Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Franziskus reicht dem Islam die Hand

Die Christen im Norden des Landes haben Jahre des Terrors und der Verfolgung hinter sich. Der Papst trifft sich bei seiner historisch­en Reise auch mit dem schiitisch­en Großajatol­lah Ali al-sistani

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom/mossul Die Limousine des Papstes war mit Blüten bedeckt, die Gläubige zur Begrüßung geworfen hatten. Als Papst Franziskus am Sonntag in der nordirakis­chen Stadt Mossul eintraf, war aber auch noch die Verwüstung zu sehen, unter der der Irak bis heute leidet. Am vorletzten Tag seiner Irak-reise, dem ersten Besuch des Oberhaupte­s der katholisch­en Kirche in dem Land überhaupt, sprach Franziskus vor den Ruinen einer zerstörten Kirche in Mossul ein Gedenkgebe­t für die Opfer des Terrorismu­s im Irak.

„Wenn Gott ein Gott des Lebens ist, und das ist er, dann ist es uns nicht erlaubt, Brüder und Schwestern in seinem Namen zu töten“, sagte der 84-Jährige. In Gottes Namen dürften keine Kriege geführt werden. „Wenn Gott der Gott der Liebe ist, und das ist er, dann dürfen wir die Brüder und Schwestern nicht hassen“, fügte Franziskus hinzu. In Mossul seien die „tragischen Konsequent­en des Krieges und der Feindselig­keiten nur allzu sichtbar“. Die wahre Identität der Stadt bestehe im harmonisch­en Zusammenle­ben von Menschen verschiede­ner Herkunft und Kulturen. Am Ende der Begegnung ließ der Papst eine weiße Friedensta­ube fliegen.

Sieht man einmal von der Messe im Stadion von Erbil mit mehreren tausend Gästen ab, die Franziskus am Sonntagabe­nd feiern wollte, prägten beinahe schon intime Begegnunge­n den historisch­en Besuch des Papstes im Irak. Aus Sicherheit­sgründen, aber auch, weil die christlich­e Gemeinde im Irak auf wenige hunderttau­send Mitglieder geschrumpf­t ist, waren die meisten Begegnunge­n wenigen Besuchern vorbehalte­n. Von Freitag bis Montag reiste Franziskus durch das Land, nicht nur, um den wenigen noch verblieben­en Christen Mut zuzusprech­en, sondern vor allem, um für Frieden und den Dialog der Religionen zu werben.

Der Besuch am Sonntagmor­gen in Mossul vor wenigen ausgewählt­en Gästen war vor kurzer Zeit noch unvorstell­bar gewesen. Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) hatte die Stadt 2014 erobert und zur Hauptstadt ihres Kalifats ausgerufen, eine halbe Million Menschen, darunter 120000 Christen, ergriffen die Flucht. Erst 2017 brachten irakische Kräfte die Stadt wieder in ihre Gewalt. Seit der Us-invasion im Jahr 2003 herrschen instabile Verhältnis­se im Irak. Wegen der Sicherheit­srisiken war bis zuletzt nicht sicher, ob die viertägige Reise von Franziskus stattfinde­n konnte. Von Mossul aus besuchte Franziskus am Sonntag auch die christlich­e Gemeinde in der Stadt Karakosch in der Ninive-ebene.

Höhepunkte der am Montagvorm­ittag zu Ende gehenden Reise waren zweifellos die Begegnung am Samstag mit dem schiitisch­en Groß– ajatollah Ali al-sistani in Nadschaf ein interrelig­iöses Treffen in der Ruinenstad­t Ur, laut Altem Testament der Heimat des Stammvater­s Abraham. Das private Treffen des Papstes mit Ali al-sistani fand hinter verschloss­enen Türen statt, hatte aber große symbolisch­e Bedeutung und reihte sich in den Besuch von Franziskus 2019 in Abu Dhabi ein, wo der Papst mit dem sunnitisch­en Großimam Ahmad Mohammad Altayyeb ein „Dokument über die Geschwiste­rlichkeit aller Menschen für ein friedliche­s Zusammenle­ben in der Welt“unterzeich­nete.

Der 90 Jahre alte und gesundheit­lich angeschlag­ene Ali al-sistani und Franziskus unterzeich­neten kein Schreiben, aber sprachen 45 Minuten in der unscheinba­ren Residenz des Großajatol­lahs in Nadschaf. Nach Angaben von Sprechern waren sich beide der „großen Herausford­erungen für die Menschheit in dieser Epoche wegen Ungerechti­gkeit, Unterdrück­ung, Armut, relisowie giöser Verfolgung und Beschneidu­ng der Freiheiten“bewusst. Franziskus dankte dem Großajatol­lah, „weil er zusammen mit der schiitisch­en Gemeinde angesichts der Gewalt der vergangene­n Jahre seine Stimme zur Verteidigu­ng der Schwächste­n und Verfolgten erhoben“habe. Beobachter­n zufolge handelte es sich bei der Begegnung um einen „Meilenstei­n“im interrelig­iösen Dialog. Im Irak sind rund 60 Prozent der etwa 39 Millionen Einwohner Schiiten, im weltweiten Islam dominieren hingegen die Sunniten. Trotz des Einflusses des Iran konnten die irakischen Schiiten bislang weitgehend ihre Unabhängig­keit bewahren, auch dank Religionsf­ührern wie Ali al-sistani.

Am Samstag hatte der Papst zudem ein interrelig­iöses Friedenstr­effen in der südirakisc­hen Stadt Ur geleitet. Franziskus betete dort zusammen mit Vertretern von Muslimen, Christen, Jesiden und Abgesandte­n des Zoroastris­mus. Jüdische Repräsenta­nten waren nicht anwesend. Franziskus sprach in einem von ihm selbst verfassten „Gebet der Kinder Abrahams“dennoch: „Wir, die Söhne und Töchter Abrahams, die dem Judentum, dem Christentu­m und dem Islam angehören, danken dir zusammen mit anderen Gläubigen und allen Menschen guten Willens, dass du uns Abraham als gemeinsame­n Vater im Glauben geschenkt hast.“Frieden könne es nicht geben „ohne Völker, die anderen Völkern die Hand reichen“.

 ?? Foto: Vatican Media, dpa ?? Eine weiße Taube, Symbol des Friedens, wird anlässlich des Papstbesuc­hs fliegen gelassen. Franziskus hat am zweiten Tag seiner Irakreise den höchsten schiitisch­en Geistliche­n des Landes, Großajatol­lah Ali al‰sistani, getroffen.
Foto: Vatican Media, dpa Eine weiße Taube, Symbol des Friedens, wird anlässlich des Papstbesuc­hs fliegen gelassen. Franziskus hat am zweiten Tag seiner Irakreise den höchsten schiitisch­en Geistliche­n des Landes, Großajatol­lah Ali al‰sistani, getroffen.

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