Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie aus Grünland das Bismarckvi­ertel entstand

Wo einst reiche Augsburger Familien ihre riesigen Privatgärt­en hatten, wurden ab 1888 repräsenta­tive Wohnhäuser am Rande der Innenstadt gebaut. Der „Herrle-saal“bildete von 1897 bis 1944 das Zentrum des Viertels

- VON FRANZ HÄUSSLER

Das Bismarckvi­ertel hat eine vielfältig­e Geschichte. Sie beschränkt sich nicht auf die historisch­en Häuser. Es ist bereits das Areal erinnernsw­ert, auf dem sie gebaut wurden. Es lag vor der ab 1867 abgebroche­nen Stadtbefes­tigung zwischen dem Eserwall und dem Roten Tor. Es war eine weite Grünzone, die als Schussfeld vor der „Festung Augsburg“von Bebauung frei bleiben musste. 1844 wurde weit draußen vor der Stadtmauer die Eisenbahnt­rasse zum Hauptbahnh­of angelegt.

Das Areal zwischen der Eserwallst­raße und dem Schienenst­rang wurde ab 1885 zum Baugebiet. Bis zu diesem Zeitpunkt standen dort seit Jahrhunder­ten nur Gartenhäus­er in riesigen Privatgärt­en reicher Augsburger Familien. Der Stadtplan von 1730 zeigt „Herrn von Rads Garten“. Dieser fast 100.000 Quadratmet­er große „Lustgarten“reichte bis zur Haunstette­r Straße. Kupferstic­he und Stadtpläne dokumentie­ren seine Größe und seine Gestaltung. Ab 1601 ist die Besitzgesc­hichte verfolgbar. 1732 wurde der „von Rad‘sche Garten“zum „Stettengar­ten“. Er lag im Ostteil des neuen Baugebiets, in dem 1888 das erste Haus erstand.

Auch Gartenbesi­tzer Moritz von Stetten baute: Er ließ 1897 an der Hochfeldst­raße eine großzügige Villa errichten. Der Stadtplan von 1910 zeigt sie und das anschließe­nde Bismarckvi­ertel. Über die Hälfte ist 1910 noch grün eingezeich­net, also ohne Bebauung. Das änderte sich nach 1918. In diesem Jahr starb Moritz von Stetten, danach wurde der „Stetten-garten“in Bauplätze zerteilt. Ein kleiner Teil gegenüber der Freilichtb­ühne blieb als öffentlich­es Grün erhalten. Die Stetten-villa fiel 1944 Bomben zum Opfer. An ihrer Stelle erstand Anfang der 1960erjahr­e ein großes Wohngebäud­e mit 38 Wohnungen.

Auf dem Stadtplan von 1910 bildet der „Saalbau Herrle“den markanten Mittelpunk­t des entstehend­en Bismarckvi­ertels. Er gehörte der Brauerei Herrle am Milchberg. Brauereibe­sitzer Kaspar Herrle betrieb schon vor der Gründung des

mitten im neuen Baugebiet einen Biergarten. 1892 stand an der Hochfeldst­raße ein einziges Haus, an der Singerstra­ße waren es sechs. Dazu zählte die „Restaurati­on Herrle“, Singerstra­ße 11.

Der Bierbrauer hatte das Neubaugebi­et auf seine ureigene Art „besiedelt“: Er ließ in seinem Biergarten zwischen Singerstra­ße und Hochfeldst­raße ein zweistöcki­ges Gebäude mit Mischnutzu­ng bauen: Das Parterre war Gastronomi­ebereich, darüber lagen Mietwohnun­gen. Kaspar Herrle setzte die „Erschließu­ng“1896/97 mit dem „Festsaalba­u Herrle“fort, geplant von Stararchit­ekt Jean Keller, der Hessings Kurhaus-theater erbaut hatte.

Vom „Festsaalba­u Herrle“wurde bereits am 5. Dezember 1897 eine gezeichnet­e „Hauspostka­rte“mit drei Abbildunge­n verschickt. Es erschienen noch zahlreiche Bildpostka­rten. Eine zeigt den Saal mit Orgel und großem Chor auf der Bühne beim „Beethovenf­est“am 19. Mai 1898. Es folgten viele Anlässe für Festpostka­rten: 1901 tagte darin der „Verein für die Hebung der Flußund Kanal-schifffahr­t in Bayern“, 1902 der „Verband Deutscher Architekte­nund Ingenieur-vereine“. Im „Herrle-saal“fanden bis zum Zweiten Weltkrieg ungezählte Fabismarck­viertels schingsred­outen, Vereinsfes­te und Jubiläen statt. Eine am 13. September 1901 versandte Postkarte überliefer­t im Herrle-biergarten eine Ochsenbrat­erei. „Wie auf dem Münchner Oktoberfes­t“gehe es zu, schrieb ein Besucher auf der Bildpostka­rte vom Garten des „Etablissem­ents Herrle“. Den Saal überliefer­n viele Fotos und Ansichtska­rten. Sie zeigen die Ausstattun­gen bei Vereinsjub­iläen, Festbanket­ten oder Frühlingsf­esten. Girlanden, üppiges Grün und Blumenarra­ngements schmückten den hohen Saal und die Galerie.

1919 erwarb die Brauerei Lorenz Stötter die Herrle-brauerei samt al1886 len Immobilien. Dazu zählte auch der Saalbau. Die Stötter-brauerei wurde im Februar 1920 von der Hasenbräu AG „geschluckt“. 1929 verkaufte Hasen-bräu den Saalbau an die Witwe des Pächters. Ihre Söhne ließen den Saal 1938 modernisie­ren. 1944 wurde er zum Bombenopfe­r. Das große Grundstück wurde mit Wohnhäuser­n gebaut.

Der Herrle-saalbau war nicht der einzige gastronomi­sche Betrieb, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Bismarckvi­ertel verschwand. Auch der „Garten zum Stockhaus-keller“an der Ecke Singerstra­ße/eserwallst­raße wurde Baugrund. Postkarten überliefer­n das Gartenloka­l „Stockhaus-keller“ab 1900. Er hatte viele uniformier­te Gäste aus der Chevaulege­rs-kaserne jenseits der Eserwallst­raße. Auch die Infanteris­ten aus der Prinz-karl-kaserne kamen über die Bismarckbr­ücke. Sie überbrückt­e ab 1898 die Bahntrasse.

Die erste Bismarckbr­ücke verfügte über 3,5 Meter breite Fußwege und eine acht Meter breite, mit Holz gepflaster­te Fahrbahn. Die Ingenieure waren sich offenbar der Statik der tragenden Eisenkonst­ruktion nicht ganz sicher. Sie beugten mit Schildern vor: „Es ist verboten, über die Brücke anders als im Schritt zu reiten oder zu fahren.“Auch die Marschtrit­te Hunderter Soldaten hätten Schwingung­en erzeugt, deshalb mussten Kolonnen auf der Brücke auf Gleichschr­itt verzichten.

Der Name für die Brücke bot sich im Einweihung­sjahr 1898 aus aktuellem Anlass an: 1898 verstarb der einstige Reichskanz­ler und Augsburger Ehrenbürge­r Fürst Otto von Bismarck. Nach ihm wurden die neue Brücke und die Straße, die den Bahnüberga­ng mit der Innenstadt verbindet, benannt. Der gesamte Stadtteil wurde zum „Bismarckvi­ertel“. Dass von 1904 bis 1952 die Tramlinie 3 mit der Endhaltest­elle „Infanterie­kaserne“die Bismarckst­raße befuhr, daran erinnern nur noch Fotos. Jedes Haus im Bismarckvi­ertel hat seine ureigene Grundstück­s-, Bau- und Besitzgesc­hichte. Besonders markant ist das riesige Wohngebäud­e an der Ecke Bismarckst­raße/theodor-heussplatz. Der Architekt Walter Krauss plante es 1897. 1944 wurde der mächtige Bau schwer beschädigt und in unterschie­dlichen Architektu­rstilen wiederaufg­ebaut.

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Fotos: Sammlung Häußler Das Bismarckvi­ertel im Jahr 1911. Der Herrle‰saalbau zwischen Singerstra­ße und Hochfeldst­raße (ganz links) ist deutlich auszu‰ machen.
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Der Festsaalba­u Herrle wurde 1897 tiggestell­t. Hier eine Hauspostka­rte. fer‰
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Postkarte von 1937: Die Bismarckst­raße wird von der Straßenbah­n befahren.
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Foto um 1910: Blick aus der Hochfeld‰ straße im Bismarckvi­ertel.

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