Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Aus Liebe zu den Trams wurde er zum Tüftler
Michael Tusch baut seit über 40 Jahren historische Straßenbahnen nach. Dabei stellt er hohe Anforderungen an sich. Seine Leidenschaft für die Fahrzeuge begann, als er ein kleiner Bub war
Wenn Michael Tusch einst als kleiner Bub mit seiner Mutter von Pfersee in die Innenstadt zum Einkaufen lief, gab es immer Ärger. Am Hauptbahnhof wollte er sich lieber die Züge ansehen, spätestens am Königsplatz flossen bei ihm die Tränen. Tusch wollte unbedingt bei den Straßenbahnen bleiben, doch die Mutter zog ihn weiter. Auf dem Rückweg aber war er das glücklichste Kind. Dann durfte er mit seiner Mutter und den Einkäufen die Straßenbahn zur Wohnung in Pfersee nehmen. Die Leidenschaft für die Straßenbahnen ist Michael Tusch nicht nur geblieben. Man kann sagen, der 75-Jährige widmet den Schienenfahrzeugen quasi sein Leben. Der Rentner baut historische Augsburger Trams in einer Akribie und in einem Aufwand nach, die manchem Menschen den Mund offen stehen lässt.
Sein größter Schatz ist 1,10 Meter lang, 65 Zentimeter hoch und 20 Zentimeter breit und kann fahren: Das Straßenbahnmodell ist cremefarbig lackiert, die Leisten sind im typischen Augsburg-grün, auf den Seiten des Wagens prangt das Stadtwappen mit der Zirbelnuss, die Sitzbänke sind aus Holz. Zehn Jahre hat Michael Tusch gebraucht, um den sogenannten Schwendwagen, der Ende der 30er-jahre durch Augsburg fuhr, originalgetreu im Maßstab von 1:10 nachzubauen. Das gute Stück steht in einer Glasvitrine in seinem Arbeitszimmer. Tusch schützt es vor den Tieren. Denn der Augsburger hat noch ein weiteres ungewöhnliches Hobby.
Seit vielen Jahren zieht er Spatzenküken auf, die im Garten seines Nachbarn immer wieder aus den Nestern fallen. Momentan fliegen vier Vögel durch seine Wohnung. Käfige kommen für Tusch nicht in Frage. Die Vögel sollen frei sein. „Die Putzi etwa habe ich schon seit zehn Jahren. Die hängt so an mir“, sagt der Rentner mit den grauen Haaren und lacht. „Wenn ich abends auf dem Sofa liege, setzt sie sich an meinen Hals und schläft.“Ja, er habe halt nicht nur einen Vogel, scherzt der Mann, der einst bei der Bayerischen Versicherungskammer in München als Programmierer arbeitete. Fast liebevoll fällt sein Blick auf das Tram-modell hinter Glas.
„Augsburg hatte so tolle Wagen“, schwärmt er. Früher habe noch jede Stadt ihre eigenen Straßenbahnen
lassen. „Nicht so wie der Combino heutzutage, der durch viele Städte fährt.“Besonders schön am Schwendwagen findet er die elegante Formgebung. Die Farben, die Tusch für das Modell verwendete, seien original. „Die habe ich von der Straßenbahnwerkstatt in der Baumgartenstraße“, erzählt der Pferseer. Dort habe es ihn bereits als Kind schon oft hingelockt.
„Als Bub ging ich immer unter Bauchschmerzen zur Werkstatt. Manchmal lief es gut, aber genauso oft wurde ich rausgeschmissen“, erinnert er sich und grinst. Bislang hat Tusch nur den Schwendwagen fertig gestellt. Wobei das „nur“eine relative Bedeutung hat. Schließlich hat der Pferseer mehrere Jahre daran gewerkelt. „Manches Teil habe ich drei bis vier Mal machen müssen, bis ich damit zufrieden war. Ich habe das ja nicht gelernt.“Wie sich der Rentner in die Materie des Modellbaus hineingefuchst hat, ist bemerkenswert. Zumal er an sich die größten Anforderungen stellt. „Alles muss originalgetreu sein. Sonst brauche ich damit gar nicht anzufangen.“Vier Jahre lang, erzählt Michael Tusch, sei er früher jeden Freitag zu den alten Straßenbahnwagen gefahren und hat sämtliche Bauteile ausgemessen. Dabei habe er sich sogar unter die Trams gelegt. „Teilweise nahm ich mit Gipsbinden Formen von Einzelteilen ab.“Tusch brachte sich mit einem Online-programm technisches Zeichen bei. „Auch das musste ich lernen.“
Weil sein Hobby immer mehr ausuferte, mietete sich der Augsburger vor über zwei Jahren eine eigene Werkstatt an. Zwischen Bohr- und Schleifmaschinen, Fräsen, einer Drehbank und unzähligen Kleinwerkzeugen, Schrauben, Messingplatten und Leisten hält sich der Rentner dort jeden Tag auf und arbeitet an den großen Holztischen. Die Fahrgestellrahmen für den Tonnendachwagen aus dem Jahr 1926 etwa und für den Laternenbauen dachwagen aus dem Jahr 1913, erzählt er und hebt die fertigen Bleche empor, seien schon fertig. Der 75-Jährige berichtet, wie er bei den Lechwerken Platten zuschneiden lässt, weil die dort so gute Wasserschneidemaschinen haben, er zeigt Schachteln mit gebogenen Trittbrettern, Bremskurbeln aus Messing und selbst zusammengebaute Kupplungen in verschiedenen Stärken. Wie viel Geld er bereits in seine Leidenschaft investiert hat, darüber will Tusch lieber gar nicht nachdenken. Für seinen Schwendwagen, der Ende der 80er-jahre fertig wurde, habe ihm ein damaliger Interessent den Preis eines Audi Quattros angeboten“, sagt er. „Aber ich blieb hart.“
Wann seine nächste Straßenbahn fertig wird, kann Tusch noch nicht sagen. Schließlich baut er gerade parallel an mehreren Modellen. Aber zehn Jahre pro Wagen werden es sicherlich nicht mehr. Schließlich hat der Rentner mittlerweile nicht nur mehr Zeit für seine Leidenschaft, sondern über die Jahre auch viel Erfahrung gesammelt und seine Fertigkeiten ausgebaut. Tusch verfolgt ein Ziel: „Ich will die Geschichte der Augsburger Straßenbahn darstellen und dokumentieren.“Für ihn gibt es nichts Schöneres, als die alten Straßenbahnen von damals.