Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Krise schweißt Mutter und Tochter zusammen
Magdalena Bauer hat ihr Leben komplett umgekrempelt, um ihre kranke Mutter zu schützen. Denn Iris Bauer ist Hochrisiko-patientin – und sie macht sich jetzt wiederum große Sorgen um ihre Tochter
Iris Bauer ist das, was man eine Hochrisiko-patientin nennt. Sie hat seit Jahrzehnten schwere Probleme mit ihrem Immunsystem. „Wo sich andere einen Schnupfen holen, bekomme ich eine Lungenentzündung“, sagt sie. Dass ihre natürliche Schutzbarriere gegen Krankheitserreger nicht funktioniert, damit hatte sich Iris Bauer arrangiert. „Mit genügend Vorsicht habe ich mein Leben leben können.“Doch seit Corona ist alles anders. Von den vielen Problemen, die sich im Alltag auftun, ist zunehmend auch das Leben ihrer 19-jährigen Tochter Magdalena betroffen. Nach rund einem Jahr Pandemie ziehen die beiden Frauen eine sehr persönliche Bilanz, die betroffen macht. Auch deshalb, weil sie im Grunde sehr positive Menschen sind, die vieles wegstecken können.
Medikamente braucht Iris Bauer das ganze Jahr über. Aber vor Corona konnte sie regelmäßig in den Süden fahren. Sonne tanken im milden Klima, das half ihr, daheim besser durch den kalten, nassen Winter zu kommen. „Das hat mein Leben lebenswert gemacht“, sagt sie.
Wegen Covid-19 muss sie seit einem Jahr auf solche Reisen verzichten. Aber noch schlimmer: Seither lebt Iris Bauer daheim fast vollständig in Isolation, um Infektionsrisiken zu vermeiden. Zwar ist sie froh, dass ihre Familie sie unterstützt – Ehemann Thomas Bauer arbeitet im Homeoffice und Tochter Magdalena studiert demnächst im zweiten digitalen Semester daheim. Trotzdem wird das Leben in Zeiten der Pandemie für die Bauers zunehmend schwieriger.
Seit vielen Monaten konnte Iris Bauer ihre Mutter nicht mehr besuchen, sondern nur noch mit ihr telefonieren. Über Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände sagt sie: „Ein Zahnarztbesuch war für mich der Höhepunkt des vergangenen Jahres.“Dabei mag sie es, Menschen zu treffen und gute Gespräche mit anderen zu haben. „Ich habe mir vorher nicht vorstellen können, was die Isolation mit mir macht.“Persönliche Begegnungen seien für sie unersetzbar. Als sie das am Telefon sagt, lacht sie. Trotzdem spürt man, dass sie innerlich aufgewühlt und den Tränen nahe ist.
Die größten Sorgen macht sich Iris Bauer aber nicht um sich selbst, sondern um ihre Tochter Magdalena. Die 19-Jährige habe nicht das Leben, das sie in ihrem Alter haben sollte, sagt sie. Aus Rücksicht auf ihre Mutter hat die Studentin ihren eigenen Alltag ebenfalls komplett umgekrempelt. „Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich sie mit Corona anstecken würde“, sagt sie.
Bis zum Abitur im vergangenen Frühjahr war Magdalena Bauer noch sehr zuversichtlich, sich mit den Problemen der Pandemie arrangieren zu können. Im Ringeisen-gymnasium Ursberg konnte sie in der Abschlussklasse schnell und unkompliziert auf Homeschooling umschwenken. Beim Abi bekam sie einen eigenen Prüfungsraum und sogar eine separate Toilette zugeteilt, um Ansteckungsgefahren für sie und ihre kranke Mutter zu vermeiden.
Dann kam der Wechsel an die Uni Augsburg, wo sie fürs Lehramt am Gymnasium Spanisch und Englisch studiert. Und auch dort war die Studienanfängerin zunächst froh, dass der
Campus wegen Corona weitgehend geschlossen wurde. Mit den digitalen Vorlesungen daheim am Laptop fühlte sie sich auf der sicheren Seite. „Alle meine Lehrveranstaltungen waren digital und ich konnte sogar in der Bibliothek E-books herunterladen.“Umso schlimmer war für sie die Nachricht, dass sie nun zusammen mit vielen anderen Lehramtsstudenten eine Präsenzprüfung in Erziehungswissenschaften schreiben sollte. „Das geht gar nicht für mich“, sagt Magdalena Bauer, die sich wegen der besonders ansteckenden Virus-mutationen derzeit noch mehr Sorgen um ihre Mutter macht.
Ein Ansprechpartner der Universität bot ihr an, man wolle eine Lösung für die Präsenzprüfung finden. Doch das Risiko, in öffentlichen Verkehrsmitteln nach Augsburg zu fahren und auf dem großen Campus anderen Studenten zu begegnen, war der Tochter der Hochrisiko-patientin zu groß. Ihr sei nichts anderes übrig geblieben, als auf die Teilnahme an der Klausur zu verzichten und die Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, sagt sie. Das soll für Studierende ohne Nachteile möglich sein. Trotzdem befürchtet Magdalena Bauer, dass sie wertvolle Zeit verliert. „Es ist einfach ärgerlich, man hat ein Ziel vor Augen und es rutscht immer weiter weg.“
Die 19-Jährige versucht, auch mitten in der Krise das Positive zu sehen. Die Familie könne, so gut es geht, für sich sorgen, sagt sie. Im Alltag gestaltet sich das allerdings einigermaßen kompliziert. Wenn Magdalena mit ihrem Vater in den Supermarkt zum Einkaufen fährt, trägt sie nicht nur Maske. Alles, was im Einkaufswagen liegt, wird gleich anschließend auf dem Parkplatz im Kofferraum des Autos ausgebreitet und desinfiziert. „Man kriegt blöde Blicke ab, aber na ja“, sagt Magdalena. Wieder daheim, waschen sich die beiden nicht nur die Hände, sie wechseln aus Gründen der Hygiene auch noch ihre Kleidung.
Dass andere Menschen ihr Verhalten seltsam finden und entsprechende Kommentare abgeben, damit kommt die 19-Jährige klar. „Wenn ich aber Leute trotz Maskenpflicht ohne herumlaufen sehe, dann habe ich dafür kein Verständnis“, sagt sie. „Warum können sich die, die nicht betroffen sind, nicht in andere hineinversetzen?“
Die Studentin erlebt gerade selbst, wie schwer es ist, mit Rücksicht auf andere durchzuhalten und dabei nicht zu verzweifeln. Ihre Schulkameraden hat sie zum letzten Mal bei der Verleihung der Abiturzeugnisse im Mai 2020 getroffen. Nach einem Jahr ohne Campusleben an der Uni würde sie endlich gerne ihre Kommilitonen näher kennenlernen. „Aber heimlich Freunde treffen und feiern, das kommt für mich nicht infrage.“
Mit den anderen sei sie zwar über Skype in Kontakt, erzählt die 19-Jährige. „Aber es gibt Tage, da würde man schon mal gerne seine beste Freundin in den Arm nehmen.“Überhaupt hatte sie sich noch vor einem Jahr ihr künftiges Leben ganz anders vorgestellt. „Ich hab mich so auf die Zeit nach dem Abi gefreut.“Auf die neue Freiheit als Studentin, auf nette Partys und darauf, dass ihr nun die Welt offen steht. „Alles das, was früher nach dem Abitur üblich war, kenne ich nur vom Hörensagen“, erzählt sie am Telefon mit schwankender Stimme.
Die 19-Jährige braucht derzeit einen eisernen Willen, um nicht aufzugeben. „Ich habe in Zeiten von Corona das Abi geschafft, jetzt ziehe ich auch das Studium durch“, hat sie sich vorgenommen. Wahrscheinlich müssen Vater, Mutter und Tochter ihre weitgehende Isolation aber noch länger durchhalten. Wann sie einen Impftermin bekommen, ist noch nicht absehbar. Iris Bauer sagt, weil ihre Immundefekte als nicht behandelbar gelten, sei sie nicht in der höchsten Risikogruppe eingestuft. Tochter Magdalena rechnet damit, dass sie erst im Herbst an der Reihe sein könnte.
Um sich zu motivieren, hat sie sich vor einigen Tagen ihre persönliche „After-corona-liste“zusammengestellt. Was steht ganz oben? Mit den Eltern in den Urlaub fahren, ein Mädelsabend und mit einem Kumpel in den Klettergarten gehen.