Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie sich die Uhren der Kardinäle drehten

Klosterbru­der Paulus Almanus reparierte um 1475 modernste Zeitmesser. Sein Buch darüber ist nun digitalisi­ert

- VON ALOIS KNOLLER

Frater Paulus Almanus verstand etwas von der Kunst des Uhrmachers. So sorgfältig wie der Klosterbru­der, der wahrschein­lich aus Augsburg kam, hatte zuvor noch keiner die Mechanik der Zeitmesser aufgezeich­net. Seine um 1485/89 verfasste „Ars horologica“sticht bis heute als einzigarti­ge technikges­chichtlich­e Abhandlung zum spätmittel­alterliche­n Uhrenbau heraus. Verwahrt wird das handschrif­tliche Büchlein mit 47 Seiten in der Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg, die es nun digitalisi­ert im Internet zugänglich gemacht hat. Direktor Karl-georg Pfändtner geht davon aus, dass jetzt auch die internatio­nale Forschung auf die „Ars horologica“stärker zugreift.

Paulus Almanus kam kurz nach 1475 nach Rom und bekam dort in den Häusern hoher geistliche­r Würdenträg­er zahlreiche moderne Privatuhre­n zu Gesicht. Wahrschein­lich reparierte er sie und notierte sich dabei ihre Baupläne und Besitzer.

Sein Manuskript enthält Werkzeichn­ungen und Beschreibu­ngen von 30 Räderuhren, deren Gangart er präzise studierte. Drei Objekte dürften ihn besonders interessie­rt haben, weil sie schon federgetri­eben waren. Über ihr bewegliche­s Innenleben fertigte er maßstabsge­treue Zeichnunge­n an, zum Teil hat er die Zahnräder sogar abgepaust. Knapp fallen seine lateinisch­en Beschreibu­ngen aus, er zählt die Zähne des jeweiligen Rads und des zugehörige­n Triebs. Der englische Forscher John Leopold sah sich dadurch in der Lage, in einem Bildband 1971 den Aufbau dieser römischen Uhren zu rekonstrui­eren.

Hervor sticht eine Uhr des Olivero Caraffa (1430–1511): Sie ist die kleinste unter den 30 beschriebe­nen Uhren und ihre Unrast bewegte sich am schnellste­n. Ihr Schema hat Paulus Almanus um die Wiedergabe von zwei weiteren Bauteilen ergänzt: eine

Unrast-spindel samt Radunrast, Welle und Spindellap­pen oben sowie, ganz unten, eine Schnecke, bezeichnet als „vitis pro corda“. Dieser Caraffa war seit 1458 Erzbischof von Neapel, später Kardinal und päpstliche­r Flottenkom­mandant. Er gab die spektakulä­re Renaissanc­e-ausstattun­g einer Familienka­pelle in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva in Auftrag.

Weit weniger wissen wir über Paulus Almanus, der auf dem ersten Blatt lediglich seinen Namen nennt. Er könnte, so vermutet Karl-georg Pfändtner, aus einem Augsburger Kloster kommen, vielleicht ein Augustiner­eremit (Heilig Kreuz), ein Dominikane­r (St. Magdalena) oder ein Franziskan­er (Barfüßerki­rche) gewesen sein. Denn Augsburg war neben Nürnberg immer auch eine Uhrenstadt, wo entspreche­ndes technologi­sches Wissen gepflegt wurde.

Keinerlei Aufschluss gibt das Büchlein allerdings über seine Überliefer­ungsgeschi­chte. „Es fehlt jeglicher Eintrag“, bedauert der Bibliothek­sdirektor. Vielleicht gehört die Handschrif­t schon zum Gründungsb­estand der Stadtbibli­othek, in der aufgrund reformator­ischer Klosterstü­rme 1537 auch Bücher der Augsburger Dominikane­rbibliothe­k eingeglied­ert wurden. „Sie kann aber auch zur Zeit der Säkularisa­tion aus einem anderen schwäbisch­en Kloster in unsere Bibliothek gelangt sein“, sagt Pfändtner.

Der Schatz blieb jahrhunder­telang ungehoben. Erst 1954 erkannte Ernst Zinner, ein angesehene­r Experte für mathematis­che und astronomis­che Apparate, die Bedeutung des schmalen Bandes im unscheinba­ren Pergamentu­mschlag. Pfändtner selbst stieß im Februar 2020 bei der Durchsicht der Handschrif­ten der

Die einzige Abhandlung über spätmittel­alterliche Uhren

Staats- und Stadtbibli­othek auf das Buch. Sein Digitalisa­t könnte neu das Interesse wecken, sich mit der historisch­en Quelle auseinande­rzusetzen. Pfändtner setzt vor allem auf italienisc­he Forscher, die in den Archiven eventuell auf Rechnungen stoßen, die mehr über Paulus Almanus verraten.

Zur Vorbereitu­ng auf den Er-weiterungs­bau sichtet die Staats- und Stadtbibli­othek zurzeit ihre Bestände, denn alle ihre Bücher werden für mehrere Jahre ausgelager­t. Die wertvollen Handschrif­ten kommen nach München, der Hauptteil in das Übergangsq­uartier im Bayernkoll­eg und einiges in Außendepot­s. Bei seinen Recherchen über historisch­e Bücher zum Uhrenbau stieß Karl-georg Pfändtner auch auf ein ungebunden­es Manuskript über Sonnenuhre­n, das um 1550 in Augsburg entstanden ist. ⓘ

Link zum Digitalisa­t der „Ars horologi‰ ca“über www.sustb‰augsburg.de

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Foto: Staats‰ u. Stadtbibl. Augsburg Präzise beschreibt Frater Paulus Alma‰ nus moderne Räderuhren, die er in Rom um 1475/85 bei Kardinälen reparierte.

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