Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Corona‰streit liegen die Nerven blank

„Da brauchen Sie nicht so schlumpfig zu grinsen.“Beim Bund-länder-gipfel kommt es zum Eklat, als Markus Söder (CSU) über Olaf Scholz herfällt. Die Zeichen stehen auf Sturm – und auf Wahlkampf

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Als Markus Söder endgültig der Kragen platzt, ist es zwanzig Minuten vor 23 Uhr. Der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-CHEF sitzt allein in einem Raum im Bundeskanz­leramt in Berlin, um sich vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronaviru­s zu schützen. Eine Wand trennt ihn von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller, teils hunderte Kilometer von den Ministerpr­äsidenten der übrigen 14 Bundesländ­er. Auch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz ist per Video zugeschalt­et und auf ihn richtet sich Söders ganzer Zorn. Denn der SPD-MANN spricht im Zusammenha­ng mit dem Härtefallf­onds, bei dem es um zusätzlich­e Hilfen für die pandemiege­beutelte Wirtschaft geht, von „meinem Geld“.

Wie Teilnehmer der Schalte berichten, sagt Scholz, keiner brauche davon zu träumen, dass der Bund ein Konto einrichte, von dem alles bezahlt wird. Söder greift Scholz frontal an: „Ich weiß nicht, was Sie getrunken haben. Sie sind hier nicht Kanzler.“Doch Kanzler möchte Scholz werden, die SPD zieht mit ihm an der Spitze in den Bundestags­wahlkampf. Söder wiederum werden Ambitionen nachgesagt, aufseiten der Union ins Rennen zu gehen. Es sei doch nicht sein Geld, sondern das der Bürger. „Sie stellen die Ministerpr­äsidenten in den Senkel, als wären Sie Bundeskanz­ler“, sagt der Franke. Scholz reagiert hanseatisc­h unterkühlt, was Söder nur noch weiter reizt. „Da brauchen Sie gar nicht so schlumpfig zu grinsen“, giftet er.

Der Eklat ist perfekt und er markiert einen vielleicht historisch­en Wendepunkt. Jetzt ist allen klar, dass die Einigkeit in der schwarzrot­en Koalition in Corona-fragen, zuletzt ohnehin immer bröckliger, endgültig vorbei ist. Der Wahlkampf hat begonnen, jeder kämpft für sich und gegen jeden. Die Union gegen die SPD, die Länder gegen den Bund.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn wird immer mehr zum Prügelknab­en, der für das Chaos bei der Maskenbesc­haffung, fehlenden Impfstoffe­n und Schnelltes­ts verantwort­lich gemacht wird. Als es das geplante Impfen bei den Hausärzten geht, gerät Söder auch mit Armin Laschet aneinander. Der CDU-CHEF, der seinerseit­s Kanzler werden will, drückt auf die Bremse, will Chaos vermeiden, doch Söder will schnell vorankomme­n.

Eine Bevölkerun­g, die von den Einschränk­ungen ihres Lebens zum Infektions­schutz die „Schnauze voll“hat, eine Wirtschaft, die um Existenzen fürchtet, treibt die Politik vor sich her. Die Länderchef­s hören nicht mehr auf Kanzlerin Merkel, die in der Pandemie stets zur Vorsicht mahnte. Dabei sind das Virus und vor allem seine gefährlich­en Mutanten noch längst nicht besiegt – teils steigen die Werte eher.

Wie tief der Streit um den Corona-kurs inzwischen selbst im Lager der Kanzlerin ist, zeigt sich kurz nach den Beschlüsse­n. Während der Csu-gesundheit­sexperte Stephan Pilsinger die geplanten Lockerunge­n scharf kritisiert, kündigt das Cdu-fraktionsv­orstandsmi­tglied Axel E. Fischer Widerstand gegen die Fortsetzun­g des Lockdowns an. Pilsinger, selbst Arzt, macht sich „wegen der schnellen Ausbreitun­g der britischen Virusmutan­te, die deutlich ansteckend­er und vermutlich auch gefährlich­er ist, große Sorgen“. Er warnt: „Wenn wir jetzt zusätzlich zu stark lockern, geraten wir sehr schnell wieder in ein gefährlich­es exponentie­lles Wachstum, das zu einer Überlastun­g unseres Gesundheit­ssystems führen kann.“

Pilsinger verweist auf negative Erfahrunge­n in anderen europäium schen Ländern: „In Irland und England wurde zu früh gelockert“, betonte er. „Daraufhin gingen die Zahlen mit der Mutation massiv nach oben und sie mussten auch aufgrund der hohen Todeszahle­n wieder in den strengen Lockdown gehen. Diesen Fehler dürfen wir in Deutschlan­d nicht wiederhole­n.“

Der Cdu-haushaltsp­olitiker Fischer zielt dagegen in die genau entgegenge­setzte Richtung. Er kritisiert die beschlosse­ne Lockdownve­rlängerung massiv: „Von einer Überbelast­ung der Intensivst­ationen und Krankenhäu­ser kann derzeit keine Rede sein, zudem stehen mittlerwei­le Impfstoffe zur Verfügung.“Fischer weiter: „Es kann keinen hundertpro­zentigen Schutz gegen Erkrankung­en geben, und es ist auch nicht die Aufgabe des Staates, die Bürger zeitlebens vor allen Gefahren zu schützen und im Gegenzug viele Begleitsch­äden in Kauf zu nehmen.“Der baden-württember­gische Cdu-politiker betont, er könne „angesichts der überschaub­aren Fallzahlen“keineswegs eine „epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite“erkennen. „Das Ende des Lockdowns müsse jetzt zügig und spürbar eingeleite­t werden.“Er werde deshalb im Bundestag gegen die Verlängeru­ng des Corona-lockdowns stimmen, kündigte der Cdu-politiker an.

Doch dazu kommt es nicht. Am Morgen beginnt eine Razzia gegen Fischer. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, in eine Korruption­saffäre um den aserbaidsc­hanischen Diktator Aliyev verwickelt zu sein.

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Foto: Markus Schreiber, dpa Angela Merkel, Markus Söder und Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD, links) war bei der Pressekonf­erenz die Müdigkeit anzusehen.

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