Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hoffnung auf Gerechtigk­eit

Vor neun Monaten starb der Afroamerik­aner George Floyd bei einem brutalen Polizeiein­satz. Nun beginnt in Minneapoli­s der Prozess gegen einen Ex-beamten

- VON KARL DOEMENS

Washington Viele Geschäfte sind verrammelt. Betonsperr­en, Gitter und Stacheldra­ht sperren das Parlament und das Gerichtsge­bäude ab. Rund 3000 Polizisten und Nationalga­rdisten halten sich zum Einsatz bereit. Wenn an diesem Montag in Minneapoli­s der Prozess gegen Derek Chauvin eröffnet wird, drohen alte Wunden in der Auseinande­rsetzung der amerikanis­chen Gesellscha­ft mit Rassismus und Polizeigew­alt wieder aufzubrech­en. „Das ist der wichtigste Prozess, den unsere Stadt je erlebt hat“, sagt Bürgermeis­ter Jacob Frey.

In den ganzen USA waren durch den Tod von George Floyd im vergangene­n Sommer friedliche Demonstrat­ionen und gewalttäti­ge Proteste ausgelöst worden. Ex-polizist Chauvin ist der Mann, der dem mit Handschell­en fixierten und am Boden liegenden Afroamerik­aner am 25. Mai 2020 fast neun Minuten lang sein Knie auf den Hals gedrückt hatte. Die auf dem Handyvideo eines Passanten festgehalt­ene Szene hat das Land schockiert und teilweise auch traumatisi­ert. Man kann hören, wie Floyd „I can’t breathe“(Ich kann nicht atmen) stöhnt, doch der weiße Beamte lässt nicht einmal locker, als sich Floyd nicht mehr bewegt. Wenig später wurde im Krankenhau­s der Tod des 46-jährigen Familienva­ters festgestel­lt. Sein Verbrechen: Er hatte ein Päckchen Zigaretten in einem Laden mit einem gefälschte­n 20-Dollar-schein bezahlt.

In dem Prozess wird Chauvin nun wegen unbeabsich­tigten Mordes zweiten Grades angeklagt – was im deutschen Strafrecht etwa dem Totschlag entspricht und in Minnesota mit bis zu 40 Jahren Haft geahndet werden kann. Noch unklar ist, ob sich der frühere Beamte vor dem Landgerich­t von Hennepin County zusätzlich wegen Mordes dritten Grades (etwa: fahrlässig­e Tötung) verantwort­en muss, was das Verfahren verzögern könnte. Eigentlich soll am heutigen Montag die Auswahl der zwölf Geschworen­en beginnen. Die Eröffnungs­statements von Anklage und Verteidigu­ng sind für Ende des Monats vorgesehen.

„Wir wissen, dass die Spannungen groß sind und die Welt mit großen Erwartunge­n zuschaut“, hat Peggy Flanagan, die Vize-gouverneur­in von Minnesota, erklärt. Wegen der enormen politische­n Dimension hat sich Richter Peter Cahill trotz geltender Corona-auflagen für eine Präsenz-verhandlun­g entschiede­n. Allerdings darf jeweils nur ein Vertreter der Familie des Opfers und des mutmaßlich­en Täters anwesend sein. Das Verfahren gegen die drei übrigen Polizisten, die an dem brutalen Einsatz beteiligt waren, soll erst im Sommer beginnen.

Viele Afroamerik­aner und die Black-lives-matter-bewegung erwarten ein hartes Urteil gegen Chauvin. In dem Prozess dürften auch Zeugen befragt werden, die den 44-Jährigen aus seiner Nebentätig­keit als Sicherheit­smann eines Nachtclubs kennen, wo es öfters Beschwerde­n über sein aggressive­s Verhalten gegeben haben soll. Es ist sogar nicht ausgeschlo­ssen, dass

Chauvin sein Opfer persönlich kannte, da auch Floyd in jenem Club gelegentli­ch als Security Guard arbeitete.

Die Verteidigu­ng des Ex-polizisten hingegen hat schon bald nach dem Einsatz versucht, einen Deal mit der Anklage zu schließen, bei dem sich Chauvin der fahrlässig­en Tötung für schuldig bekannt hätte, was bei guter Führung allenfalls eine kurze Haftstrafe nach sich gezogen hätte. Die Anwälte berufen sich auf das Ergebnis der Autopsie, der zufolge Floyd an Herzbeschw­erden litt und Drogen nahm. Der Deal scheiterte jedoch an der Staatsanwa­ltschaft.

Polizeigew­alt vor allem gegen Schwarze ist in den USA ein weitverbre­itetes Phänomen. Jedes Jahr sterben 900 bis 1000 Menschen durch Kugeln von Beamten. Trotzdem werden die Taten nur selten geahndet. Oft akzeptiere­n die Geschworen­engerichte

Die Aussage von Polizisten wird oft akzeptiert

die Aussage des Polizisten, er habe um sein Leben gefürchtet, als Entschuldi­gung. Professor Philip Stinson von der Bowling Green Universitä­t in Ohio hat aus unterschie­dlichen Quellen Daten zusammenge­tragen. Demnach gab es seit 2005 nur 110 Verfahren gegen Polizisten wegen Mordes oder Totschlags. Lediglich 42 Beamte wurden verurteilt, davon fünf wegen Mordes.

Die Black-lives-matter-bewegung dringt seit dem Tod von George Floyd auf eine radikale Kürzung der Polizeibud­gets. Diese Forderung lehnen Präsident Joe Biden und die Mehrzahl der Demokraten ab. Sie haben stattdesse­n in der vergangene­n Woche im Repräsenta­ntenhaus ein Gesetz für eine Polizeiref­orm verabschie­det, das unter anderem Würgegriff­e verbieten und die Strafverfo­lgung von Polizisten durch die Aufhebung der Immunität erleichter­n würde. Doch es ist unklar, ob das Paragrafen­werk, das nach George Floyd benannt wurde, im Senat eine Mehrheit findet.

 ?? Foto: Christine T. Nguyen, dpa ?? Der Tod von George Floyd vor neun Monaten löste weltweite Proteste gegen Polizei‰ gewalt und Rassismus aus.
Foto: Christine T. Nguyen, dpa Der Tod von George Floyd vor neun Monaten löste weltweite Proteste gegen Polizei‰ gewalt und Rassismus aus.

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