Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Seit 25 Jahren mischen Augsburgs Bürger mit
Vor einem Vierteljahrhundert kam es in der Fuggerstadt zum ersten Mal zu einem Bürgerentscheid. Seither wird immer wieder von diesem Instrument Gebrauch gemacht: Tiefgarage, Tunnel und Stadtwerke
Wie der Wille der Bürger aussieht, wird in Augsburg an einem Ort besonders offensichtlich. Gemeint ist nicht das Rathaus mit dem Sitzungssaal des Stadtrats, sondern der Königsplatz. Dass der Platz heute so aussieht, wie er aussieht, haben die Bürger so entschieden – nicht indirekt bei Kommunalwahlen, sondern ganz direkt, als sie 2007 eine Alternativplanung zu den Umbauplänen von Stadt und Stadtwerken in Auftrag gaben, 2010 einen Autotunnel ablehnten und schon im Jahr 1996 der „Walter-garage“unter der Fuggerstraße eine Abfuhr erteilten. 25 Jahre ist es jetzt her, dass in Augsburg bei der Walter-garage zum ersten Mal die Bürger zu einem Bürgerentscheid in die Wahllokale gerufen wurden. Seitdem haben sie fünfmal entschieden. Zeit für eine Bilanz zum Thema Bürgerbegehren und Bürgerbeteiligung.
Insgesamt 36 Begehren listet die Datenbank des Vereins „Mehr Demokratie“für Augsburg seit 1995 auf, wobei dabei auch abgebrochene Bürgerbegehren enthalten sind. Wie es scheint, reden die Augsburger gerne mittels dieses Instruments mit, denn sowohl München als auch Nürnberg kommen mit 34 bzw. 19 Begehren auf weniger Unterschriftensammlungen. Der frühere Stadtrat Volker Schafitel (FW), der vier Bürgerbegehren initiierte oder unterstützte, sagte einmal, das Instrument komme dann zum Einsatz, wenn die Bürger sich „gefoult“sähen. Er gehe als Politiker dahin, wo die Unzufriedenen in der Stadtgesellschaft sitzen.
Zweimal aktiv bei Bürgerentscheiden – einmal bei der Waltergarage (erfolgreich für die Initiatoren) und kurz darauf bei der Schleifenstraße (Niederlage für die Initiatoren) – war Eva Leipprand. Später wurde die in Bürgerinitiativen engagierte Leipprand grüne Kulturbürgermeisterin in der Regenbogenregierung unter Oberbürgermeister Paul Wengert, die selbst mit Bürgerbegehren konfrontiert war. In ihrem Buch „Politik zum Selbermachen“wirft Leipprand einen differenzierten Blick auf die Wechselwirkungen von Bürgerbegehren und Politik. Fühlten sich Bürger ohnmächtig, bleibe ihnen Nörgeln oder der Start eines Bürgerbegehrens. Ihre eigene Mitarbeit bei den Bürgerbegehren, erinnert sich Leipprand gegenüber unserer Redaktion, sei „ein gutes Mittel gegen das ungute Gefühl der Ohnmacht“gewesen. „Die heftigen Debatten brachten immerhin Pro und Contra auf den Tisch und machten klar: Hier geht es um unterschiedliche Interessen und Vorstel
lungen innerhalb der Bürgerschaft.“Das Ergebnis des Entscheids sei der Bürgerwille und könne keinem Politiker in die Schuhe geschoben werden. „Die Politik, das sind wir selber“, so Leipprand. Diese Erkenntnis sei die wichtigste am Ende eines Bürgerentscheis. Eine wichtige Lektion, die die Politik aus Bürgerbegehren lernen könne, sei, die Bürger auf Augenhöhe einzubinden. Wenn Bürger sich in Werkstätten auch mit den Schwierigkeiten von Planungen auseinandersetzen müssen und sie gleichzeitig mitreden dürfen, lasse dies die Fronten bröckeln.
In der Praxis gelinge das nicht immer, sagt Prof. Andreas Brunold, Politikwissenschaftler an der Uni Augsburg.„oftmals verwechseln Behörden bürgerschaftliches Engagement mit echter Bürgerbeteiligung“, so seine Beobachtung. Sobald es um
harte Entscheidungen gehe, habe die Mitsprache mitunter ein Ende. Gleichwohl werde Transparenz und Mitsprache eingefordert. Insofern habe das Bürgerbegehren, auch wenn die Politik immer häufiger von „Bürgerbeteiligung“rede, weiterhin seine Berechtigung. Umwelt- und Klimaschutz würden in Zukunft häufiger Gegenstand von Begehren werden. „Diese Themen werden wichtiger“, so Brunolds Prognose. Das Bienen-volksbegehren wäre vor 15 Jahren wohl nicht denkbar gewesen. Bundesweit, das sagt die Statistik des Vereins „Mehr Demokratie“, spielt Umwelt tatsächlich eine immer größere Rolle. Dass es 2019 mit deutschlandweit 358 kommunalen Begehren eine deutlich erhöhte Zahl gab, lag auch an der vermehrten Nutzung von Bürgerbegehren für die Klimapolitik.
Das Wort Bürgerbeteiligung hatte sich Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) im Wahlkampf groß auf die Fahnen geschrieben, etwa mit der geplanten Einrichtung von Bezirksausschüssen. Corona hat viele Planungen in den Hintergrund treten lassen, sodass eine Bewertung noch nicht möglich ist. Weber hat in Augsburg aber als erster Kommune in Deutschland einen Bürgerbeirat zu den Corona-regeln eingerichtet.
Vor Bürgerbegehren ist aber auch Weber nicht gefeit. Ein zweites Bürgerbegehren zur Theatersanierung lief an, wurde bisher aber durch die Corona-pandemie ausgebremst. Und dann ist da noch das Bürgerbegehren von ADFC, Forum Augsburg lebenswert und Fridays-for-futurebewegung zur Radverkehrspolitik. Um die 15.500 Unterschriften wurden gesammelt. Aktuell, das ist ein
Novum in der Geschichte der Augsburger Bürgerbegehren, laufen Verhandlungen zwischen Stadtspitze und Initiatoren über eine Einigung (nicht eine komplette Übernahme), mit der ein Bürgerentscheid hinfällig werden könnte.
Geändert haben sich ein Stück weit die Mobilisierungskanäle für Bürgerbegehren. Während in der Anfangszeit häufig Parteien auf den Begehrenszug mit aufsprangen und Logistik und Infostände stellten, spielt heute das Internet eine größere Rolle. Das Radlerbegehren, so Mitinitiator Jens Wunderwald, sei – auch wenn viele Parteien ihre Unterstützung erklärt hätten – immer frei von Parteieinfluss geblieben, was gerade im Vorfeld der Kommunalwahl ein Ziel war. Die eigentliche Unterschriftensammlung, sagt Mitinitiator Arne Schäffler, laufe nach wie vor am besten auf der Straße. Es gehe gar nicht so sehr um Infostände in der Fußgängerzone, sondern um Ansprache von Bürgern an Orten, wo sie Zeit haben, etwa rund um Biergärten oder am Rathausplatz. Social Media sei heute aber ein wichtiger Kanal, um schon vorher auf sich aufmerksam zu machen und Forderungen zu erklären. Die Frage der Mobilisierung sei bei Verkehrsthemen besonders wichtig, sagt Schäffler. „Alle sind zwar irgendwie betroffen. Aber sofort ist da der Gedanke: Wenn das Rad gewinnt, verliert das Auto.“Diesen Konflikt müsse man in Gesprächen aufzulösen versuchen.
Dass das Internet die Möglichkeiten von Begehrens-initiatoren verändert hat, sieht auch Politikwissenschaftler Brunold. Die Bildung von Gruppen mit gemeinsamen Interessen sei einfacher als vor 20 Jahren, genauso wie die Möglichkeiten der Mobilisierung von breiten Bevölkerungsschichten. Das Gefälle zwischen einer Kommune und einer Bürgerinitiative in den Möglichkeiten sei heute bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt. „Das Internet hat dafür gesorgt, dass eher Waffengleichheit herrscht. Die Unterschiede in der Machtausübung sind geringer geworden“, sagt Brunold. Auch eine elektronische Unterschriftenliste, für die man viel einfacher Unterzeichner bekommt, könne heute schon Druck erzeugen.
Auch wenn die Zahl der Bürgerbegehren hoch ist, gibt es aber eine gegenläufige Entwicklung: Bei den Entscheiden, also wenn die Bürger an die Urnen zur Abstimmung gerufen werden, ist eine sinkende Beteiligung – parallel zur Wahlbeteiligung – erkennbar. Beim Entscheid zur Walter-garage zog es vor 25 Jahren 36 Prozent der Abstimmungsberechtigten zur Abgabe ihres Zettels. Beim Energieentscheid 2015 waren es nur knapp 22 Prozent.