Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Bilder jenseits der normalen Fernsehästhetik
Das Finale fällt stark aus, die Macher können zufrieden sein, das Publikum hat noch einen Bonus-tag
Augsburg Was für ein Gewinn! Es gab anfangs viele Fragezeichen hinter dem ersten rein digitalen Brechtfestival – von der neuen Technik bis hin zum Publikumsinteresse. Nun hat das elftägige Festival (am heutigen Weltfrauentag sind noch einmal alle Beiträge auf der Festival-mediathek abrufbar) all die Bedenken zerstreut, nein, in ihr Gegenteil gewendet. Durch den Kulturlockdown hat das Festival eine größere und breitere mediale Beachtung als in den Vorjahren gefunden, mit 1500 zahlenden Festivalbesuchern zu Beginn (die Abschlusszahlen sind noch nicht ausgewertet) gab es auch ein ausreichend großes Publikum für den betriebenen Aufwand und künstlerisch bot das digitale Format dazu einen Mehrwert.
Den beiden künstlerischen Leitern Tom Kühnel und Jürgen Kuttner ist es gelungen, ihre doch auch renommierten Festivalteilnehmer für eigens fürs Festival aufgenommene Videoformate zu gewinnen. Für die meisten – etwa Stefanie
Reinsperger, Charly Hübner, Lina Beckmann, Corinna Harfouch und zuletzt Meret Becker – dürfte der Aufwand für die Filme wesentlich größer gewesen sein als die Vorbereitung für den ursprünglich vorgesehenen Live-auftritt in Augsburg. Und: Plötzlich liefen auf den heimischen Bildschirmen kurze Filme, die mit der herkömmlichen Fernsehund Streaming-ästhetik brachen: assoziative Bilderreihungen, Theater als Scherenschnitt-puppenspiel, ungeschönte Straßenszenen. In den meisten Fällen Collagen aus Brecht-werken und anderen Texten, alle rund um das Motto „Brecht und die Frauen“ausgewählt.
Natürlich gab es auch Ausfälle – verkopfte Ansätze oder aber technisch unzulängliches Filmmaterial in Form einer unbrauchbaren Tonspur. Aber so etwas ist als normaler Zuschauer eines rein digitalen Festivals leicht zu verschmerzen, man sitzt ja nicht in einem Theaterraum, den man nicht verlassen kann, sondern schaltet einfach weg und dann wieder ein.
Das letzte Festivalwochenende bot die ganze Bandbreite. Zwei eher sperrige, mehr auf sich als den Zuschauer bezogene Arbeiten, die in Kooperation mit der Otto-falckenberg-schule in München entstanden waren. Dann neue Folgen von Suse Wächters Puppen-panorama „Helden des 20. Jahrhunderts“– eine der Attraktionen des Festivals. Sie ließ im Rahmen des Festivals unterschiedliche Puppen, von Rosa Luxemburg bis Helmut Kohl, von Lenin bis Gott Brecht-lieder singen – immer in anderem Ambiente und mit anderem Dreh. Dazu gab es Musik der Singersongwriterin Bernadette La Hengst und der Banda Internationale, eine Verbindung, die 2020 erst durch das Brechtfestival hergestellt worden ist. Dann fand Meret Becker als letzte Festivalpremiere starke Bilder für ihre Collage. Sie verband Zirkus und Hitler-imitation, las Brechts „Kinderkreuzzug“so, dass dieser immer beklemmendere Text im Vordergrund blieb und von einzelnen Film-bildern gekonnt verstärkt wurde. Am Ende hätte man gerne mehr davon gesehen. So ging es einem nicht nur bei Meret Becker, sondern auch bei einigen anderen Beiträgen.
Nun schließt sich der virtuelle Vorhang. Wegen der vertrackten Rechtefragen (Verfilmungen sind da um einiges komplizierter als Theateraufführungen) können die Festivalbeiträge nur noch am heutigen Montag eingesehen werden, anschließend verschwinden sie in digitalen Archiven. Nächstes Jahr, wenn Kühnel und Kuttner ihr drittes Festival leiten, gehen alle davon aus, dass es wieder als normales Präsenzfestival stattfinden wird. Vielleicht gelingt es dabei ja auch, einen digitalen Festivalableger beizubehalten.