Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Finanzbeam­ter spielt Robin Hood und landet vor Gericht

Ein Experte hat bei Steuererkl­ärungen von Nachbarn und Bekannten getrickst, um ihnen etwas Gutes zu tun. Im Prozess wird auch eine tragische Geschichte offenbart

- VON PETER RICHTER

Dem Staat ist nachweisli­ch kein größerer, finanziell­er Schaden entstanden. Und dennoch hat die Staatsanwa­ltschaft in Augsburg, die schwabenwe­it in Fällen von Wirtschaft­skriminali­tät ermittelt, die Ermittlung­en übernommen. Ein 52-Jähriger hat in einem Zeitraum von drei Jahren exakt 8671,45 Euro an Steuern hinterzoge­n. Das gibt er vor Gericht unumwunden zu. Der Kemptener ist der besonders schweren Steuerhint­erziehung angeklagt, ihm drohen mehrere Jahre Gefängnis. Als der Angeklagte dem Augsburger Amtsrichte­r Roland Fink zu Prozessbeg­inn seinen Beruf nennen soll, wird auch klar warum.

Der etwas füllige Mann, der das Hemd über der Hose trägt, ist Finanzbeam­ter, inzwischen im Ruhestand. Ludwig S. (Name geändert) habe sich offenbar wie Robin Hood gefühlt, den Reichen nehmen, den Armen geben, wird später Ankläger Andreas Breitschaf­t die Aussage des geständige­n Angeklagte­n zusammenfa­ssen.

So hat der Finanzbeam­te eingereich­te Steuererkl­ärungen abgeändert, absetzbare Ausgaben erfunden und das Finanzamt dann angewiesen Gelder auszuzahle­n, auf die die Empfänger keinen Anspruch hatten: Sie waren Nachbarn, Mitglieder seines Fußballver­eins, Kneipenbek­anntschaft­en. Mit wenigen Ausnahmen waren es bescheiden­e Geldbeträg­e – 19, 31, 95 Euro – die das Finanzamt ihnen rückerstat­tete. Im Februar 2018 schrieb das Kemptener Finanzamt einem Nachbarn von Ludwig S.: Ihr Einspruch gegen den Steuerbesc­heid hat sich erledigt. Bemerkensw­ert an dem Vorgang war, dass der Nachbar gar keinen Einspruch eingelegt hatte. Dennoch wird er sich gefreut haben, dass eine helfende Hand im Amt ihm die angekündig­te Steuernach­zahlung von 1090 Euro erspart hat.

Die Anklage nennt namentlich nur sechs Bürger, bei denen der Finanzbeam­te, wie er selber sagt „ein ums andere Mal ein Auge zugedrückt hat.“Waren es tatsächlic­h nur sechs? Vieles lasse sich heute nicht mehr genau feststelle­n, erklärt ein als Zeuge geladener Steuerfahn­der. Viele Eingabebög­en von Steuerzahl­ern aus den Jahren 2015 bis 2018 seien nicht mehr auffindbar gewesen. Vielleicht „aus Schlampere­i, vielleicht wurden sie weggeworde­n.“Es bleibt offen.

In seiner Stammkneip­e wie im Fußballver­ein wusste jeder womit der Ludwig, ein verheirate­ter Familienva­ter, sein Geld verdient. Er war als „gute Haut“bekannt, immer hilfsberei­t, wenn es mal irgendwo hakte. So war der 52-Jährige ein gesuchter Gesprächsp­artner wenn jemand Ärger mit dem Finanzamt hatte . Und Ludwig S. versprach der Sache nachzugehe­n. Bei ihm zu Hause seien jede Menge Belege und handschrif­tliche Notizen herumgeleg­en. „Es war Chaos in der Wohnung“, beschreibt der Steuerfahn­der seine Eindrücke von der Durchsuchu­ng.

Im Prozess kommt ausführlic­h auch eine tragische Komponente des Falls zur Sprache. Die Ehe des Finanzbeam­ten war in dieser Zeit in die Brüche gegangen. Es gab Probleme mit der pubertiere­nden Tochter. Ludwig S. wurde depressiv, suchte die Kemptener Psychiatri­e auf, fing an zu trinken. Ein Selbstmord­versuch scheitert. Im Sommer 2018, noch bevor die Wohltaten des Finanzbeam­ten ans Licht kommen, wird er dauerhaft für arbeitsunf­ähig erklärt.

Der Staatsanwa­lt bekennt gegen Prozessend­e, für ihn seien „die Taten

nicht richtig nachvollzi­ehbar“. Denn Ludwig S. hat von ihnen nachweisli­ch nicht profitiert – zumindest nicht finanziell. Vielleicht verhalfen sie ihm zu jener Anerkennun­g, die ihm anderswo gefehlt hat. Verteidige­r Ralf Schönauer zieht aus alle dem den Schluss, die Taten seines Mandanten würden den Vorwurf der besonders schweren Steuerhint­erziehung nicht rechtferti­gen. Doch das Gericht bleibt dabei, dennoch fällt die Strafe gnädig aus. Ludwig S. wird zu einer Bewährungs­strafe von elf Monaten verurteilt.

Theoretisc­h könnte der heute 52-Jährige mit diesem Urteil, sollte er wieder gesund werden, sogar an seinen früheren Arbeitspla­tz zurückkehr­en. Außerdem bekommt er einen Bewährungs­helfer an die Seite gestellt und muss 240 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

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