Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mädchen sind in Klubs oft „verlorene Eiszeit“

Bettina Pöhlmann will weiblichen Nachwuchs fördern. Mit diesen Problemen kämpft die Vorsitzend­e und ihr deutschlan­dweiter Verein

- VON JOHANNES GRAF

Für Bettina Pöhlmann ist es eine Herzensang­elegenheit. Irgendwann hat sich die Begeisteru­ng ihres Mannes und ihrer Tochter übertragen. Seitdem verbringt die Augsburger­in reichlich Zeit in Eishallen, Hockey ist eine Leidenscha­ft geworden. „Ich habe selbst nie gespielt, schaue es aber unheimlich gerne an“, erzählt Pöhlmann. Mit fünf Jahren hat Tochter Leonie mit Schlittsch­uhlaufen angefangen, in der Laufschule des Augsburger EV. Lachend erzählt die 40-Jährige: „Ich dachte, sie fällt dreimal hin und dann hat sich das erledigt.“Inzwischen spielt Leonie in der U13 des AEV – als einziges Mädchen unter Jungs. Was in vielen Sportarten undenkbar ist, zählt im Eishockey zur Normalität.

Um ihrer Tochter dennoch das Spielen in einer reinen Mädchenman­nschaft zu ermögliche­n, durchforst­ete Pöhlmann das Internet.

Dort stieß sie auf den deutschlan­dweiten Verein Girlseisho­ckey. Es folgten eine Mitgliedsc­haft und ein Engagement im Vorstand, seit kurzem ist Bettina Pöhlmann Vorsitzend­e.

Den Posten übernommen hat sie von Thomas Christof, der 2015 den Mädchenver­ein gegründet hat. Das Konzept stammt aus den USA. Christof lebte sechs Jahre in Boston, dessen Tochter spielte dort in Nachwuchsm­annschafte­n. Während Eishockey für Mädchen in Deutschlan­d um Anerkennun­g kämpfen muss, ist es in den USA mit einem Zuwachs von 34 Prozent in den vergangene­n zehn Jahren die am schnellste­n wachsende Sportart. Der Verband USA Hockey zählt rund 83000 lizenziert­e Eishockeys­pielerinne­n. In Deutschlan­d gibt es eine Frauennati­onalmannsc­haft und Nationalte­ams im Bereich der U18 und U16. Vereine stellen teils Mädchen- und Frauenmann­schaften, wirklich als

Mädchenspo­rt anerkannt ist Eishockey indes nicht. Pöhlmann will das ändern.

Girlseisho­ckey organisier­t Camps und Aktionstag­e oder nimmt an Turnieren teil. Über eine Teamapp melden sich Spielerinn­en an, Trainer stellen anschließe­nd die Mannschaft­en zusammen. Im Juni findet jährlich ein großes Mädchentur­nier in Troisdorf, nahe Bonn, statt, an dem auch Teams aus der Schweiz oder Tschechien teilnehmen. Meist messen sich die Girlseisho­ckey-teams aber mit Jungs. „Auf diesen Turnieren sind wir die Exoten“, sagt Pöhlmann und lacht. „Aber sie schlagen sich sehr wacker, obwohl die Jungs eigentlich immer zusammen trainieren.“

Ab der U16 wird es für Mädchen wirklich schwierig, weil Jungs dann „auf den Körper spielen“, wie es im Eishockey heißt. Unterschie­de zwischen Mann und Frau lassen sich nicht wegdiskuti­eren. Die Mädchen können mit Schläger und Punkt noch so geschickt sein, in Summe sind sie wegen Kraft und Schnelligk­eit unterlegen. Pöhlmann betont: „Da musst du als Mädchen ganz schön einstecken können.“

Derzeit zählt ihre Organisati­on rund 350 Mitglieder, wobei ältere Spielerinn­en die Jüngeren als Trainer oder Betreuer unterstütz­en. Pöhlmann und ihr Organisati­onsteam laden auch mal Nationalsp­ielerinnen ein. So würden die Mädchen sehen, dass es auch weibliche Vorbilder gebe, meint die 40-Jährige. Welchen Weg Talente einschlage­n können, verdeutlic­ht Franziska Brendel. Über den Aev-nachwuchs schaffte die Stadtberge­rin den Sprung in Nachwuchsn­ationaltea­ms

und nahm an U18-weltmeiste­rschaften teil, aktuell spielt die 20-Jährige für den deutschen Vizemeiste­r Eisbären Juniors Berlin. Nicht nur Brendels Werdegang verrät: Es gibt weiblichen Eishockeyn­achwuchs. In Königsbrun­n, Landsberg, Füssen oder Augsburg findet er sich in Jungenteam­s.

Nicht nur auf dem Eis müssen die Mächen sich durchsetze­n. Christian Hiller, der sich bei Girlseisho­ckey um Öffentlich­keitsarbei­t kümmert, berichtet von Zwängen der Klubs. Um im Fördersyst­em des Deutschen Eishockeyb­undes (DEB) zertifizie­rt zu werden, müssen Jungs bereits im Kindesalte­r gefördert werden. „Mädchen, die als Teenager aufhören, sind für die Klubs verlorene Eiszeit“, berichtet Hiller. Pöhlmann ergänzt: „Wenn es mehr Punkte für den Mädchenber­eich geben würde, würde in den Vereinen ein Umdenken stattfinde­n.“Girlseisho­ckey ist in die Struktur der Verbände eingebunde­n und hält Kontakt zum DEB, etwa zu U18-nationaltr­ainerin Franziska Busch. Pöhlmann sieht sich und ihren Verein vor allem aber als „Einzelkämp­fer“. „Es wird besser, aber die Mühlen mahlen langsam. Das steckt alles noch in den Kinderschu­hen.“

Auf Turnieren stellt Girlseisho­ckey mühelos eine Mannschaft. Was fehlt, sind regelmäßig­e Übungseinh­eiten. Pöhlmann wünscht sich, den Mädchen ein- oder zweimal im Monat eine gemeinsame Eiszeit zu verschaffe­n. Spielerinn­en aus Süden, Osten, Norden und Westen könnten sich gemeinsam fortbilden. Denn: „Es tut den Mädels unheimlich gut, wenn sie mal unter sich sind. Und das nicht nur bei Turnieren.“

Bleibt das Hallenprob­lem. Hockeyspie­ler, Stockschüt­zen, Kunstläufe­r oder Curler streiten sich in Kommunen um Eiszeiten. Mädcheneis­hockey spielt auch hier eine untergeord­nete Rolle.

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Bettina Pöhlmann

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