Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Langzeitar­beitslosig­keit ist ein schleichen­des Gift

Deutschlan­d hat wieder mehr als eine Million Menschen, die dauerhaft keinen Job finden. Und es werden mehr werden. Dieser Trend muss dringend gestoppt werden

- VON STEFAN KÜPPER kuep@augsburger‰allgemeine.de

Die Nachricht ging zuletzt nicht unter, aber so richtig Schlagzeil­en machte sie auch nicht. Hätte sie aber sollen: Deutschlan­d hat seit langer Zeit wieder mehr als eine Million Langzeitar­beitslose. Das ist eine Menge und weckt böse Erinnerung­en an jene ökonomisch öden Tage, als die Bundesrepu­blik der kranke Mann Europas war. Dahin will niemand zurück, weshalb schnell etwas unternomme­n werden muss. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil sagte zwar neulich, er sei zuversicht­lich gestimmt, dass der Arbeitsmar­kt in den nächsten Monaten „stabil“bleibe. Für die, die seit über zwölf Monaten keinen neuen Job finden, muss das nicht nach Aufbruch klingen. Und Experten rechnen damit, dass deren Zahl weiter steigt. Denn die, die in der Folge des ersten Lockdowns im März 2020, wegen

Corona, ihre Arbeit verloren und seither keine neue Stelle bekommen haben, erscheinen erst im April in der Statistik der Bundesagen­tur. Die bisherige Million plus x bildet also den Stand der Langzeitar­beitslosig­keit vor Corona ab. Heißt: Hinter der akuten Krise kostet der Strukturwa­ndel Jobs. Bei den Autozulief­erern zum Beispiel weiß man das schon länger.

Wir sind schlechte Neuigkeite­n nach einem Jahr im (wirtschaft­lichen) Ausnahmezu­stand gewöhnt. Diese aber ist eine, die besonders nachdenkli­ch machen sollte, denn Arbeitslos­igkeit kostet den Staat nicht nur Geld, sie ist vor allem ein Schicksals­schlag, ist toxisch, lähmend, macht – je länger sie dauert – die davon Betroffene­n krank. Aber die akute Krise mit ihren immer neuen Erforderni­ssen lässt das leicht in Vergessenh­eit geraten. Und wann sie bewältigt ist, erscheint in diesen Tagen ungewisser denn je. Die Wirtschaft­sweisen haben ihre Wachstumsp­rognosen diese Woche gesenkt. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) zog am Donnerstag deutlich nach.

Deutschlan­d impft zu langsam und die dritten Pandemie-welle kommt. Die wiederum wird die ebenfalls erwartete – aber wegen der ausgesetzt­en Insolvenza­ntragspfli­cht – Pleitewell­e nicht flacher machen. Bedeutet in der Summe: Bis die Wirtschaft – und der Arbeitsmar­kt – sich wieder erholen kann, wird es länger dauern als bisher gedacht. Wissen muss man auch: Fast 60 Prozent dieser bislang rund einer Million Langzeitar­beitlosen hat keinen Berufsabsc­hluss.

Natürlich steht Deutschlan­d – nicht zuletzt dank massiver Kurzarbeit – vergleichs­weise immer noch gut da. Aber den Langzeitar­beitslosen nützt das alles nichts. Was also tun? In welche Richtung es gehen kann, zeigt der Blick auf die, die gerade erst auf den Arbeitsmar­kt kommen. Weil 2020 im Vergleich zum Vorjahr elf Prozent weniger neue Ausbildung­sverträge abgeschlos­sen wurden, hat das Bundeskabi­nett diese Woche das Förderprog­ramm „Ausbildung­splätze sichern“erweitert. Die Regierung will verhindern, dass schon junge Menschen, angehende Azubis, Erfahrung mit der Langzeitar­beitslosig­keit machen. Wer als Unternehme­n in Schwierigk­eiten ist und dennoch ausbildet, bekommt eine Prämie. Das könnte ein Weg sein, abgesehen von einem – noch nicht wirklich absehbaren – massiven Aufschwung, versteht sich, der Jobs massenweis­e zurückbrin­gt.

Der Staat tut schon viel. Es gibt verschiede­nste Fördermögl­ichkeiten und auch neue Ansätze: Ein Stichwort lautet hier Reform der Grundsiche­rung.

Aber: Er sollte bald noch mehr Anreize schaffen, damit Unternehme­n denen, die wenig Chancen haben, einen Arbeitspla­tz geben. Durch weitere Qualifizie­rungsangeb­ote. Und es muss schnell gehen. In Zeiten, in denen der Staat viel Geld ausgibt, wäre das besonders gut investiert.

Es braucht mehr Anreize für Weiterqual­ifizierung

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