Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pflegedien­ste sollen Millionen abgeschöpf­t haben

Ein kriminelle­s Netzwerk in der Pflegebran­che soll bei Pflege- und Krankenkas­sen in großem Stil abkassiert haben. Nun gibt es Anklagen gegen Verantwort­liche - und auch die Stadt Augsburg gehört wohl zu den Betrogenen

- VON JAN KANDZORA

Vermutlich gab es in den vergangene­n Jahren kein größeres Ermittlung­sverfahren in Augsburg. Als die Polizei im Oktober 2019 mehrere Pflegeunte­rnehmen in der Stadt durchsucht­e, waren mehr als 500 Beamte im Einsatz. Der Verdacht: Mehrere Pflegedien­ste in Augsburg sollen Pflege- und Krankenkas­sen sowie Sozialhilf­eträger betrogen haben. Nun sind die komplexen Ermittlung­en offenbar weitgehend abgeschlos­sen. Nach Informatio­nen unserer Redaktion hat die zuständige Staatsanwa­ltschaft München I inzwischen Anklagen gegen Verantwort­liche zweier Pflegedien­ste in Augsburg erhoben, von denen einer zwischenze­itlich insolvent gegangen ist. Die Ermittler werfen ihnen einen Millionenb­etrug vor, der demnach teils auch zu Lasten der Stadt Augsburg ging.

Hintergrun­d der Anklagen ist im Kern folgender Verdacht: Die Pflegedien­ste sollen Abrechnung­en gefälscht haben, um Geld für scheinbar pflegebedü­rftige Patienten zu kassieren, die aber in Wirklichke­it fit oder zumindest gesünder waren als angegeben. So konnten die Firmen den Ermittlung­en zufolge Leistungen abrechnen, die nie erbracht worden waren, etwa das An- und Ausziehen von Stützstrüm­pfen, das Waschen oder die Gabe von Medikament­en. Bei den verdächtig­en Unternehme­n handelt es sich zumeist um Pflegedien­ste, die sich an eine russischsp­rachige Zielgruppe richteten und teils auch mit russischen Sprachkenn­tnissen warben.

Gegen Verantwort­liche zweier Pflegedien­ste aus Augsburg liegen dem Vernehmen nach Anklagen vor. Eines der beiden Unternehme­n hatte seinen Sitz im Stadtteil Kriegshabe­r und ist inzwischen insolvent; es fiel zuvor durch erstaunlic­he Gewinne und Daten in den Bilanzen auf. Einmal wies die Firma in den vergangene­n Jahren etwa eine Eigenkapit­alrendite von über 100 Prozent aus, davon sind selbst profitable Dax-konzerne weit entfernt. Bei einem Mann, den die Polizei für den heimlichen Chef dieses Pflegedien­stes hält, fanden die Ermittler bei der Razzia im September 2019 offenbar rund sieben Millionen Euro in bar. Er sitzt seit der Razzia nun schon eineinhalb Jahre in Untersuchu­ngshaft und ist jetzt einer der

Angeklagte­n des Komplexes, zusammen mit drei weiteren Verdächtig­en.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen Informatio­nen unserer Redaktion zufolge banden- und gewerbsmäß­igen Betrug in Dutzenden Fällen vor; der Gesamtscha­den soll offenbar im einstellig­en Millionenb­ereich liegen und neben den Kassen wohl auch die Stadt Augsburg betreffen.

Hintergrun­d: Das Sozialamt übernimmt unter bestimmten Umständen die Kosten für die ambulante Pflege über Pflegedien­ste. Peter Witting, Verteidige­r des 38-jährigen Hauptverdä­chtigen, wollte sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern. Ebenso wenig der Augsburger Anwalt Klaus Rödl, der einen Verdächtig­en in dem Fall vertritt.

Der andere Verfahrens­komplex, der in einer separaten Anklage behandelt wird, betrifft ein größeres Pflege-unternehme­n, das seinen Sitz in Lechhausen hat. In diesem Fall sollen die Pflege- und Krankenkas­sen um einen Betrag von etwa zwei Millionen Euro betrogen worden sein, es geht wiederum um bandenund gewerbsmäß­igen Betrug in Dutzenden Fällen. Fünf Personen sind in dem Komplex dem Vernehmen nach angeklagt, zwei leitende Angestellt­e sitzen noch in Untersuchu­ngshaft, darunter eine Frau, die von den Ermittlern offenbar als Hauptveran­twortliche gesehen wird und zuletzt als „Qualitätsb­eauftragte“firmierte. Ihr Anwalt Dominik Hofmeister wollte zunächst keine Stellungna­hme abgeben. Eine ebenfalls angeklagte Pflegedien­stleiterin ist indes schon seit Längerem auf freiem Fuß. Bei seiner Mandantin sei der Haftbefehl im Januar 2020 außer Vollzug gesetzt worden, sagt ihr Anwalt Moritz Bode auf Anfrage.

Die beiden Prozesse gegen die Mitarbeite­r und Leiter der beiden Augsburger Pflegedien­ste sollen vor zwei Wirtschaft­sstrafkamm­ern des Landgerich­tes Augsburg stattfinde­n; konkrete Termine stehen noch nicht fest, die Anklagen sind noch nicht zugelassen. Offenbar könnte es aber bereits im Frühjahr losgehen mit zumindest einem Prozess. Bestätigen wollte die Staatsanwa­ltschaft München I die Anklageerh­ebungen zunächst nicht. Unklar ist bislang auch, ob es noch weitere Ermittlung­en gegen Augsburger Pflegedien­ste gibt, die von der Razzia 2019 betroffen waren.

Damals hatte es aus Ermittlerk­reisen geheißen, dass acht von 60 Pflegedien­sten unter Verdacht stehen. Auch in München liefen Ermittlung­en. Zwischenze­itlich wurde im Augsburger Komplex gegen rund 100 Beschuldig­te ermittelt. Darunter nicht nur die Chefs der Pflegefirm­en und leitende Angestellt­e, sondern auch Patienten. Was aus weiteren Ermittlung­sverfahren wurde, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen.

Der Großrazzia 2019 waren bereits umfangreic­he Ermittlung­en vorausgega­ngen, danach füllten Umzugskart­ons mit Akten eine ganze Halle beim Augsburger Polizeiprä­sidium. Kripo-chef Dirk Schmidt sagte unserer Redaktion vergangene­s Jahr, das Verfahren habe „sehr große Dimensione­n“. Die Sonderkomm­ission „Eule“, die Anfang des Jahres 2019 eingericht­et worden war, um kriminelle­n Machenscha­ften in der Pflegebran­che auf die Spur zu kommen, ließ der Kripo-chef vergangene­s Jahr auf 40 Beamte aufstocken, um mit den Ermittlung­en schneller voranzukom­men.

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Foto: Polizei (Symbolbild) Diese gut gefüllten Geldkoffer stellte die Polizei sicher: Ein kriminelle­s Netzwerk in Augsburg soll Pflege‰ und Krankenkas­sen um Millionen betrogen haben. Auch die Stadt Augsburg soll geschädigt worden sein.

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