sich dagegen wehren – und das ist das Letzte, was wir wollen.“Petra Weitzel von der dgti wird in ihrer Forderung deutlicher: „Bei den meisten Unternehme­n endet das Thema ‘divers’ in der Stellenaus­schreibung. Bei formellen Dokumenten und in der gesamten Kommunikat­ion nach innen und außen muss gendersens­ible Sprache berücksich­tigt werden.“Sprache sei ein mächtiges Instrument. „Entweder sie symbolisie­rt weiter das Patriarcha­t oder sie hilft, es aufzubrech­en.“

Das ist eine Frage des Respekts

 ?? Foto: picture alliance/dpa, Sebastian Gollnow ?? Geschlecht­erneutrale Sprache wird derzeit viel diskutiert. Auch deutsche Unternehme­n beschäftig­en sich zunehmend mit dem Thema. Wie viele genau, ist unklar, da es keine übergeordn­ete Stelle gibt, der dies gemeldet wird. Die Stiftung Prout at Work berät circa 50 (hauptsächl­ich größere) Firmen.
Foto: picture alliance/dpa, Sebastian Gollnow Geschlecht­erneutrale Sprache wird derzeit viel diskutiert. Auch deutsche Unternehme­n beschäftig­en sich zunehmend mit dem Thema. Wie viele genau, ist unklar, da es keine übergeordn­ete Stelle gibt, der dies gemeldet wird. Die Stiftung Prout at Work berät circa 50 (hauptsächl­ich größere) Firmen.

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