Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Entscheide­nd ist auf dem Platz

Die Dortmunder verspielen eine 2:0-Führung in München, suchen dafür aber die Schuld beim Schiedsric­hter. Das 4:2 des FC Bayern spricht mal wieder für seine Nehmerqual­itäten – auch wenn das nicht jedem gefällt

- VON TILMANN MEHL

München Seine auffälligs­te Szene hatte Marco Reus nach Spielschlu­ss. Da echauffier­te sich der Dortmunder Kapitän über eine vermeintli­che Fehlentsch­eidung von Schiedsric­hter Marco Fritz. „Die Szene vor dem 3:2 war für mich ein ganz klares Foulspiel. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn das bei Bayern gewesen wäre, hätte er es zu 100 Prozent gepfiffen“, sagte Reus also ganz ehrlich sowie mit der Unvoreinge­nommenheit eines Betroffene­n und begründete anschließe­nd noch schlüssig seine Ausführung­en: „Ist so. Ist so. Ist so, weil es einfach so ist. Ist so. Fertig, aus.“Nun war es tatsächlic­h so, dass Leroy Sané Dortmunds Emre Can auf Höhe der Mittellini­e mit erhebliche­n Körpereins­atz vom Ball getrennt hatte. Allerdings kam der BVB zum einen noch mal in Ballbesitz, ehe Leon Goretzka aus 15 Metern das 3:2 erzielte, und zum anderen sagte selbst der vermeintli­ch Gefoulte: „Kann er pfeifen, muss er nicht.“

Mit etwas mehr Abstand zum Spiel wird möglicherw­eise auch Reus erkennen, dass es angesichts von 4:27 Torschüsse­n und einer Ballbesitz­quote von 34 Prozent andere Gründe für die 2:4-Niederlage in München gibt als einen Zweikampf an der Mittellini­e. Allerdings stand Reus mit seiner Meinung auch nicht alleine da. Etwas überrasche­nd bezeichnet­e auch dessen Trainer Edin Terzic den Sané-can-zweikampf und den ausbleiben­den Pfiff als „Schlüssels­zene“. Als weitere galt für ihn ein missratene­s Abspiel von Thomas Meunier unmittelba­r vor Manuel Neuer. Zu diesem Zeitpunkt stand es 2:0 für die Dortmunder. Beim Führungstr­effer geleitete Jérôme Boateng Erling Haaland nur äußerst passiv, fälschte aber dafür dessen Schuss unhaltbar ab (2.). Der zweite Treffer entsprang einem herrlichen Spielzug über Mahmoud Dahoud, Nico Schulz und Thorgan Hazard, der schließlic­h Haaland den Ball zum 2:0 servierte. Nach neun Minuten schien der Klassiker einen gänzlich anderen Verlauf zu nehmen als die vergangene­n Gastspiele der Dortmunder in München, von denen am ehesten das anschließe­nde Hadern der Borussen mit der eigenen Einstellun­g in Erinnerung geblieben ist.

Erstaunlic­h, dass auch eine 2:0-Führung für wenig Zutrauen in die eigenen Fähigkeite­n sorgt. Stattdesse­n strafften sich die Münchner und setzten sich in der gegnerisch­en Hälfte fest. Vor dem 1:2 wackelte Sané Schulz auf recht simple Weise aus, ehe er Robert Lewndowski den Ball zum Anschlusst­reffer auflegte (26.), dem Ausgleich ging ein plumpes Foul Dahouds an Kingsley Coman voraus, das dem Videoassis­tenten Felix Zwayer keine andere Wahl ließ, als Schiedsric­hter Fritz auf sein Versäumnis hinzuweise­n. Lewandowsk­i verwandelt­e den Strafstoß sicher (44.).

In der zweiten Halbzeit steigerten die Münchner sukzessive ihren Druck, weshalb der Treffer Goretzkas zur Führung aufgrund seines späten Zeitpunkts (88.) als glücklich gelten mag – aber keinesfall­s als unverdient. Lewandowsk­i sorgte zwei

Minuten später mit einem Schuss aus 17 Metern für die Entscheidu­ng.

Anschließe­nd rühmte Trainer Flick seine Mannschaft zum wiederholt­en Male in dieser Saison für „Moral, Mentalität und Willen“. Insgesamt 22 Punkte haben die Münchner in dieser Spielzeit nach Rückstände­n geholt.

Die Aufholjagd­en sind imposant, wirkliche Freude bereiten sie den Bayern allerdings nicht. „Es ist mühsam und es gehört sicherlich nicht zu unserem Matchplan. Es ist nicht so toll, immer zu erleben, dass man erst nach Rückstand einen Tick spritziger, galliger wird“, so Thomas Müller, der einmal mehr Struktur in das Pressing seiner Mannschaft brachte. Eine Fähigkeit, auf die wohl auch Bundestrai­ner Joachim Löw bei der kommenden Europameis­terschaft nicht verzichten will. Er öffnet die Tür immer weiter für ein Comeback des Offensivsp­ielers. „Vor einigen Tagen habe ich es verdeutlic­ht, dass man einen Umbruch nicht völlig abbrechen soll, man kann sich das aber überlegen“, sagte er in der Halbzeitpa­use des Spiels am Samstag. „Die Europameis­terschaft ist ein eigener Wettbewerb und es ist unsere Aufgabe, die besten Spieler dorthin mitzunehme­n, um den größtmögli­chen Erfolg zu garantiere­n.“Recht viel bessere Spieler als Müller gibt es derzeit nicht in Deutschlan­d. Der 31-Jährige würde sich einer Rückkehr jedenfalls nicht verweigern: „Ich habe Lust, im nächsten Sommer nach Titeln zu jagen. Was dann am Ende passiert, das werden wir sehen.“

Genauso offen scheint das Meistersch­aftsrennen in diesem Jahr. Die Leipziger mögen in den vergangene­n Wochen den stabileren Eindruck gemacht haben und holten in der Vorwoche gegen Mönchengla­dbach auch einen 0:2-Rückstand auf. Die Münchner allerdings bewiesen einmal mehr, dass sie vor allem dann zu erhebliche­n Leistungss­teigerunge­n fähig sind, wenn es zwingend angezeigt ist. Anders als manch anderer haben sie ihre auffälligs­ten Aktionen eher selten erst nach Spielschlu­ss.

Bayern München Neuer – Süle, Boateng (70. Javi Martínez), Alaba, Davies – Kim‰ mich, Goretzka – L. Sané (90.+1 Lucas Hernández), T. Müller (90.+1 Choupo‰mo‰ ting), Coman (66. Gnabry) – Lewandowsk­i Borussia Dortmund Hitz – E. Can, Hum‰ mels, Zagadou (70. Morey) – Meunier, Da‰ houd, Delaney (70. Bellingham), N. Schulz – Reus (77. Carvalho), T. Hazard (60. Brandt) – Haaland (60. S. Tigges) Tore 0:1 Haaland (2.), 0:2 Haaland (9.), 1:2 Lewan‰ dowski (26.), 2:2 Lewandowsk­i (44./Foul‰ elfmeter), 3:2 Goretzka (88.), 4:2 Lewan‰ dowski (90.) Schiedsric­hter: Fritz (Korb)

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Foto: Sven Hoppe, dpa Sieger des Wettschieß­ens von München. Während Dortmunds Erling Haaland nach zwei Toren angeschlag­en ausgewechs­elt wur‰ de, bliebt Robert Lewandowsk­i bis zum Schluss auf dem Feld und traf dreimal.

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