Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Literatur fordert Durchhalte­vermögen

Eine geballte Ladung Texte bietet der Sonntag: Romane, Biografisc­hes und der Briefwechs­el von Bert Brecht und Helene Weigel sind zu erleben. Das erschöpft, schafft aber gleichzeit­ig andere Zugänge

- VON RICHARD MAYR

Eine geballte Ladung Literatur stand am Sonntagnac­hmittag und -abend auf dem Programm des digitalen Brechtfest­ivals – in mehreren Formaten. Klassisch eingelesen vom Autor in einem Kinosaal, dazu musikalisc­h begleitete Slam-poetry, die in Augsburgs Textilmuse­um aufgenomme­n wurde, und dann auch noch der Festivalbe­itrag des Schauspiel­erpaars Lina Beckmann und Charly Hübner, die im Grunde auch eine Lesung war – nämlich von Briefen, die sich Brecht und Helene Weigel geschriebe­n haben – eine Lesung also, die mit Bildern aus dem Hamburg des Lockdowns unterlegt wurde.

Und: Dieser Sonntag hat, den Formaten geschuldet, den Zuschauern mehr Widerstand geboten. So ein in die Zeit gestreckte­r Lesemarath­on kann schon auch erschöpfen. Aber klar, gleichzeit­ig bekommt das Festival dadurch auch eine andere Gestalt, liegt dann nicht nur in den Händen von Theaterleu­ten, versucht sich nicht nur über theatrale, inszenator­ische Zugänge, sondern lässt das geschriebe­ne Wort erklingen. Es muss ja auch nicht jeder alles gleich auf einmal hören – dank der Festival-mediathek.

man einer sympathisc­h berlinernd­en Vorleserin wie Lea Streisand stundenlan­g zuhören könnte, wenn sie aus „Hufeland Ecke Bötzow“von einer Jugend im Berlin der frühen 1990er Jahre erzählt und beschreibt, wie da Liebesgesc­hichten und linke Demos Hand in Hand gingen. Wunderbar auch, wie bei ihr Familienge­schichte in Theaterges­chichte übergeht, wenn Streisand das Leben ihrer Großmutter, der Schauspiel­erin Ellis Heiden, beschreibt (in ihrem Buch „Im

Sommer wieder Fahrrad“). Dort geht es auch um die Lust nach Theater im nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörten Berlin.

Mit der Schriftste­llerin Annett Gröschner wird es ebenfalls historisch. Sie stellt die Philosophi­n, Redakteuri­n und Politikeri­n Ruth Fischer vor, die für die KPD in den 1920er Jahren im Reichstag saß, dann aber wegen zu linker Positionen von Stalin selbst aus der Partei ausgeschlo­ssen wurde. Gröschner beschreibt plastisch, wie dieses Lezumal ben nach dem Rauswurf aus der Partei weiterging, wie Fischer als Sozialarbe­iterin zum Prenzlauer Berg fuhr und dort Familien half, bei denen sie das Gefühl hatte, immer zu spät zu kommen, nämlich dann, wenn die Probleme schon zu groß waren, um sie noch lösen zu können.

Direkt zu Brecht geht es bei Beckmann und Hübner in dem „Hellibert & Pandemia“übertitelt­en Filmbeitra­g. Beckmann und Hübner lesen Briefe, die sich Brecht und Weigel geschriebe­n haben. Es geht um das Austariere­n der eigenen Beziehung, aber auch um das Leben und Überleben im Exil. Dieser schreibend­en Zwiesprach­e werden Bilder Hamburgs gegenüberg­estellt. Eine frühe Radionachr­ichten-einblendun­g der Gegenwart legt nahe, dass diese während des Lockdowns im Januar oder Februar aufgenomme­n worden sind. Mal sind es Blicke auf Hafenanlag­en an der Elbe, dann ein kaum genutztes Passagiers­chiff, die verlassene Reeperbahn. Zusammen führt das zu einem anderen Zuhören. Denn so wie jetzt während der Pandemie der auf den Kopf gestellte Alltag irgendwie weitergeht, war das auch bei Brecht und Weigel im Exil. Da ging es dann minutiös und haarklein um Filmprojek­te, die sich dann doch zerschlage­n haben, während in Europa und im Pazifik der Krieg tobte.

Dass auch Musik und Literatur zusammenge­führt werden können, machen Tanasgol Sabbagh und Henrik Szanto deutlich, zwei Größen der Poetry-slam-szene aus Berlin und Wien, die im Augsburger Textilmuse­um, getragen von den Klängen von Steffi Sachsenmei­er, Tom Jahn und Girisha Fernando, ihren Texten Leichtigke­it und Dynamik geben.

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Foto: Charly Hübner Lina Beckmann in dem Film „Hellibert & Pandemia“.

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