Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Geht uns der Strom aus?

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien stockt. Doch 2030 wird der Strombedar­f deutlich höher sein, als die Bundesregi­erung derzeit plant, warnt Kerstin Andreae. Die Chefin des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft erklärt auch, wie Strom billige

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Der Ausbau der erneuerbar­en Energien stockt. Doch 2030 werde der Strombedar­f viel höher sein, als die Bundesregi­erung plant, warnt Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft.

Frau Andreae, das Jahr 2020 hat einen Rekord an erneuerbar­en Energien von über 50 Prozent gebracht. Gleichzeit­ig gab es trübe, windstille Wintertage, an denen der Anteil nicht über 20 Prozent hinauskam. Ist so ein Gelingen der Energiewen­de möglich? Kerstin Andreae: Wenn wir den Ausbau der erneuerbar­en Energien konsequent vorantreib­en und alle Potenziale nutzen, dann können diese einen immer größeren Anteil an der Energiever­sorgung übernehmen. Dafür müssen wir Dächer und Freifläche­n für Photovolta­ik nutzen und die Windkraft an Land ausbauen. Es verläuft aktuell viel zu langsam. Wir brauchen einen forcierten Ausbau der Erneuerbar­en, wir brauchen ein klares Bekenntnis der Bundesregi­erung zu stärkeren Ausbauziel­en. Ziele ohne entspreche­nde Flächen, auf denen Projekte realisiert werden können, nützen aber nichts. Dies gilt insbesonde­re bei Wind an Land, dem Packesel der Energiewen­de. Hier muss mehr passieren. Klar ist auch: Wir werden neue, hocheffizi­ente Kraft-wärme-kopplungsa­nlagen brauchen, also Kraftwerke, die zugleich Strom und Wärme produziere­n können. Auch hier geht es aktuell noch zu langsam voran.

Weshalb stockt der Ausbau? Andreae: Es fehlt an ausgewiese­nen Flächen für die erneuerbar­en Energien, die Bürokratie ist ebenfalls ein Hemmschuh. Wir müssen die Genehmigun­gen vereinfach­en, zum Beispiel für das Repowering von Windkrafta­nlagen. Das bedeutet, dass man am Standort eines alten Windrades eine bessere Anlage installier­t, die mehr Strom generieren kann. Der Standort ist ja bereits vorhanden. Nun muss aber der gesamte Genehmigun­gsprozess von vorne durchlaufe­n werden, wenn eine alte Anlage durch eine neue ersetzt wird. Das macht keinen Sinn und verzögert nur oder führt gar dazu, dass die alte Anlage nicht durch eine bessere ersetzt wird.

Autos sollen elektrisch fahren, gleichzeit­ig schaltet Deutschlan­d Kohle und Atomkraft ab. Könnte da nicht der Strom knapp werden?

Andreae: Der Strombedar­f wird signifikan­t höher sein als die 585 Terawattst­unden, von denen die Bundesregi­erung für das Jahr 2030 derzeit ausgeht. Schaut man sich den Energiebed­arf Deutschlan­ds an, entfallen 20 Prozent auf die Stromerzeu­gung, 80 Prozent sind andere Bereiche wie Industrie und Verkehr. Durch die Sektorkopp­lung wird der Strombedar­f stark steigen. Hinter diesem etwas sperrigen Wort steckt der Gedanke, dass im Sinne des Klimaschut­zes Stromerzeu­gung, Verkehr und der Wärmesekto­r verbunden werden, dass also Fahrzeuge mit Strom statt mit Diesel und Benzin fahren oder dass Häuser beispielsw­eise auch mit elektrisch­en Wärmepumpe­n statt mit Öl geheizt werden können. Das alles hat nur Sinn, wenn wir dafür erneuerbar­en Strom nutzen. An einem konsequent­en Ausbau der erneuerbar­en Energien kommen wir also nicht vorbei. Machbar ist das, wir brauchen aber die Flächen, die Genehmigun­gen, die Projekte.

Im Naturschut­z gibt es Kritik, dass Windräder zur Gefahr für Tiere werden. Wie gehen Sie damit um? Andreae: Wir sind in einem intensiven Dialog mit den Naturschut­zverbänden, um ein gemeinsame­s Verständni­s zu entwickeln. Artenschut­z hat das Ziel, eine Art zu schützen. Arten sind aber auch durch den Klimawande­l bedroht. Um gegen diesen anzukämpfe­n, braucht es erneuerbar­e Energien.

Verstehen Sie denn Bedenken in der Bevölkerun­g gegen Windräder und Solarfelde­r?

Andreae: Wir brauchen eine positive Grundstimm­ung in der Bevölkerun­g, die Photovolta­ik auf der Fläche und Windkraft an Land positiv annimmt. Es ist ein großartige­s Zukunftspr­ojekt, eine saubere Energiever­sorgung auf die Beine zu stellen! In den letzten ein, zwei Jahren haben wir zwar Debatten zu Abstandsre­geln zwischen Windkrafta­nlagen und Häusern geführt, aber keine zu Wertschöpf­ung und Jobs durch erneuerbar­e Energien.

Wie stellen wir sicher, dass Strom künftig auch bereitsteh­t, wenn es Nacht ist und der Wind nicht weht? Andreae: Voraussetz­ung für den effiziente­n Einsatz erneuerbar­en Stroms ist der Netzausbau, aber

die Entwicklun­g der Speicherte­chnologien. Der Strom, der nicht direkt genutzt werden kann, muss gespeicher­t werden können und abrufbar sein für spätere Nutzung. Hier müssen wir technologi­eoffen vorgehen. Wir werden viele Speicher brauchen. Große Chancen liegen in der Batteriete­chnik, selbst Elektroaut­o-batterien können als mobile Stromspeic­her verwendet werden, große Hoffnungen liegen auch auf Wasserstof­f. Statt ein Windrad in Norddeutsc­hland abzuschalt­en, wenn es überschüss­igen Strom produziert, könnte damit Wasserstof­f hergestell­t werden, den man später zur Elektrizit­ätserzeugu­ng in einer Brennstoff­zelle nutzen kann. Wir sind noch lange nicht am Ende der technologi­schen Entwicklun­g. Dafür brauchen wir die Unterauch stützung der Politik und einen Rechtsrahm­en. Eine Gefahr ist zum Beispiel die Doppelbela­stung des gespeicher­ten Stroms: Derzeit wird der Strom teurer, wenn er – einmal bei der Einspeisun­g in den Speicher und ein zweites Mal bei der späteren Nutzung – mit Gebühren belegt wird. Das ist doch Unsinn!

Denken Sie, hundert Prozent erneuerbar­e Energien wären möglich? Andreae: Für die Stromverso­rgung: Ja! Die Stromwende ist eingeleite­t, dort geht es hin in Richtung hundert Prozent erneuerbar­er Energie. Im Bereich der Industrie und der Wärmeverso­rgung werden wir weiterhin Gas benötigen. Erdgastech­nologien sind eine Brücke zur Dekarbonis­ierung, nötig für Klimaneutr­alität ist aber der Ersatz des Erdgases durch klimaneutr­ale Gase. Dazu brauchen wir vor allem grünen erneuerbar erzeugten Wasserstof­f.

Woher kann diese Menge an grünem Wasserstof­f kommen?

Andreae: Deutschlan­d wird ein Energie-importeur bleiben, wie derzeit bei Öl und Erdgas. Wir werden in Zukunft zwingend auf europäisch­e und globale Wasserstof­fimporte angewiesen sein. Kürzlich hatten wir im Verband eine internatio­nale Konferenz zu diesem Thema mit Vertretern aus 23 Ländern, alle davon haben Wasserstof­fstrategie­n aufgesetzt, darunter Staaten wie Chile und Australien. Länder mit Meeresküst­en und windreiche­n Regionen eignen sich gut für die Wasserstof­fproduktio­n.

Welche Rolle spielt Deutschlan­d in der Wasserstof­ferzeugung?

Andreae: Deutschlan­d wird seinen Wasserstof­fbedarf nicht nur heimisch decken können. Dies darf uns aber nicht davon abhalten, den Ausbau der Erneuerbar­en voranzutre­iben. Für grünen Wasserstof­f brauchen wir die erneuerbar­en Energien, auch in Deutschlan­d. Um es so zu sagen: Am Anfang von grünem Wasserstof­f steht immer ein Windrad.

Wasserstof­f ist also kein Hype? Andreae: Das Potenzial von Wasserstof­f ist groß, das ist eine unglaublic­he Chance. Mutlosigke­it wäre hier ein Fehler. Wir müssen ambitionie­rt an das Thema rangehen. Die Bundesregi­erung und die EU nehmen hier bereits viel Geld in die Hand. In der Nutzung von Wasserstof­f steckt unglaublic­h viel Potenzial! Dies ist nicht nur ein klimapolit­isches, sondern auch ein industriep­olitisches Thema. Es geht um Elektrolys­eure, den Aufbau zukunftsfä­higer Industrien. Mit Wasserstof­ftechnolog­ie schaffen und sichern wir Jobs! Wir müssen aufpassen, dass uns andere Länder bei Wasserstof­ftechnolog­ien nicht überholen.

Verbrauche­r stöhnen über hohe Strompreis­e. Sehen Sie einen Ausweg? Andreae: Strom muss günstiger werden, damit Klimaschut­ztechnolog­ien wie die Elektromob­ilität oder Wärmepumpe­n für Häuser den Durchbruch schaffen können. Der Strompreis besteht heute zu über 50 Prozent aus staatlich vorgegeben­en Umlagen, Abgaben und Steuern. Klar ist, dass die Umlagefina­nzierung der erneuerbar­en Energien an ihre Grenzen stößt. Ich denke nicht, dass wir die Eeg-umlage statt über den Strompreis ganz aus dem Staatshaus­halt bezahlen können. Zusätzlich sollten die Einnahmen aus der Co2-bepreisung dafür verwendet werden, die wir seit diesem Jahr haben. Pro Tonne CO2 werden 25 Euro fällig, der Betrag wird dann in den Folgejahre­n steigen. Fossile Energieträ­ger wie Öl teurer zu machen, dafür aber die erneuerbar­en Energien zu fördern, das ist ein schlüssige­s Konzept.

Brauchen die erneuerbar­en Energien noch Fördergeld?

Andreae: Es gibt einzelne große Projekte, die sich inzwischen auch ohne Förderung etablieren. Das ist genau der richtige Weg. Für viele kleine dezentrale Projekte zum Beispiel in der Photovolta­ik wird weiterhin eine Anschubfin­anzierung nötig sein.

Interview: Michael Kerler

● Kerstin Andreae wurde am

21. Oktober 1968 in Schramberg, Schwarzwal­d geboren. Die diplo‰ mierte Volkswirti­n saß von 2002 bis 2019 für die Grünen im Bundes‰ tag. Seit 1. November 2019 ist sie Bdew‰chefin. Andreae ist verheira‰ tet und hat drei Kinder.

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Foto: Trutschel/bdew „Strom muss günstiger werden, damit Klimaschut­ztechnolog­ien den Durchbruch schaffen können“, sagt Kerstin Andreae.

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