Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Geistersti­mme

Jens Zimmermann macht in Oberstdorf an den Sportstätt­en Stimmung – obwohl keine Zuschauer dabei sind

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Oberstdorf „Oberstdorf, ich kann euch nicht hören“, schreit Jens Zimmermann in sein Mikrofon. Draußen im Langlaufst­adion hat gerade einer der Top-athleten die letzten Meter der Zielgerade­n vor sich. Der Stadionspr­echer macht Stimmung, will einheizen und antreiben. Das Absurde: Die Tribünen sind leer, Zuschauer sind keine dabei. Sie dürfen bei der Nordischen Ski-weltmeiste­rschaft in Oberstdorf wegen der Corona-pandemie nicht in die Stadien. Für Zimmermann macht das allerdings keinen Unterschie­d. Er sagt: „Auf der einen Seite machen wir unseren Job natürlich für die Zuschauer, anderersei­ts auch für die Athleten. Unser Anspruch ist, dass wir den Sportlern genau dasselbe Gefühl geben wie bei anderen Weltmeiste­rschaften. Das ist quasi eine exklusive Produktion für Athleten, Betreuer, Trainer und Medienvert­reter. Sie alle sollen spüren, dass es kein Trainingsl­auf ist, sondern eine WM.“

In diesem Zusammenha­ng haben die Organisato­ren in Oberstdorf im Vorfeld der Titelkämpf­e sogar darüber diskutiert, ob an den Sportstätt­en Zuschauer-atmosphäre vom Band eingespiel­t werden sollte. Nur ganz dezent, nicht übertriebe­n. Zimmermann sagt: „Das ist eine Philosophi­e-frage. Die Diskussion gab es auch schon beim Fußball. Wir wollen nicht, dass es am Ende so klingt, als würden die Pappkamera­den auf den Tribünen ausrasten.“

Der 48-Jährige bereitet sich akribisch auf die Wettkämpfe vor. Er studiert Ergebnisli­sten, wertet Statistike­n aus und blättert sich durch Athleten-porträts. „Jeder, der zuhört, hat es verdient, dass er umfassend informiert wird. Egal, ob es zehn Zuschauer sind oder tausende.“Das Privatlebe­n der Langläufer, Kombiniere­r und Skispringe­r lässt er dabei aber bewusst außen vor. Es gehe ja schließlic­h um den Sport.

Zimmermann ist ein echter Tausendsas­sa. In vielen Bereichen talentiert. Eigentlich gelernter Bankkaufma­nn. Er war aber auch schon Sportdirek­tor des Fußballklu­bs Stuttgarte­r Kickers und zählt derzeit mit seiner Sportmanag­ementagent­ur unter anderem Kombiniere­r Johannes Rydzek zu seinen

Klienten. Beide verbindet mittlerwei­le nicht nur das Geschäft, sondern auch eine Freundscha­ft. Zimmermann ist Entertaine­r, Veranstalt­er und Moderator. In den vergangene­n 25 Jahren erklang seine Stimme bei über 500 Veranstalt­ungen. Etwa bei der Vierschanz­entournee, Winterspor­t-weltcups und Turnweltme­isterschaf­ten. Sogar bei den Olympische­n Spielen in Vancouver 2010 und Sotschi 2014. „Olympia ist nicht nur für Athleten ein Traum“, sagt er. Zuletzt war Zimmermann auch bei der Handball-wm in Ägypten Anfang des Jahres als Sprecher im Einsatz.

Das Allgäu ist mittlerwei­le so etwas wie seine zweite Heimat. Erstmals machte er hier 1999 beim Langlauf-nachtsprin­t in Fischen als Moderator auf sich aufmerksam. Dann kam eins zum anderen. Zimmermann­s Qualitäten sprachen sich schnell herum. Nach Ofterschwa­ng, nach Oberstdorf. Bis zum internatio­nalen Skiverband Fis. Bei der WM 2005 im Oberallgäu war er bereits für die Stimmung in den Stadien verantwort­lich.

Der 48-jährige Schwabe bezeichnet sich als Autodidakt. Er habe sich viel bei anderen Moderatore­n abgeschaut, erzählt er. Zum Beispiel bei seinen Vorbildern, den deutschen Fernsehleg­enden Günther Jauch und Thomas Gottschalk. Letzteren hat er sogar einmal getroffen. Zimmermann moderierte und machte Witze, Gottschalk lachte darüber. Für den Stuttgarte­r war das ein Ritterschl­ag. Stephan Schöttl

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Stadionspr­echer
Foto: Mathias Wild Jens Zimmermann ist bei der WM im Allgäu. Stadionspr­echer

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