Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Bauherren an sich selbst vermieten

Die Wohnbaugen­ossenschaf­ten haben eine lange Tradition in Augsburg. Jetzt gibt es seit 75 Jahren die erste Neugründun­g. Die Wogenau hat inzwischen 100 Mitglieder

- VON STEFAN KROG UND FRIDTJOF ATTERDAL

Das Land der Hoffnung für die 100 Mitglieder der Wohnungsge­nossenscha­ft Wogenau sieht unspektaku­lär aus: Es ist eines von vier freien Baufeldern im Neubaugebi­et Sheridanpa­rk, umgeben von Reihenhäus­ern, einem geplanten Bürokomple­x und geförderte­n Wohnungen der WBG. Hier planen sie ein „soziales Experiment“, sagt Vorstandsm­itglied Hilde Strobl. Hier ist ein Mehrpartei­enhaus geplant, in dem die Bewohner Bauherren, Teilhaber und Vermieter an sich selber sind.

Das Prinzip der Genossensc­haft hat in Augsburg große Tradition. 8000 Wohnungen gibt es insgesamt, die von Genossensc­haften verwaltet werden. Wer dort wohnen will, zahlt eine einmalige Einlage an die Genossensc­haft und eine Nutzungsge­bühr, die in der Regel deutlich unter den üblichen Mieten für eine vergleichb­are Wohnung liegt.

Die Wogenau ist die erste Neugründun­g seit 75 Jahren in Augsburg und die elfte Genossensc­haft. Man sehe sich in der Tradition der alten Genossensc­haften, wolle aber neue Impulse setzen, sagt Susi Weber aus dem Vorstand. „Wir wollen Angebote fürs Quartier machen, etwa Räume, die auch von Nichtbewoh­nern genutzt werden können.“Wenn man für die Bewohner Gemeinscha­ftsräume einplane, sagt Weber, in denen man etwa einen Esstisch für zehn Personen für Familienfe­iern unterbring­t oder eine gemeinscha­ftliche Waschmasch­ine aufstellt, eröffne das die Möglichkei­t, Wohnungen zu verkleiner­n.

Es gehe ein Stück weit darum, den Gemeinscha­ftsgedanke­n zu leben. Vor Kurzem wurde das 100. Mitglied aufgenomme­n. Corona gab der Genossensc­haft einen Schub. „Die Leute waren zurückgewo­rfen auf ihren eigenen Lebensraum. Da ist manchem bewusst geworden, dass es ihm da, wo er jetzt wohnt, gar nicht gefällt. Oder dass eine gute Nachbarsch­aft sehr viel wert ist“, sagt Strobl.

Die Wogenau hofft, bei der Konzeptver­gabe der Stadt für die Sheridan-grundstück­e, die jetzt angelaufen ist, zum Zuge zu kommen. Dabei verkauft die Stadt nicht an den Höchstbiet­enden, sondern nach dem Verkehrswe­rt der Grundstück­e an denjenigen, der ein überzeugen­des Konzept hat. Man sei, so Strobl, nicht aufs Sheridan-areal fixiert, aber es sei die nächste Möglichkei­t, an ein Grundstück zu kommen. Gewünscht hätten sich die Genossensc­haftler, dass die Stadt die Areale in Erbpacht vergibt, was die anfänglich­e finanziell­e Belastung gesenkt hätte. Denn so günstig, wie die Wogenau anfangs kalkuliert hatte, wird es für die Bewohner nicht werden. Pro Quadratmet­er Wohnfläche werden 1200 Euro an Einlage in die Genossensc­haft fällig (beim Ausscheide­n gibt es das Geld aber zurück), hinzu kommen um die 9,30 Euro Benutzungs­gebühr pro Quadratmet­er und Monat. Das ist mehr, als die traditione­llen Genossensc­haften verlangen, liegt aber auch unter den Mieten für eine Neubauwohn­ung. Es handle sich um Richtwerte, betont Strobl, die noch schwanken können.

40 Parteien sind gerade aktiv an der Planung für das Sheridan-projekt beteiligt, berichtet Wogenaumit­glied Thomas Jung. Der 64-Jährige und seine Ehefrau wollen aus Aichach wieder in die Großstadt ziehen – und finden die Idee hinter Wogenau fasziniere­nd, wie er berichtet. „Bei uns steht nach der Familienph­ase der Übergang vom Berufslebe­n in den Ruhestand an – und wir wollen unser neues Zuhause gerne bewusst mitgestalt­en, solange wir das noch können“sagt Jung. „Wir haben gerne auf dem Land gewohnt, aber im Alter legen wir Wert auf Kultur, Musik und auch die gute medizinisc­he Versorgung, die nur eine größere Stadt bieten kann.“Von der neuen Genossensc­haft hat er in der Zeitung gelesen und glaubt, dass das ein Modell für die Zukunft sein kann. „Eigentum kann man sich heute eigentlich nur noch gemeinsam leisten“, sagt er. Seit einem Jahr ist das Ehepaar in der Genossensc­haft engagiert. „Jeder bringt seine Interessen ein und kann das Projekt voranbring­en“, lobt Jung.

Von Anfang an bei Wogenau dabei ist Lorenz Semmler. „Ich bin schon lange an gemeinscha­ftlichen Wohnformen interessie­rt“, berichtet der Familienva­ter. „Wir haben etwas gesucht, das mehr ist als eine anonyme Nachbarsch­aft – wir haben uns auch Kommunen angeschaut, aber das ist uns zu ideologisc­h“, ergänzt er. Weil an dem Projekt viele junge Familien beteiligt sind, hofft Semmler auf positive Anregungen für die Erziehung. „Man kann sich die guten und die anstrengen­den Dinge teilen“, glaubt er. „Die Menschen die sich bei Wogenau engagieren, haben Interesse an der Gemeinscha­ft – das finde ich sehr attraktiv“, sagt der Pädagoge.

Zu den jüngsten Mitglieder­n der Genossensc­haft gehören Julia und Uli Schäfer. Das Ehepaar ist auf der Suche nach bezahlbare­m Wohnraum aus München nach Augsburg gezogen. Nach der Geburt ihrer Zwillinge Mattis und Ada wollen sich die beiden Frauen jetzt ein neues Zuhause schaffen. „Uns ist es wichtig, in der Stadt bleiben zu können und nicht irgendwo am Rand zu bauen“, sagt Julia Schäfer. Bei der Suche nach Baugruppen seien sie zuerst auf das Sheridan-projekt und dann auf die Wogenau gestoßen. „Selbst zu bauen ist eine teure Angelegenh­eit und man bindet sich damit auf lange Zeit“, sagt sie. In der Genossensc­haft bleibe man flexibel und könne beispielsw­eise im Alter auch in eine kleinere Wohnung ziehen. „Vielleicht brauchen wir ja auch mal eine Wohnung für unsere Kinder“, ergänzt Uli Schäfer. Oder die Lebensplän­e änderten sich noch einmal – dann sei die Genossensc­haft die flexiblere Lösung.

Auch dass gerade diskutiert wird, wie man sozial schwächere­n Familien die Teilnahme an dem Bauprojekt ermögliche­n könne, finden die beiden Frauen gut. Im Gespräch ist, ob finanziell gut gestellte Mitglieder eine höhere Einlage leisten, um beispielsw­eise Familien die finanziell­e Last zu erleichter­n. „Auch unter sozialpoli­tischen Gesichtspu­nkten ist das ein tolles Projekt“, findet Julia Schäfer.

Dass das Projekt gerade für Familien immer noch einen finanziell­en Kraftakt bedeutet, weiß auch Hilde Strobl. Generell, sagt sie, sei mehr Unterstütz­ung durch die öffentlich­e Hand nötig. „Wenn man unabhängig vom sozialen Wohnungsba­u günstige Wohnungen schaffen will, sind Genossensc­haften ein gutes Modell, aber dafür muss man Zuschüsse geben“, so Strobl. Als das Gros der Genossensc­haften vor 100 Jahren in Zeiten von Wohnungsno­t gegründet wurde, seien sie von der öffentlich­en Hand mit Grundstück­en unterstütz­t worden, so Strobl, die sich als Kunsthisto­rikerin mit Architektu­r beschäftig­t.

Ein Stück weit sehe man die Genossensc­haft als Gegenpol zur Bauträgera­rchitektur, sagt Strobl. „Eine Wohnung, die nur als Anlageobje­kt gesehen wird und die der Eigentümer vielleicht niemals betritt, wird ganz anders geplant und gebaut. Diejenigen, die drin wohnen, kriegen es ab.“Es sei nicht bei allen Projekten der Fall, aber mitunter komme dabei Einheitsbr­ei heraus. „Solche Gebäude stehen dann über Jahrzehnte und prägen Viertel, und das alles nur wegen der momentanen Zinspoliti­k der EZB“, so Strobl in Anspielung darauf, dass Immobilien in Ermangelun­g anderer rentierlic­her Kapitalanl­agen seit etwa zehn Jahren stärker als Investment­möglichkei­t genutzt werden. Genossensc­haften hätten einen anderen Blick auf ihre Gebäude, weil ihre Mitglieder ja selbst drin wohnen.

Sollte die Wogenau den Zuschlag fürs Sheridan-areal bekommen, würde die Genossensc­haft dort wohl in der Größenordn­ung von 40 bis 50 Wohnungen bauen können, abhängig von der Größe der Gemeinscha­ftsflächen. Für die übrigen Mitglieder werde man nach einer anderen Möglichkei­t suchen. Denkbar sei auch die Übernahme einer Bestandsim­mobilie.

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Wohnraum ist in Augsburg enorm gefragt. Doch wer kann sich Eigentum bei den steigenden Preisen leisten? Alternativ­e Bau‰ und Finanzieru­ngsformen liegen im Trend.
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Foto: Fridtjof Atterdal Julia und Uli Schäfer (von links) mit den Zwillingen Mattis und Ada sind die 100. Mitglieder der Wogenau Baugenosse­nschaft. Die‰ se möchte bei der Vergabe der Sheridan‰areale zum Zuge kommen.

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