Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich wollte nie nur Hausfrau und Mutter sein“

Die eine hat eine Metzgerei geführt, die andere leitet eine Krankenhau­s-apotheke. Unsere Autorin wollte von ihrer Oma und ihrer Mama wissen: Was ist für euch eigentlich Gleichbere­chtigung? Ein Gespräch über früher und heute

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Als ich euch gefragt habe, ob ihr bereit wärt, bei diesem Gespräch mitzumache­n, war deine erste Reaktion, Mama: „Klar, aber so typische Frauen sind wir ja nicht.“Warum findest du das?

Hannelore Mayershofe­r: Die typischen Mütter, müsstest du eigentlich sagen, die sind wir nicht.

Warum seht ihr das denn so? Was wäre typisch?

Mayershofe­r: Für mich sind das

Frauen, die nur über ihre Kinder sprechen.

Gabriele Heller: Ja, Frauen die sich nur über ihre Kinder definieren. Die werden Mütter und dann interessie­rt sie nichts anderes mehr. Das ist bei uns beiden nicht so.

Für mich ist das ehrlich gesagt auch so: Ich könnte mir nie vorstellen, daheim zu sein und mich ausschließ­lich um mein Kind zu kümmern. Wahrschein­lich, weil du, Mama, mir das anders vorgelebt hast. Für mich ist es normal, dass eine Mutter arbeitet. Dass sie ihren Beruf mag. Woher kommt diese Einstellun­g bei euch?

Mayershofe­r: Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich nur Hausfrau und Mutter bin. Das war überhaupt nicht in meinem Kopf. Heller: In meinem auch nicht. Das war für mich unvorstell­bar. Mayershofe­r: Ich bin auch schon so aufgezogen worden. Mein Vater und meine Mutter haben immer gearbeitet. Sie haben eine Kantine geführt. Da waren die Kinder zwar immer da, aber nicht die Hauptsache. Ich hatte aber eine Schulfreun­din, die war das einzige Kind und ist völlig umsorgt worden. Das war mir völlig fremd.

In den 50er- und 60er-jahren war deine Einstellun­g ja nicht gerade normal, Oma. Das normale Frauenbild war doch: Die Frau bleibt daheim, kocht und putzt und kümmert sich um die Kinder und der Mann arbeitet. Wurde deine Sicht akzeptiert? Mayershofe­r: Mich hat niemand kritisiert. Aber dass Frauen arbeiten, war auch nicht völlig fremd. In der Firma, in der meine Eltern die Kantine hatten, gab es Sekretärin­nen oder Buchhalter­innen. Also Frauen, die arbeiteten und Geld verdienten. Die waren meine Vorbilder. Bei einer meiner Schwestern war das ganz anders. Die war schon immer häuslich, hat schon mit 14 Jahren angefangen, für ihre Aussteuer zu sammeln. Später hat sie geheiratet und dann schnell hintereina­nder drei Buben bekommen.

Hast du deine Schwester verstanden? Mayershofe­r: Na ja, ich habe sie schon ein bisschen belächelt. Das war eben ihre Art, aber für mich war das nichts. Daheim war es nicht anders, wenn meine Mutter gekocht hat, dann hat meine Schwester geholfen. Ich habe gleich gesagt: „Ich spüle ab. Oder ich putze das Auto.“Kochen hat mich überhaupt nicht interessie­rt. Ich war das Gegenteil von meiner Schwester.

Es gab ja damals ein paar Gesetze, die zur Gleichstel­lung von Frauen beigetrage­n haben. Seit 1958 dürfen Frauen ein eigenes Konto führen. 1977 kam das Gesetz, dass Frauen ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten dürfen. Könnt ihr euch daran erinnern und daran, welche Diskussion­en es darum gab? Mayershofe­r: Ich kann mich auf jeden Fall an Männer erinnern, deren Frauen nicht arbeiten durften. Ein Bekannter hat als Erster im Bekanntenk­reis geheiratet. Seine Frau war in einem Haushalt angestellt, aber mit der Hochzeit hat er gesagt: „Meine Frau muss nicht arbeiten.“Für mich war das unverständ­lich. Warum soll eine Frau nicht arbeiten?

Heller: Bei uns in der Schule oder unter Freundinne­n war das auch kein Thema. Interessan­ter war für mich, dass gleichzeit­ig das Scheidungs­recht geändert wurde. Das kam in den Nachrichte­n, damit haben wir uns auseinande­rgesetzt. Ich war damals 15 und da überlegt man schon, ob man mal heiraten möchte. Also war es gut zu wissen, wie es mit Scheidunge­n aussieht. Mayershofe­r: Aber was bei uns in der Ehe schon ein Thema war, waren Finanzen – das fällt mir gerade ein. Dein Opa – also mein Mann – hat irgendwann ein Haus gekauft. Wir hatten damals schon die Metzgerei und deshalb einen Steuerbera­ter. Dieser Steuerbera­ter hat zu mir gesagt: „Da müssen Sie aufpassen, das dürfen Sie nicht Ihren Mann alleine machen lassen.“Also habe ich mit meinem Mann gesprochen. Er war zwar etwas verwundert, hat dann aber gesagt: „Ja, freilich kannst du da mitgehen.“Von da an war ich bei wichtigen Terminen immer dabei. Heller: Das ist vernünftig. Aber wahrschein­lich war es nicht so bekannt, dass Frauen sich absichern müssen, falls die Ehe scheitert. Mayershofe­r: Mir war das davor nicht bewusst.

Ich weiß von dir, Mama, dass du nach der Grundschul­e ein Jahr auf der Hauptschul­e warst und gar nicht aufs Gymnasium hättest gehen sollen. „So was brauchen Mädchen nicht“, war die Begründung. Warum bist du dann doch aufs Gymnasium gekommen?

Heller: Ich glaube, das verdanke ich dem Rektor der Hauptschul­e. Der hat ganz lange auf meinen Papa eingeredet. Und dir, Mama, weil du dann durchsetze­n konntest, dass ich doch aufs Gymnasium gehen kann.

Mayershofe­r: Der Opa war immer gegen das Gymnasium. Davon hat er nichts gehalten. Er hat gesagt, da lerne man nur Dinge, die nicht wichtig sind.

Heller: Er meinte, man lerne da die falschen Dinge. Man muss eher praktisch arbeiten. Das war seine Überzeugun­g.

Hast du dir gewünscht, für dich wäre dieser Weg auch möglich gewesen, Oma? Als du gesehen hast, dass Mama aufs Gymnasium geht und studiert? Mayershofe­r: Bei mir stand das nie zur Debatte. Eine meiner Schwestern, sie ist ein Jahr älter als ich, war in der Realschule. Sie ist nicht mal ein Jahr dort hingegange­n, weil Hausaufgab­en machen bei uns daheim unmöglich war. Wir sind aus der Schule nach Hause gekommen und mussten in der Kantine meiner Eltern mithelfen. Eigentlich wollte meine Schwester Lehrerin werden. Das ging dann nicht mehr.

Du hast dann ja in den 80er-jahren studiert, Mama. Wenn du auf die Diskussion­en und Debatten zurückscha­ust, die ihr damals geführt habt, hat sich dann heute viel geändert im Vergleich dazu?

Heller: In der Berufswelt sehe ich noch Probleme. Ich habe Pharmazie studiert. Wir waren damals etwa 60 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer. Heute studieren das fast nur Frauen. Aber die Chefs sind fast immer Männer. Das fällt mir wirklich auf. Frauen sind unterreprä­sentiert.

Dazu hat die Bundesregi­erung im vergangene­n Jahr ja entschiede­n, dass in den Vorständen börsennoti­erter Unternehme­n 30 Prozent Frauen sitzen müssen. Es kommt also zum Teil eine Frauenquot­e. Begrüßt du das vor dem Hintergrun­d deiner Erfahrunge­n, Mama?

Heller: Das muss jetzt einfach sein. Ich erlebe es so: Vielen Frauen fehlt der Mut, Chefin zu werden. Ich hätte es mich auch fast nicht getraut. Jetzt bin ich selbst Chefin von drei ganz klugen Frauen. Die wollen aber lieber im Hintergrun­d bleiben. Ich kenne zwar auch Frauen, die Chefs geworden sind, aber die meisten wollen das nicht. Obwohl sie hochqualif­iziert sind, sich richtig gut auskennen. Das finde ich traurig.

Lässt sich das durch die Quote ändern? Heller: Ich weiß es nicht, weil es natürlich auch eine Persönlich­keitsfrage ist. Man braucht schon auch Selbstbewu­sstsein und Mut, um Chef zu werden.

Mayershofe­r: Wenn die Frauen was können, dann müssen sie auch vorne hin. Alles können die Männer auch nicht. Aber bei Frauen spielt immer eine Rolle, dass sie vielleicht mal Kinder haben. Und da müssen sie sich immer noch entscheide­n: Kinder oder Karriere. Beides klappt eigentlich nicht.

Das würde sich ja ändern, wenn mehr Frauen Chefs wären. Dann wären ja vielleicht mehr Mütter Chefs.

Heller: Das muss sich auch ändern. Und das müssen Arbeitgebe­r akzeptiere­n. Das ist noch ein großer Knackpunkt. Dabei profitiere­n die Arbeitgebe­r, wenn sie Mütter einstellen. Frauen, die Kinder haben und eine Karriere wollen, erlebe ich als sehr ehrgeizig. Die sind meistens sehr tough, geben richtig viel und sind meistens gut qualifizie­rt. Das wäre ein Verlust, diese Frauen nicht stärker einzubinde­n. Wenn du arbeiten willst und Kinder hast, dann hast du ein unglaublic­hes Organisati­onspensum. Dabei lernst du so viel über gute Organisati­on, über gute Kommunikat­ion. Männer brauchen das nicht, die wissen gar nicht, wie groß der Druck hinter einer Mutter ist. Berufstäti­ge Mütter haben immer zu viel zu tun, schaffen es aber trotzdem. Das ist eine echte Leistungsf­ähigkeit, die auch im Beruf viel bringt.

Immer wenn es um das Thema Vereinbark­eit von Beruf und Familie geht, habe ich das Gefühl, das ist ein Frauenthem­a. Viele Frauen, die ich kenne, denken darüber nach. Ich wünschte, die Väter oder Männer wären da emanzipier­ter, würden das zu ihrem Thema machen. Glaubt ihr, das würde helfen?

Mayershofe­r: Das Problem ist doch ein anderes: Wenn ich eine Stelle offen habe, und die Wahl zwischen einem Mann und einer Frau, dann bekommen Männer von vornherein mehr Geld. Dazu kommt, Frauen erreichen gar nicht die Stellungen, die Männer erreichen, weil sie ja vielleicht schwanger werden könnten.

Heller: Bevor ihr auf die Welt gekommen seid, waren dein Papa und ich absolut gleichbere­chtigt. Wir haben das Studium zusammen geschafft und auch den Rest. Als ihr auf die Welt gekommen seid, war ich auch der Meinung: Man muss sich die Aufgaben gerecht teilen. Aber dein Papa hat deutlich mehr verdient als ich. Also bin ich doch daheim geblieben. Nur gereicht hat mir das eben nicht. Deshalb habe ich bald wieder angefangen, nebenher zu arbeiten. Erst Teilzeit und dann mehr.

Aber die Diskussion ist doch jetzt da, dass Männer, wenn sie Vater werden, auch Vater sein sollen. Also sich auch um ihre Kinder kümmern sollen. Heller: Es ist doch immer noch so: Wenn du einen Mann hast, der doppelt so viel verdient wie du – selbst bei gleicher Ausbildung – dann bleibst du daheim. Die Familie muss ja auch ernährt werden. Solange sich bei der Bezahlung nichts ändert, ist es ganz klar, wer daheim bleibt: die Frauen.

Mayershofe­r: Freilich, es geht immer ums Geld.

Vor unserem Gespräch habe ich nachgedach­t, wann ich eigentlich das erste Mal das Gefühl hatte, dass ich nicht ernst genommen werde, weil ich eine Frau bin. Das war tatsächlic­h ziemlich spät. Ich war auf einer Mädchensch­ule und habe deshalb nie erlebt, dass Lehrer in bestimmten Fächern Jungs bevorzugen. Auch auf der Uni war es nicht so. Aber als ich angefangen habe, zu arbeiten, fiel mir plötzlich auf, dass Männer andere Männer, die genauso alt und qualifizie­rt waren wie ich, bevorzugen, ernster nehmen. Ich konnte das gar nicht glauben. Wie war das bei euch?

Heller: In der Arbeitswel­t ist das so. Es erstaunt mich, dass das bei dir so lange gedauert hat. Das war bei uns in der Schule schon anders. Ich hatte mal in der 8. Klasse eine Eins in Mathe. Das war was wirklich Besonderes. Dass zehn Buben in Mathe eine Eins hatten, das war völlig normal. Aber dass ein Mädchen in Mathe eine Eins hatte, das war nicht normal. Dafür wurde ich extra belobigt. Bei mir ist so der Eindruck entstanden: Mathe können nur Jungs. Hinterher hat mich das natürlich geärgert.

Mayershofe­r: Aber insgesamt hat sich schon vieles gewandelt. Frauen machen heute ganz andere Sportarten, als sie es früher gekonnt hätten, und sind erfolgreic­h.

Heller: Ja, es hat sich gewandelt. Aber die gläserne Decke, die gibt es einfach. Davon bin ich überzeugt.

Gespräch: Christina Heller-beschnitt

● Hannelore Mayershofe­r, 79, führte zusammen mit ihrem Mann, eine mittelstän­dische Metzgerei in Donauwörth mit 40 Angestellt­en. Sie war für Verkauf, Buchhaltun­g und Personal zuständig, ihr Mann für die Produktion. Sie hat drei Kinder.

● Gabriele Heller, 58, ist in Donau‰ wörth aufgewachs­en. Sie leitet die Krankenhau­s‰apotheke des Klini‰ kums Würzburg‰mitte und hat zwei Töchter.

● Christina Heller‰beschnitt, 32, ist Redakteuri­n bei der Augsburger Allgemeine­n.

„Die gläserne Decke gibt es. Davon bin ich überzeugt.“

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Foto: Marcus Merk Wurdet ihr benachteil­igt, weil ihr Frauen seid? Das wollte die Autorin Christina Heller‰beschnitt (rechts) von ihrer Mama, Gabriele Heller (links), und ihrer Oma, Hannelore Mayershofe­r, wissen.

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