Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zwischen starken Flügeln

Der alte und neue Premier Mark Rutte wird es in seiner vierten Amtszeit schwerer haben als bisher. Ist der 54-Jährige kraftvoll genug für die Nach-pandemie-zeit?

- VON DETLEF DREWES

Den Haag Am Morgen nach der Wahl gab sich der alte und neue Ministerpr­äsident Mark Rutte kraftvoll. „Ich habe Energie für noch mal zehn Jahre“, sagte der 54-Jährige, der die Niederland­e seit 2010 regiert. Doch dafür müsste er erst mal die nächsten vier Jahre überstehen – und das könnte schwierig werden: Über 200 Tage hatte er schon nach der vorangegan­genen Wahl gebraucht, um eine Vier-parteien-koalition zu schmieden. Ob es jetzt mitten in der Corona-krise schneller gelingt eine Regierung zu bilden, ist offen. Denn im neuen Parlament sitzen nicht wie bisher 13, sondern 17 Parteien, weil es keine Fünf-prozent-hürde gibt.

Damit kann Rutte, der keine Angst vor Zersplitte­rung hat, sondern diese breite Beteiligun­g als Zeichen von Demokratie preist, durchaus leben: Seine Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) erreichte 35 (plus 2) der 150 Sitze in der Tweede

Kamer. Aber die Wahl hat das Land verändert: Es muss mit einer schwachen politische­n Mitte und zwei gestärkten Flügeln am rechten und linken Rand leben.

Zu den Wahlgewinn­ern gehört die linksliber­ale D66, die auf 24 Sitze kommt (bisher 19). Sie gehörte schon bisher Ruttes Kabinett an, pocht aber nun auf mehr Einfluss. Spitzenkan­didatin Sigrid Kaag, eine ehemalige Un-diplomatin, setzte im Wahlkampf auf moderne Klimapolit­ik und europäisch­e Positionen. Nun will sie das Gewicht der „progressiv­en Kräfte“stärker zur Geltung bringen und forderte Rutte auf, noch eine weitere Partei aus dem linken Spektrum ein zubinden.

Auch der rechte Flügel wurde unterm Strich gestärkt. Zwar büßte der vor allem im Ausland bekannte Geert Wilders mit seiner PVV mindestens drei Sitze auf jetzt 17 ein. Aber dafür erstarkte das Forum für Demokratie unter dem Nationalis­ten Thierry Baudet (acht Sitze, plus sechs) – und das trotz eines Streits um rassistisc­he und antisemiti­sche Positionen in den eigenen Reihen. Der 38-Jährige gilt als Shooting-star der rechtsradi­kalen Szene, man sagt ihm Kontakte zur amerikanis­chen Alt-right-bewegung nach. Hinzu kommt die von Baudet abgespalte­ne Partei JA21, sodass auf dem rechten Flügel ein Block von 29 Mandaten entsteht. Die Sozialdemo­kraten stabilisie­rten sich auf niedrigem Niveau bei neun Sitzen, Christdemo­kraten,

Grüne und Sozialiste­n mussten Verluste einstecken.

Die Blicke der Niederländ­er richten sich auf Premier Rutte. Der weiß, dass sowohl seine Regierung wie auch sein politische­s Programm unter Beobachtun­g stehen. In der Pandemie gilt der Rechtslibe­rale als Macher. Aber schon gestern kommentier­ten die großen Zeitungen, dass es Zeit werde, sich den übrigen Problemen im Lande zu widmen. „Während die Gesundheit­skrise hoffentlic­h bald überwunden ist, werden die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen noch heftig nachwirken“, schrieb die Amsterdame­r Zeitung De Telegraaf. Es sei entscheide­nd, dass die neue Regierung eine Perspektiv­e bietet. Darauf wird auch die EU setzen. Im Kreis der 27 Mitgliedst­aaten ist Ruttes Sonderroll­e als Frontmann der „Sparsamen Vier“nicht bei allen gut gelitten, weil der Premier eine immer härtere Konfrontat­ion zwischen dem Norden der Gemeinscha­ft und dem Süden aufbaut.

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Foto: dpa Als Krisenmana­ger geschätzt: In den Niederland­en bekommt Premier Mark Rutte eine vierte Amtszeit.

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