Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fürsprecherin der dressierten Männer
Vor 50 Jahren erschien Esther Vilars Buch und löste heftige Kontroversen aus. Die Autorin verkehrte darin die Argumente der feministischen Bewegung in ihr Gegenteil. Wie das Buch heute wirkt
Wahrscheinlich auf Seite 22 dürfte das Blut das erste Mal in Wallung geraten, wenn zu lesen ist: „Spätestens mit zwölf Jahren – einem Alter, in dem die meisten Frauen beschlossen haben, die Laufbahn von Prostituierten einzuschlagen, das heißt, später einen Mann für sich arbeiten zu lassen und ihm als Gegenleistung ihre Vagina in bestimmten Intervallen zur Verfügung zu stellen – hört die Frau auf, ihren Geist zu entwickeln.“Nicht von einem Mann, der schlechte Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht hatte, stammt der Satz, sondern von einer Frau. Das verschaffte ihm damals, im Jahr 1971, als die Frauenbewegung gerade anfing Fahrt aufzu– nehmen, umso mehr Gewicht, sorgte für Kontroversen und ist auch heute noch nur schwer nachzuvollziehen.
Esther Vilar, Ärztin und Schriftstellerin, 1935 in Argentinien als Tochter deutscher Eltern geboren, brachte mit ihrer Streitschrift „Der dressierte Mann“vor 50 Jahren nicht nur Feministinnen gegen sich auf. Persönliche Anfeindungen bis hin zu Schlägen auf der Damentoilette der Münchner Staatsbibliothek und Morddrohungen trug ihr das dünne Bändchen ein, von dem sich Frauen diffamiert fühlten, nicht wenige von den Emanzipationsbestrebungen ihrer Frauen überforderte Männer aber bestätigt.
Dabei schlummerte die Provokation zunächst im Verborgenen. Im Januar 1971 war das Buch bei Bertelsmann erschienen, nachdem es mehrere Verlage abgelehnt hatten. Von Kritik und Lesern wurde es kaum wahrgenommen, erst ein Gespräch Vilars mit Moderator Dietmar Schönherr in der Unterhaltungssendung „Wünsch dir was“im Oktober 1971 brachte die Aufmerksamkeit zur besten Samstagsabendfernsehzeit für die streitbaren Ansichten der Schriftstellerin.
Die da lauten: Frauen sind mitnichten das unterdrückte Geschlecht. Im Gegenteil, sie sind es nach Ansicht Vilars, die Männer zu Sklaven machten, denn diese richteten ihr ganzes Leben danach aus, für Frau und Kinder zu sorgen. Während die Gattinnen es sich zu Hause bequem machten, müssten sie tagein tagaus harte Arbeit verrichten, hätten weder Zeit zum Leben noch für ihre Kinder, die ihnen im Falle einer Trennung dann auch noch entzogen würden. Menschenverachtend ist das Bild, das Vilar in ihrem Buch von den Geschlechtern in einer erschreckenden Verabsolutierung entwirft: Auf der einen Seite die Frauen – dumm, humorlos, berechnend und dominant, die sich auf Kosten ihres Mannes ein schönes Leben machen. Auf der anderen Seite die Männer – neugierig, bescheiden, gutmütig und gefühlvoll, die die über Generationen tradierte Rolle des Ernährers nicht ablegen können, weil sie dazu – von Frauen – erzogen wurden, schreibt Vilar. „In jedem Augenblick ist er Teil eines gigantischen, unbarmherzigen
das einzig und allein auf seine maximale Ausbeutung angelegt ist, und er bleibt diesem System bis an sein Lebensende ausgeliefert.“Damit verkehrte die Schriftstellerin die feministische Argumentation ins Gegenteil. Im Jahr 1970 waren zwei der wegweisenden Werke der feministischen Bewegung, Germaine Greers „The Female Eunuch“(„Der weibliche Eunuch“) und Kate Milletts „Sexual Politics“(„Sexus und Herrschaft“) erschienen, in denen die Frauen als Objekte männlicher Herrschaftsmechanismen in den Blick gerieten.
Konnte es also ernst gemeint sein, wenn eine Schriftstellerin in einer Zeit, in der Frauen nur mit Erlaubnis ihrer Männer berufstätig sein oder ein eigenes Bankkonto eröffnen durften, Gewalt in der Ehe nicht als Straftat galt und viele Ehen nur deshalb nicht geschieden wurden, weil die Frauen in finanzieller und gesellschaftlicher Abhängigkeit von ihren Männern waren, behauptet, dass ihre Geschlechtsgenossinnen die Männer dominierten? Und dies mit Küchen-anthropologie und -psychologie zu untermauern versucht. Wer Ironie und Satire vermutet, befindet sich in guter Gesellschaft: Das fragte sich nämlich auch Frauenrechtlerin Alice Schwarzer 1975 in einem Tv-gespräch mit Esther Vilar und musste dabei erleben, wie sie weder mit Argumenten und Fakten (Zwei Drittel der Arbeit für die Gesellschaft wird unbezahlt von Frausystems, en erbracht) noch schweren Beschuldigungen („Sie sind eine Faschistin.“) Vilars Panzer sanftmütiger Beharrlichkeit knacken konnte.
„Weil ich den Quatsch nicht mehr ertragen konnte“, entgegnete Vilar Schwarzer auf die Frage nach ihrer Motivation, dieses Buch zu schreiben. Immer wütender sei sie geworden, weil Frauen in der Öffentlichkeit als Opfer dargestellt wurden, während die wahren Leidtragenden im Geschlechterverhältnis doch die Männer seien. Innerhalb von drei Monaten habe sie sich diese Wut von der Seele geschrieben und dabei vor allem auf ihre Beobachtungen weiblicher und männlicher Verhaltensweisen zurückgegriffen. Als „weiblichen Feminismus“definierte Vilar selbst ihre Position, „denn es ging gegen meine Würde, dass wir Frauen uns als Opfer stilisierten“. Als „erste Männerrechtlerin der literarischen Szene“wurde sie dagegen im Kulturmagazin titel thesen temperamente bezeichnet.
Und heute? Trifft die Polemik Vilars nach 50 Jahren noch oder kann man sie abtun als überholte Kontroverse, die eher Heiterkeit und Kopfschütteln als Ärger provoziert? Zumal die Doppelbelastung aus Job und Familie vieler Frauen sie wohl eher unverdächtig macht, es sich auf Kosten ihrer Männer allzu bequem zu machen. In seinen Behauptungen und der Chuzpe, den Spieß der Argumentation einfach umzudrehen, befremdet der Text aber auch heute noch – auch mit Blick auf das Männerbild vom hilflosen Weiberknecht, vor allem aber im Hinblick auf das Selbstverständnis einer Frau, die über ihre Geschlechtsgenossinnen schreibt: „Außer einer Vagina, zwei Brüsten und ein paar Lochkarten mit stereotypen Redensarten“sei aber auch wirklich nichts an ihnen.
Als Schriftstellerin sei es ihr in all ihren Werken darum gegangen, sagte Vilar kürzlich in einem Interview mit dem Freitag, die Lust des Menschen an der Unfreiheit zu hinterfragen. „Warum lassen Menschen das alles mit sich anstellen – es zwingt sie doch keiner?“Liest man in „Der dressierte Mann“über die Plattitüden, Klischees und Schwarzweiß-kategorisierungen hinweg, wäre dies vielleicht ein Ansatz, über die Gleichberechtigung der Geschlechter nachzudenken.