Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Damit sich Juden nicht fürchten müssen

Die Augsburger Friedensge­spräche suchen nach einem Ausweg aus dem Antisemiti­smus

- VON ALOIS KNOLLER

Darf die sogenannte Judensau am Portal alter Kirchen bleiben? Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, sagt: Sie gehört ins Museum mit historisch­er Einordnung, denn „sie propagiert die absolute Erniedrigu­ng jüdischer Menschen“. Bei den Augsburger Friedensge­sprächen am Mittwochab­end im digitalen Format räumte sie ein, dass die Kirchen für immer Schuld auf sich geladen haben, indem sie über Jahrhunder­te dem Antisemiti­smus Vorschub leisteten. „Dramatisch war von Anfang an der Versuch der Christen, sich vom Judentum abzusetzen bis hin zur Verachtung“, sagte Käßmann.

Wie sollen wir die alten Vorurteile überwinden und zu einem gedeihlich­en Miteinande­r kommen? Hehre Worte genügen nicht, mahnte Oberbürger­meisterin Eva Weber als Einstieg des Friedensge­sprächs. „Nur wenn wir uns in Wertschätz­ung

begegnen, können wir ein Miteinande­r leben.“Dazu gehört, sich wahrnehmen und zuzuhören. Genau dies geschah an diesem Abend, wenn auch zusammenge­schaltet aus vier entfernten Städten und moderiert im Fürstenzim­mer des Rathauses von der Rundfunkjo­urnalistin Shahrzad Eden Osterer.

Rabbiner Henry G. Brandt, der Augsburger Ehrenbürge­r, sah in einem religiös grundierte­n Antisemiti­smus die Urform, die andere Spielarten befeuert hat. Christlich­er Mission standen die Juden im Wege, sodass die Christen sagten: Wir sind jetzt Besitzer des Hauses, das sie gemeinsam mit den Juden bewohnten. Die Kette unseliger Tradition werde dann unterbroch­en, wenn verkündigt wird, was die Religion eigentlich lehrt, nämlich Liebe und Vergebung. Heute geht es laut Brandt allerdings weniger um Christen und Juden. „In einer global vernetzten Gesellscha­ft geht es um jeglichen Hass, der gegen andere Religionen geschürt wird. Wo Gotteshäus­er brennen, müssen wir alle gemeinsam das Phänomen bekämpfen.“

Freilich nicht nur oberflächl­ich, betonte der muslimisch­e Psychologe Ahmad Mansour. Er verlangte von den Imamen, dass sie im Freitagsge­bet auch für das Existenzre­cht Israels eintreten und dem Judenhass abschwören, den Stellen im Koran begründen. Islamistis­cher Antisemiti­smus sei zurzeit die größte Bedrohung in Europa. „Diskrimini­erende Erfahrunge­n erklären nicht, wenn sich Muslime radikalisi­eren“, wies Mansour die beliebte Ausrede ab. Antisemiti­smus gehöre als Thema in die Integratio­nskurse der Flüchtling­e aus Nahost. Eine vielfältig­e Gesellscha­ft bringe nun einmal Herausford­erungen mit sich. „Das Einzige, was gegen Rassismus hilft, ist die Begegnung auf Augenhöhe“, stellte der Psychologe fest. Mansour schlug vor, dass die Kinder im Religionsu­nterricht zusammenbl­eiben. Nur sachliches Wissen helfe, um die tradierten Vorurteile abzubauen.

Auch bei Josef Schuster, dem Präsidente­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, steht der Dialog ganz oben. Das Projekt „Schalom Aleikum“führt Menschen unterschie­dlicher Religionen zusammen, die etwas verbindet: Gastronome­n im Lockdown, Mediziner, Studierend­e. Die meisten in Deutschlan­d

hätten freilich kaum Gelegenhei­t, in Kontakt mit Juden zu kommen, denn mit 100000 Mitglieder­n ist die jüdische Gemeinscha­ft recht klein. Angesichts von 1700 Jahren jüdischen Lebens sollte ihre Existenz in Deutschlan­d doch mehr Selbstvers­tändlichke­it gewinnen. „Wir wollen nicht immer Opfer sein. Juden haben viel beigetrage­n zum Wohl der Deutschen.“Schuster sorgt sich aber, dass bei den Corona-leugnern die Mythen einer jüdischen Verschwöru­ng wieder erstarken. „Man getraut sich heute wieder, Dinge zu sagen…“

Was also ist zu tun, um Judenfeind­schaft zu überwinden? Margot Käßmann forderte von den Kirchen eine kritische Besinnung: Was predigen wir? Welche Geschichte­n vererben wir weiter? Ahmad Mansour setzte seine Hoffnung auf „mehr Empathie und Demokratie-erziehung“. Henry Brandt verbat sich Parallelge­sellschaft­en: „Wer hier in Deutschlan­d lebt, sollte auch unsere Werte anerkennen.“

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Foto: dpa Antisemiti­smus ist ein aktuelles Pro‰ blem: Blumen vor der Hamburger Syna‰ goge, wo im vergangene­n Herbst ein An‰ griff auf einen jüdischen Studenten statt‰ gefunden hatte.

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