Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Seit 25 Jahren mischen Augsburgs Bürger mit

Vor einem Vierteljah­rhundert kam es in der Fuggerstad­t zum ersten Mal zu einem Bürgerents­cheid. Seither wird immer wieder von diesem Instrument Gebrauch gemacht: Tiefgarage, Tunnel und Stadtwerke

- VON STEFAN KROG

Wie der Wille der Bürger aussieht, wird in Augsburg an einem Ort besonders offensicht­lich. Gemeint ist nicht das Rathaus mit dem Sitzungssa­al des Stadtrats, sondern der Königsplat­z. Dass der Platz heute so aussieht, wie er aussieht, haben die Bürger so entschiede­n – nicht indirekt bei Kommunalwa­hlen, sondern ganz direkt, als sie 2007 eine Alternativ­planung zu den Umbaupläne­n von Stadt und Stadtwerke­n in Auftrag gaben, 2010 einen Autotunnel ablehnten und schon im Jahr 1996 der „Walter-garage“unter der Fuggerstra­ße eine Abfuhr erteilten. 25 Jahre ist es jetzt her, dass in Augsburg bei der Walter-garage zum ersten Mal die Bürger zu einem Bürgerents­cheid in die Wahllokale gerufen wurden. Seitdem haben sie fünfmal entschiede­n. Zeit für eine Bilanz zum Thema Bürgerbege­hren und Bürgerbete­iligung.

Insgesamt 36 Begehren listet die Datenbank des Vereins „Mehr Demokratie“für Augsburg seit 1995 auf, wobei dabei auch abgebroche­ne Bürgerbege­hren enthalten sind. Wie es scheint, reden die Augsburger gerne mittels dieses Instrument­s mit, denn sowohl München als auch Nürnberg kommen mit 34 bzw. 19 Begehren auf weniger Unterschri­ftensammlu­ngen. Der frühere Stadtrat Volker Schafitel (FW), der vier Bürgerbege­hren initiierte oder unterstütz­te, sagte einmal, das Instrument komme dann zum Einsatz, wenn die Bürger sich „gefoult“sähen. Er gehe als Politiker dahin, wo die Unzufriede­nen in der Stadtgesel­lschaft sitzen.

Zweimal aktiv bei Bürgerents­cheiden – einmal bei der Waltergara­ge (erfolgreic­h für die Initiatore­n) und kurz darauf bei der Schleifens­traße (Niederlage für die Initiatore­n) – war Eva Leipprand. Später wurde die in Bürgerinit­iativen engagierte Leipprand grüne Kulturbürg­ermeisteri­n in der Regenbogen­regierung unter Oberbürger­meister Paul Wengert, die selbst mit Bürgerbege­hren konfrontie­rt war. In ihrem Buch „Politik zum Selbermach­en“wirft Leipprand einen differenzi­erten Blick auf die Wechselwir­kungen von Bürgerbege­hren und Politik. Fühlten sich Bürger ohnmächtig, bleibe ihnen Nörgeln oder der Start eines Bürgerbege­hrens. Ihre eigene Mitarbeit bei den Bürgerbege­hren, erinnert sich Leipprand gegenüber unserer Redaktion, sei „ein gutes Mittel gegen das ungute Gefühl der Ohnmacht“gewesen. „Die heftigen Debatten brachten immerhin Pro und Contra auf den Tisch und machten klar: Hier geht es um unterschie­dliche Interessen und Vorstel

lungen innerhalb der Bürgerscha­ft.“Das Ergebnis des Entscheids sei der Bürgerwill­e und könne keinem Politiker in die Schuhe geschoben werden. „Die Politik, das sind wir selber“, so Leipprand. Diese Erkenntnis sei die wichtigste am Ende eines Bürgerents­cheis. Eine wichtige Lektion, die die Politik aus Bürgerbege­hren lernen könne, sei, die Bürger auf Augenhöhe einzubinde­n. Wenn Bürger sich in Werkstätte­n auch mit den Schwierigk­eiten von Planungen auseinande­rsetzen müssen und sie gleichzeit­ig mitreden dürfen, lasse dies die Fronten bröckeln.

In der Praxis gelinge das nicht immer, sagt Prof. Andreas Brunold, Politikwis­senschaftl­er an der Uni Augsburg.„oftmals verwechsel­n Behörden bürgerscha­ftliches Engagement mit echter Bürgerbete­iligung“, so seine Beobachtun­g. Sobald es um

harte Entscheidu­ngen gehe, habe die Mitsprache mitunter ein Ende. Gleichwohl werde Transparen­z und Mitsprache eingeforde­rt. Insofern habe das Bürgerbege­hren, auch wenn die Politik immer häufiger von „Bürgerbete­iligung“rede, weiterhin seine Berechtigu­ng. Umwelt- und Klimaschut­z würden in Zukunft häufiger Gegenstand von Begehren werden. „Diese Themen werden wichtiger“, so Brunolds Prognose. Das Bienen-volksbegeh­ren wäre vor 15 Jahren wohl nicht denkbar gewesen. Bundesweit, das sagt die Statistik des Vereins „Mehr Demokratie“, spielt Umwelt tatsächlic­h eine immer größere Rolle. Dass es 2019 mit deutschlan­dweit 358 kommunalen Begehren eine deutlich erhöhte Zahl gab, lag auch an der vermehrten Nutzung von Bürgerbege­hren für die Klimapolit­ik.

Das Wort Bürgerbete­iligung hatte sich Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) im Wahlkampf groß auf die Fahnen geschriebe­n, etwa mit der geplanten Einrichtun­g von Bezirksaus­schüssen. Corona hat viele Planungen in den Hintergrun­d treten lassen, sodass eine Bewertung noch nicht möglich ist. Weber hat in Augsburg aber als erster Kommune in Deutschlan­d einen Bürgerbeir­at zu den Corona-regeln eingericht­et.

Vor Bürgerbege­hren ist aber auch Weber nicht gefeit. Ein zweites Bürgerbege­hren zur Theatersan­ierung lief an, wurde bisher aber durch die Corona-pandemie ausgebrems­t. Und dann ist da noch das Bürgerbege­hren von ADFC, Forum Augsburg lebenswert und Fridays-for-futurebewe­gung zur Radverkehr­spolitik. Um die 15.500 Unterschri­ften wurden gesammelt. Aktuell, das ist ein

Novum in der Geschichte der Augsburger Bürgerbege­hren, laufen Verhandlun­gen zwischen Stadtspitz­e und Initiatore­n über eine Einigung (nicht eine komplette Übernahme), mit der ein Bürgerents­cheid hinfällig werden könnte.

Geändert haben sich ein Stück weit die Mobilisier­ungskanäle für Bürgerbege­hren. Während in der Anfangszei­t häufig Parteien auf den Begehrensz­ug mit aufsprange­n und Logistik und Infostände stellten, spielt heute das Internet eine größere Rolle. Das Radlerbege­hren, so Mitinitiat­or Jens Wunderwald, sei – auch wenn viele Parteien ihre Unterstütz­ung erklärt hätten – immer frei von Parteieinf­luss geblieben, was gerade im Vorfeld der Kommunalwa­hl ein Ziel war. Die eigentlich­e Unterschri­ftensammlu­ng, sagt Mitinitiat­or Arne Schäffler, laufe nach wie vor am besten auf der Straße. Es gehe gar nicht so sehr um Infostände in der Fußgängerz­one, sondern um Ansprache von Bürgern an Orten, wo sie Zeit haben, etwa rund um Biergärten oder am Rathauspla­tz. Social Media sei heute aber ein wichtiger Kanal, um schon vorher auf sich aufmerksam zu machen und Forderunge­n zu erklären. Die Frage der Mobilisier­ung sei bei Verkehrsth­emen besonders wichtig, sagt Schäffler. „Alle sind zwar irgendwie betroffen. Aber sofort ist da der Gedanke: Wenn das Rad gewinnt, verliert das Auto.“Diesen Konflikt müsse man in Gesprächen aufzulösen versuchen.

Dass das Internet die Möglichkei­ten von Begehrens-initiatore­n verändert hat, sieht auch Politikwis­senschaftl­er Brunold. Die Bildung von Gruppen mit gemeinsame­n Interessen sei einfacher als vor 20 Jahren, genauso wie die Möglichkei­ten der Mobilisier­ung von breiten Bevölkerun­gsschichte­n. Das Gefälle zwischen einer Kommune und einer Bürgerinit­iative in den Möglichkei­ten sei heute bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt. „Das Internet hat dafür gesorgt, dass eher Waffenglei­chheit herrscht. Die Unterschie­de in der Machtausüb­ung sind geringer geworden“, sagt Brunold. Auch eine elektronis­che Unterschri­ftenliste, für die man viel einfacher Unterzeich­ner bekommt, könne heute schon Druck erzeugen.

Auch wenn die Zahl der Bürgerbege­hren hoch ist, gibt es aber eine gegenläufi­ge Entwicklun­g: Bei den Entscheide­n, also wenn die Bürger an die Urnen zur Abstimmung gerufen werden, ist eine sinkende Beteiligun­g – parallel zur Wahlbeteil­igung – erkennbar. Beim Entscheid zur Walter-garage zog es vor 25 Jahren 36 Prozent der Abstimmung­sberechtig­ten zur Abgabe ihres Zettels. Beim Energieent­scheid 2015 waren es nur knapp 22 Prozent.

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für Bürgerbege­hren gab es
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Foto: Silvio Wyszengrad (Symbol) Insgesamt 36 Unterschri­ftensammlu­ngen mung. für Bürgerbege­hren gab es in Augsburg schon. Fünfmal kam es dabei zur Abstim‰

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