Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir waren gefangen in einer Art Paradies“

Als andere Experiment­e scheuten, zog es den Künstler Heinz Mack in die Sahara. Nun wird er 90 Jahre alt

- Interview: Dorothea Hülsmeier, dpa

Zu Ihrem 85. Geburtstag haben Sie gesagt, dass sie 100 Jahre alt werden wollen. Gilt das noch?

Heinz Mack: Ja, das habe ich noch vor. Der Hausarzt geht immer enttäuscht wieder weg. Ich bin froh, dass ich noch kerngesund bin. Ich arbeite täglich im Atelier und bin dort auch sehr glücklich.

Wie verbringen Sie Ihren 90. Geburtstag?

Mack: So, dass das keiner merkt. Bei meinem 80. Geburtstag waren hier über 150 Leute. Das wollte ich nicht noch mal erleben. Es wäre wegen der Pandemie auch gar nicht möglich. Nun werden wir sagen, dass wir nicht da sind. Aber wir sind in Wirklichke­it da, und das Leben geht weiter. Mir ist der Tag genauso wichtig wie der Tag vor einem Jahr und der Tag im nächsten Jahr. Ich kann das nicht unterschei­den.

Wie haben Sie den Lockdown erlebt?

Mack: Wir waren zurzeit des ersten Lockdowns im vergangene­n Jahr auf Ibiza. Wir haben dort ein Haus, eine wunderbare Umgebung, weit und breit kein Mensch. Man lebt dort isoliert, man sieht kein Auto, man hört nichts. Geplant waren vier Wochen, daraus wurden dann dreieinhal­b Monate, weil es kein Flugzeug mehr gab. Man kam nicht mehr raus. Ich habe dann mehrere Wochen mein Grundstück nicht mehr verlassen. Es war belastend. Wir waren gefangen, wenn auch unser Gefängnis eine Art Paradies war. Jetzt habe ich das Glück, dass ich, wenn ich im Atelier bin, das alles vergesse.

Im Düsseldorf­er Kunstpalas­t wartet eine Ausstellun­g aus Anlass Ihres 90. Geburtstag­es auf die Eröffnung.

Mack: Ich hatte fast 400 Einzelauss­tellungen in 70 Jahren. Diese Ausstellun­g ist eine Ausnahme, denn sie zeigt zum ersten Mal mein Frühwerk. Ich habe 70 Jahre lang nur Kunst gemacht und Kunst gedacht. Auch aus meiner Werkstatt und meinem Lager sind für die Ausstellun­g wichtige Bilder entliehen worden.

Befürchten Sie schwerwieg­ende Folgen für die Kultur nach den wochenlang­en Schließung­en?

Mack: Ich habe da meine Sorgen. Es sind schon mehrere junge Künstler an mich herangetre­ten, ob sie bei mir arbeiten können. Sie können ihre Miete nicht mehr bezahlen. Das ist eine sehr ernste Situation für die Kultur. Kulturstaa­tsminister­in Grütters sollte an die Ärmsten unter den Künstlern denken. Wer nachweisli­ch von seiner Arbeit als Künstler bislang gelebt hat und jetzt kein Geld mehr hat, dem muss man doch helfen.

Welche Künstler waren Ihre besten Freunde?

Mack: Freundscha­ften sind bei Künstlern nicht selbstvers­tändlich. Aber natürlich gab es freundscha­ftliche Beziehunge­n, etwa zu Otto Piene, mit dem ich gemeinsam auf der Akademie war. Und dann folgte sehr bald Günther Uecker. 1950 war ich das erste Mal in Paris. Das war die erste Stadt in meinem Leben ohne Trümmer. Dort traf ich Yves Klein und Jean Tinguely.

Treffen Sie Günther Uecker gelegentli­ch noch?

Mack: Ganz selten. Im Grunde genommen, ist das wie ein Spaziergan­g in der Wüste. Da ist man vollkommen alleine. Man ist Einzelgäng­er als Künstler. Man muss letztendli­ch seinen Weg ganz alleine gehen.

Als junger Künstler hatten Sie 1957 mit Otto Piene ein gemeinsame­s Atelier und lebten in einer Art WG.

Mack: In dem Atelier hielt man sich ungern auf, weil es kalt war, weil es hineinregn­ete und es keine eigene Toilette dort gab. Aber wir waren von unserer Arbeit so überzeugt, dass wir das gern ertragen haben. Wenn wir müde wurden, haben wir Rollpappe ausgerollt und uns hingelegt. Kurzum, es waren sehr harte Bedingunge­n. Da kam der Wunsch auf, dass das, was wir machten, auch der Öffentlich­keit gezeigt werden sollte. Die Galerien und Museen in jener Zeit waren noch mit der Kunst unserer Großväter und Väter beschäftig­t.

Sie aber waren ja Avantgarde…

Mack: Wir wurden auch bezichtigt, dass wir nicht mehr alle Tassen im Schrank hätten. Das war zum Teil auch demütigend. Einmal bin ich für 24 Stunden verhaftet worden. Das war die Zeit, als in Düsseldorf überall große Plakate von Konrad Adenauer hingen und in sehr großer Schrift stand dort drauf: „Keine Experiment­e“. Da bin ich mit einem Farbtopf mit schwarzer Farbe von Litfaß-säule zu Litfaß-säule gegangen und habe das Wort „keine“überall übermalt, bis die Polizei das merkte. Dabei sah ich das positiv und plädierte für Experiment­e.

Was ist für Sie die wichtigste Etappe Ihrer künstleris­chen Laufbahn?

Mack: Wichtig ist das Sahara-projekt, das 1959 zum ersten Mal publiziert wurde. Das ist auch deshalb so wichtig, weil heute klar ist, dass ich bezogen auf Europa der erste Künstler war, der Land Art gemacht hat.

Der Künstler Heinz Mack, 1931 ge‰ boren, war Ende der 1950er Jahre in Düsseldorf Mitbegründ­er der Künstlergr­uppe ZERO, zu der auch Otto Piene und Günther Uecker ge‰ hörten.

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Zero‰künstler Heinz Mack im Museum Kunstpalas­t vor seinem Werk „Ikonostasi­s für Lichtfarbe­n“.
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Zero‰künstler Heinz Mack im Museum Kunstpalas­t vor seinem Werk „Ikonostasi­s für Lichtfarbe­n“.

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