Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Auf Manuela Schwesig kann Olaf Scholz zählen
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-vorpommern hat ihre Krebserkrankung überwunden und ist politisch obenauf. Nicht nur in der Corona-krise und bei der Gasleitung Nord Stream 2 geht sie eigene Wege. Das schätzen die Bürger und das weckt in der SPD Hof
Berlin Als es knallt zwischen den Polit-platzhirschen Markus Söder (CSU) und Olaf Scholz (SPD), ist es nicht etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die reagiert. Dabei wäre es an ihr als Ranghöchste und Leiterin der Videorunde, für Ordnung zu sorgen. Spätnachts in der Corona-ministerpräsidentenkonferenz vor zwei Wochen hängt der Eklat, für den der bayerische Ministerpräsident gerade gesorgt hat, wie eine frisch geplatzte Stinkbombe im – virtuellen – Raum. Im Streit um den Härtefallfonds hat Söder den Finanzminister höhnisch gefragt, was dieser denn getrunken habe. Und ihn angeblafft: „Sie sind nicht der Kanzler von Deutschland.“Während Spd-kanzlerkandidat Scholz nur grinst, „schlumpfig“, wie zumindest Söder findet, sind selbst altgediente Landesfürsten sprachlos. Nur Manuela Schwesig reagiert prompt. „Was ist das denn für ein Auftreten, gerade von Ihnen?“, weist sie Söder zurecht.
Was auf den ersten Blick klingen mag wie ein Randaspekt einer kuriosen Anekdote, ist auf den zweiten Blick ein weiterer Beleg für eine Entwicklung, die sich seit Monaten abzeichnet: Die Regierungschefin von Mecklenburg-vorpommern, dem kleinen Bundesland am nordöstlichen Rand der Republik, spielt eine immer größere Rolle im Zentrum der deutschen Politik. In den Ministerpräsidentenkonferenzen zur Corona-lage zählt die 46-Jähriregelmäßig zu den prägendsten Stimmen. Immer wieder kritisiert sie den Kurs der Regierung, etwa wenn Kindergärten und Schulen schließen müssen, viele Betriebe aber fast unverändert weiterarbeiten dürfen. Manuela Schwesig geht eine Art Sonderweg, der aber nicht dazu führt, dass die Corona-lage außer Kontrolle gerät. Im Gegenteil. Mecklenburg-vorpommern kommt besser durch die Krise als andere Bundesländer. Die Infektionszahlen sind niedrig, obwohl die Schulen nur teilweise schlossen und Lockerungen im Handel früher begannen als anderswo. Auch bei den Impfungen kommt „Meckpomm“vergleichsweise gut voran.
Vor der nächsten Ministerpräsidentenrunde am Montag macht Schwesig schon einmal klar, dass sie es gar nicht einsieht, dass Urlaub zwar auf Mallorca, nicht aber in der Heimat möglich sein soll. Bei den Bewohnern des Küstenlands kommt diese Streitbarkeit gut an. Touristen, die die Schönheit der Ostsee oder der mecklenburgischen Seenplatte schätzen, sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Der große Rückhalt Schwesigs in der Bevölkerung hat nicht zuletzt mit der Art zu tun, wie sie mit eigenen Schicksalsschlägen umgeht. Im September 2019 macht sie ihre Brustkrebserkrankung öffentlich. Das Amt der kommissarischen Spd-bundesvorsitzenden, das sie gerade zusammen mit Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-gümbel innehat, gibt sie auf. Nicht aber ihren Ministerpräsidentenposten. „Die Kapitänin geht als Letzte von Bord. Irgendwie habe ich gedacht, das schaffst du jetzt auch noch“, sagt Schwesig später. Anfang 2020, die
Pandemie hat gerade begonnen, geht sie in das entscheidende letzte Drittel ihrer Krebstherapie. Sich ausgerechnet jetzt dem erhöhten Corona-infektionsrisiko auszusetzen, das die Berufspolitik mit sich bringt, ist lebensgefährlich. Doch im Mai 2020 kann Schwesig verkünden, dass ihre tückische Erkrankung vorerst besiegt ist.
Als amtierende Bundesfamilienministerin war Schwesig 2017 zurückgegangen nach Mecklenburgvorpommern, der Ministerpräsident war an Krebs erkrankt: Erwin Sellering, der politische Ziehvater der gelernten Finanzbeamtin. Die Jahre an der Küste und in der Verantwortung haben ihr gutgetan, sage gen hochrangige Beobachter aus der Bundes-spd. Einige hätten sie sogar Scholz vorgezogen, als es um die Kanzlerkandidatur ging. Auch an der Parteispitze sähen manche Genossen die verheiratete zweifache Mutter gern. Schwesig wirke heute souveräner, abgeklärter, politisch reifer als in ihrer Zeit als Bundesministerin. An der Aufgabe als Landeschefin sei sie gewachsen.
Im Schweriner Landtag führt sie eine Große Koalition, doch anders als im Bund ist die CDU nur Juniorpartner. Woran nie der Hauch eines Zweifels aufkommt. Scharf maßregelt sie etwa Ende 2020 ihren damaligen Stellvertreter Lorenz Caffier von der CDU, weil der sich eine
Jagdwaffe von einem Mann besorgt hatte, bei dem es sich um einen mutmaßlichen Angehörigen einer rechtsextremistischen Vereinigung handelt. Caffier tritt zurück. In Sachfragen aber hat das rot-schwarze Bündnis eine vernünftige Arbeitsebene gefunden, was Beobachter nicht zuletzt der bei aller Bestimmtheit auch ausgleichenden Art Schwesigs zuschreiben.
Wirklich kompromisslos gibt sich die evangelische Christin nur, wenn es um die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 geht. Die russische Gasleitung durch die Ostsee nach Greifswald steht kurz vor der Fertigstellung. Doch Kritiker sagen, das Projekt diene vor allem geostrategischen Interessen des Kreml und verstärke die Abhängigkeit Deutschlands von Russland im Energiesektor. Auch der neue Us-präsident Joe Biden wettert gegen die Pipeline und droht mit Sanktionen. Doch Schwesig bleibt stur und verteidigt die Röhre. Vielen Bürgern Mecklenburg-vorpommerns gefällt das: Eine streitbare Ministerpräsidentin, die sich konsequent für die Interessen des Landes einsetzt und dabei nicht einmal den Zorn der mächtigen USA scheut.
Viel hängt von Manuela Schwesig in den kommenden Wochen und Monaten auch für die Bundes-spd ab. Die Strategen in der Parteizentrale wissen, dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz ohne die richtigen Unterstützer chancenlos ist. Echten Rückenwind kann Scholz vor allem von den rar gewordenen Genossen erwarten, die in Regierungsverantwortung stehen, lange bekannt und vor allem in der politischen Mitte geschätzt sind. Leuten wie Stephan Weil aus Niedersachsen, die in Rheinland-pfalz eben erst siegreiche Malu Dreyer oder eben Manuela Schwesig. Auf ihr ruhen die Hoffnungen gerade im Osten, wo es die SPD besonders schwer hat, weil Linkspartei und AFD so stark sind.
Dass Schwesig alle Register ziehen und noch viel von sich reden machen wird, darf denn auch als gesichert gelten. Schon weil es auch für sie selbst am 26. September um alles geht: Gleichzeitig mit dem Bundestag wird nämlich in Mecklenburg-vorpommern der Landtag gewählt. Auf Schützenhilfe von Schwesig kann Olaf Scholz also weiter zählen – nicht nur, wenn Markus Söder mal wieder pampig werden sollte.
Sie war es, die Söder in der Videorunde zurechtwies