Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Finanzbeamter spielt Robin Hood und landet vor Gericht
Ein Experte hat bei Steuererklärungen von Nachbarn und Bekannten getrickst, um ihnen etwas Gutes zu tun. Im Prozess wird auch eine tragische Geschichte offenbart
Dem Staat ist nachweislich kein größerer, finanzieller Schaden entstanden. Und dennoch hat die Staatsanwaltschaft in Augsburg, die schwabenweit in Fällen von Wirtschaftskriminalität ermittelt, die Ermittlungen übernommen. Ein 52-Jähriger hat in einem Zeitraum von drei Jahren exakt 8671,45 Euro an Steuern hinterzogen. Das gibt er vor Gericht unumwunden zu. Der Kemptener ist der besonders schweren Steuerhinterziehung angeklagt, ihm drohen mehrere Jahre Gefängnis. Als der Angeklagte dem Augsburger Amtsrichter Roland Fink zu Prozessbeginn seinen Beruf nennen soll, wird auch klar warum.
Der etwas füllige Mann, der das Hemd über der Hose trägt, ist Finanzbeamter, inzwischen im Ruhestand. Ludwig S. (Name geändert) habe sich offenbar wie Robin Hood gefühlt, den Reichen nehmen, den Armen geben, wird später Ankläger Andreas Breitschaft die Aussage des geständigen Angeklagten zusammenfassen.
So hat der Finanzbeamte eingereichte Steuererklärungen abgeändert, absetzbare Ausgaben erfunden und das Finanzamt dann angewiesen Gelder auszuzahlen, auf die die Empfänger keinen Anspruch hatten: Sie waren Nachbarn, Mitglieder seines Fußballvereins, Kneipenbekanntschaften. Mit wenigen Ausnahmen waren es bescheidene Geldbeträge – 19, 31, 95 Euro – die das Finanzamt ihnen rückerstattete. Im Februar 2018 schrieb das Kemptener Finanzamt einem Nachbarn von Ludwig S.: Ihr Einspruch gegen den Steuerbescheid hat sich erledigt. Bemerkenswert an dem Vorgang war, dass der Nachbar gar keinen Einspruch eingelegt hatte. Dennoch wird er sich gefreut haben, dass eine helfende Hand im Amt ihm die angekündigte Steuernachzahlung von 1090 Euro erspart hat.
Die Anklage nennt namentlich nur sechs Bürger, bei denen der Finanzbeamte, wie er selber sagt „ein ums andere Mal ein Auge zugedrückt hat.“Waren es tatsächlich nur sechs? Vieles lasse sich heute nicht mehr genau feststellen, erklärt ein als Zeuge geladener Steuerfahnder. Viele Eingabebögen von Steuerzahlern aus den Jahren 2015 bis 2018 seien nicht mehr auffindbar gewesen. Vielleicht „aus Schlamperei, vielleicht wurden sie weggeworden.“Es bleibt offen.
In seiner Stammkneipe wie im Fußballverein wusste jeder womit der Ludwig, ein verheirateter Familienvater, sein Geld verdient. Er war als „gute Haut“bekannt, immer hilfsbereit, wenn es mal irgendwo hakte. So war der 52-Jährige ein gesuchter Gesprächspartner wenn jemand Ärger mit dem Finanzamt hatte . Und Ludwig S. versprach der Sache nachzugehen. Bei ihm zu Hause seien jede Menge Belege und handschriftliche Notizen herumgelegen. „Es war Chaos in der Wohnung“, beschreibt der Steuerfahnder seine Eindrücke von der Durchsuchung.
Im Prozess kommt ausführlich auch eine tragische Komponente des Falls zur Sprache. Die Ehe des Finanzbeamten war in dieser Zeit in die Brüche gegangen. Es gab Probleme mit der pubertierenden Tochter. Ludwig S. wurde depressiv, suchte die Kemptener Psychiatrie auf, fing an zu trinken. Ein Selbstmordversuch scheitert. Im Sommer 2018, noch bevor die Wohltaten des Finanzbeamten ans Licht kommen, wird er dauerhaft für arbeitsunfähig erklärt.
Der Staatsanwalt bekennt gegen Prozessende, für ihn seien „die Taten
nicht richtig nachvollziehbar“. Denn Ludwig S. hat von ihnen nachweislich nicht profitiert – zumindest nicht finanziell. Vielleicht verhalfen sie ihm zu jener Anerkennung, die ihm anderswo gefehlt hat. Verteidiger Ralf Schönauer zieht aus alle dem den Schluss, die Taten seines Mandanten würden den Vorwurf der besonders schweren Steuerhinterziehung nicht rechtfertigen. Doch das Gericht bleibt dabei, dennoch fällt die Strafe gnädig aus. Ludwig S. wird zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten verurteilt.
Theoretisch könnte der heute 52-Jährige mit diesem Urteil, sollte er wieder gesund werden, sogar an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren. Außerdem bekommt er einen Bewährungshelfer an die Seite gestellt und muss 240 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das Urteil ist rechtskräftig.