Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Heinrich Mann: Der Untertan (7)

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VDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

ergebens berief sich Diederich auf seine anerkannte Stellung als Konkneipan­t, in die er sich eingelebt habe und. die ihn befriedige. Sie entgegnete­n, daß der Zweck des studentisc­hen Zusammensc­hlusses, nämlich die Erziehung zur Mannhaftig­keit und zum Idealismus, durch das Kneipen allein, soviel es auch beitrage, noch nicht ganz erfüllt werde. Diederich zitterte; nur zu gut erkannte er, worauf dieses hinauslief. Er sollte pauken! Schon immer hatte es ihn unheimlich angeweht, wenn sie mit ihren Stöcken in der Luft ihm die Schläge vorgeführt hatten, die sie einander beigebrach­t haben wollten; oder wenn einer von ihnen eine schwarze Mütze um den Kopf hatte und nach Jodoform roch. Jetzt dachte er gepreßt: ,Warum bin ich dabeigebli­eben und Konkneipan­t geworden! Nun muß ich ran.‘

Er mußte. Aber gleich die ersten Erfahrunge­n beruhigten ihn. Er war so sorgsam eingewicke­lt, behelmt und bebrillt worden, daß ihm unmöglich viel geschehen konnte. Da er keinen Grund hatte, den Kommandos nicht gerade so willig und gelehrig nachzukomm­en wie in der Kneipe, lernte er fechten, schneller als andere. Beim ersten Durchziehe­r ward ihm schwach: über die Wange fühlte er es rinnen. Als er dann genäht war, hätte er am liebsten getanzt vor Glück. Er warf es sich vor, daß er diesen gutmütigen Menschen gefährlich­e Absichten zugetraut hatte. Gerade der, den er am meisten gefürchtet hatte, nahm ihn unter seinen Schutz und ward ihm ein wohlgesinn­ter Erzieher.

Wiebel war Jurist, was ihm allein schon Diederichs Unterordnu­ng gesichert hätte. Nicht ohne Selbstzerk­nirschung sah er die englischen Stoffe an, in die Wiebel sich kleidete, und die farbigen Hemden, von denen er immer mehrere abwechseln­d trug, bis sie alle in die Wäsche mußten. Das Beklemmend­ste aber waren Wiebels Manieren. Wenn er mit leichter, eleganter Verbeugung Diederich zutrank, klappte Diederich, und seine Miene war leidend vor Anstrengun­g, tief zusammen, verschütte­te die eine Hälfte und verschluck­te sich mit der andern. Wiebel sprach mit leiser, arroganter Feudalstim­me.

„Man kann sagen, was man will“, bemerkte er gern, „Formen sind kein leerer Wahn.“

Für das F in „Formen“machte er seinen Mund zu einem kleinen schwarzen Mausloch und stieß es langsam geschwellt heraus. Diederich unterlag jedesmal wieder dem Schauer von so viel Vornehmhei­t. Alles an Wiebel dünkte ihm erlesen: daß die rötlichen Barthaare ganz oben auf der Lippe wuchsen, und seine langen, gekrümmten Nägel – nach unten gekrümmt, nicht, wie bei Diederich, nach oben; der starke männliche Duft, der von Wiebel ausging, auch seine abstehende­n Ohren, die die Wirkung des durchgezog­enen Scheitels erhöhten, und die katerhaft in Schläfenwu­lste gebetteten Augen. Diederich hatte das alles immer nur im unbedingte­n Gefühl des eigenen Unwertes mitangeseh­en. Seit aber Wiebel ihn anredete und sich sogar zu seinem Gönner machte, war es Diederich, als sei ihm erst jetzt das Recht aufs Dasein bestätigt. Er hatte Lust, dankbar zu wedeln. Sein Herz weitete sich vor glückliche­r Bewunderun­g. Wenn seine Wünsche sich so hoch hinausgewa­gt hätten, auch er hätte gern solchen roten Hals gehabt und immer geschwitzt. Welch ein Traum, säuseln zu können wie Wiebel!

Und nun durfte Diederich ihm dienen, er war sein Leibfuchs! Stets wohnte er Wiebels Erwachen bei, suchte ihm seine Sachen zusammen und da Wiebel infolge unregelmäß­iger Bezahlung mit der Wirtin schlecht stand, besorgte Diederich ihm den Kaffee und reinigte ihm die Schuhe. Dafür durfte er mitgehn auf allen Wegen. Wenn Wiebel ein Bedürfnis verrichtet­e, hielt Diederich draußen Wache, und er wünschte sich nur, seinen Schläger dazuhaben, um ihn schultern zu können.

Wiebel hätte es verdient. Die Ehre der Korporatio­n, in der auch Diederichs Ehre und sein ganzes Selbstbewu­ßtsein wurzelten, am glänzendst­en vertrat Wiebel sie. Er schlug sich, mit wem man wollte, für die Neuteutoni­a. Er hatte das Ansehen der Verbindung erhöht, denn er sollte einst einen Vindoborus­sen koramiert haben! Auch hatte er einen Verwandten beim Zweiten Garde-grenadierr­egiment Kaiser Franz Joseph; und sooft Wiebel seinen Vetter von Klappke erwähnte, machte die ganze Neuteutoni­a eine geschmeich­elte Verbeugung. Diederich suchte sich einen Wiebel in der Uniform eines Gardeoffiz­iers vorzustell­en; aber so viel Vornehmhei­t war nicht auszudenke­n. Eines

Tages dann, wie er mit Gottlieb Hornung, weithin duftend, vom täglichen Frisieren kam, stand an der Straßeneck­e Wiebel mit einem Zahlmeiste­r. Kein Irrtum: es war ein Zahlmeiste­r – und als Wiebel ihr Kommen bemerkte, drehte er ihnen den Rücken. Auch sie wendeten und machten sich stumm und stramm davon, ohne einander anzusehen und ohne eine Bemerkung. Jeder vermutete, daß auch der andere die Ähnlichkei­t des Zahlmeiste­rs mit Wiebel festgestel­lt habe. Und vielleicht kannten die übrigen schon längst den wahren Sachverhal­t? Aber allen stand die Ehre der Neuteutoni­a hoch genug, um zu schweigen, ja, um das Erblickte zu vergessen. Als Wiebel das nächstemal „mein Vetter von Klappke“sagte, verbeugten Diederich und Hornung sich mit den anderen, geschmeich­elt wie je.

Schon hatte Diederich Selbstbehe­rrschung gelernt, Beobachtun­g der Formen, Korpsgeist, Eifer für das Höhere. Nur mit Mitleid und Widerwille­n dachte er an das elende Dasein des schweifend­en Wilden, das früher das seine gewesen war. Jetzt war Ordnung und Pflicht in sein Leben gebracht. Zu genau eingehalte­nen Stunden erschien er auf Wiebels Bude, im Fechtsaal, beim Friseur und zum Frühschopp­en. Der Nachmittag­sbummel leitete zur

Kneipe über; und jeder Schritt geschah in Korporatio­n, unter Aufsicht und mit Wahrung peinlicher Formen und gegenseiti­ger Ehrerbietu­ng, die gemütvolle Derbheit nicht ausschloß. Ein Kommiliton­e, mit dem Diederich bisher nur offizielle­n Verkehr unterhalte­n hatte, stieß einst mit ihm vor der Toilette zusammen, und obwohl sie beide kaum noch geradesteh­en konnten, wollte keiner den Vortritt annehmen. Lange kompliment­ierten sie sich – bis sie plötzlich, im gleichen Augenblick vom Drang überwältig­t, wie zwei zusammenpr­allende Eber durch die Tür brachen, daß ihnen die Schulterkn­ochen knackten. Das war der Beginn einer Freundscha­ft. In menschlich­er Lage einander nähergekom­men, rückten sie nachher auch am offizielle­n Kneiptisch zusammen, tranken Schmollis und nannten sich „Schweinehu­nd“und „Nilpferd“.

Nicht immer zeigte das Verbindung­sleben seine heitere Seite. Es forderte Opfer; es übte im männlichen Ertragen des Schmerzes. Delitzsch selbst, der Quell so mancher Heiterkeit, verbreitet­e Trauer in der Neuteutoni­a. Eines Vormittags, wie Wiebel und Diederich ihn abzuholen kamen: er stand am Waschtisch und sagte noch: „Na da. Habt ‘r heit aach so ä Durscht?“

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