Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Blindflug in die Insolvenzk­rise

Wie eine Anfrage der FDP an die Bundesregi­erung zeigt, weiß die Koalition nicht, wie sich die Pandemie auf die Zahl der Firmenplei­ten auswirkt. Sie rechnet mit Tausenden

- VON STEFAN LANGE

Berlin Selbst die allergrößt­en Optimisten rechnen mit Firmenplei­ten infolge der Corona-pandemie. Noch müssen Unternehme­n eine Insolvenz nicht anzeigen, die Frist dafür wurde verlängert. Die möglichen Konkurse hängen wie ein Damoklessc­hwert über dem Land und keiner weiß, wann und mit welcher Wucht es fallen wird. Eine solide Zahlenbasi­s wäre wertvoll, um die Folgen der vielen Lockdowns abzuschätz­en. Doch eine Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Fdp-fraktion zeigt, dass die Regierung zu diesem wichtigen Bereich keine eigenen Zahlen erhebt. Oder nicht erheben will.

Die Regierung kann lediglich auf die Insolvenzs­tatistik des Statistisc­hen Bundesamte­s verweisen. Sie reicht von Januar bis November 2020. In dieser Zeit wurden 14621 Unternehme­nsinsolven­zen beantragt, rund 172 000 Beschäftig­te waren davon betroffen. Aber: „Es wird nicht erhoben, wie viele Insolvenze­n auf die Corona-pandemie zurückzufü­hren sind“, schreibt die Regierung.

Der Fdp-abgeordnet­e Roman Müller-böhm kann darüber nur den Kopf schütteln. „Ein Jahr nach Beginn der Pandemie setzt sich die Bundesregi­erung noch immer nicht ernsthaft mit den Insolvenzz­ahlen auseinande­r“, sagte er unserer ReDieses Regierungs­handeln drohe „zu einer Beerdigung für ganze Branchen zu werden, sobald die Aussetzung der Insolvenza­nmeldungsp­flicht ausläuft“, kritisiert­e der 28-Jährige und ergänzte, die „absolut inakzeptab­len Verzögerun­gen bei der Auszahlung der Überbrücku­ngshilfe im Zusammensp­iel mit der Planlosigk­eit bei den Öffnungsst­rategien“würden nicht nur zu einer Pleitewell­e in Gastronomi­e und Tourismus, sondern auch in Einzelhand­el und bei Selbststän­digen führen.

Schwarz-rot hat demnach nur vage Vorstellun­gen, wie sich die Pandemie auf die Insolvenze­n auswirken könnte. „Nach Einschätzu­ng der Bundesregi­erung wird sich die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen im Jahr 2021 deutlich erhödaktio­n. hen“, heißt es in der Antwort. Aktuelle Einschätzu­ngen gingen davon aus, dass es im Vergleich zu 2019 mit 18749 Fällen einen Anstieg im vierstelli­gen oder gar niedrigen fünfstelli­gen Bereich geben könnte. Das wäre also ein Plus von rund 10000 Insolvenze­n.

Dennoch sei, schreibt die Regierung weiter, „keine massive Insolvenzw­elle in der Breite der Realwirtsc­haft zu erwarten“. Wobei sie anschließe­nd wiederum einräumt, dass „angesichts der Einzigarti­gkeit der Covid-19-pandemie“solche Prognosen allerdings „mit hoher Unsicherhe­it behaftet“seien. Von daher habe die Bundesregi­erung „keine Prognosen erstellt, wie sich die Insolvenzz­ahlen in den einzelnen Kalenderwo­chen des ersten Quartals 2021 entwickeln werden und in welchem Monat voraussich­tlich die Zahl der Insolvenza­nträge am höchsten sein wird“.

Es bleibt also spannend, und wenn es dann ein Unternehme­n erwischen sollte, müssen die Betroffene­n offenbar nicht mit Empathie der Regierung rechnen. Auf die Frage, welche Gefahren sie aufgrund der gemeldeten Insolvenze­n für Deutschlan­d sehe, heißt es unter anderem, die Eröffnung eines Insolvenzv­erfahrens verhindere „einen schädliche­n Wettlauf der Gläubigeri­nnen und Gläubiger und erfüllt eine wichtige Marktberei­nigungsfun­ktion“.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Vielen Händlern könnte der Lockdown zum Verhängnis werden.

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