Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Gülen‰bewegung baut ihre Strukturen aus

Hochqualif­izierte türkische Flüchtling­e bringen Tempo in die Erweiterun­g des Augsburger Netzwerks. Kritiker mahnen, das Verstecksp­iel mit der Öffentlich­keit und das strenge Islamverst­ändnis seien nicht zu unterschät­zen

- VON STEFANIE SCHOENE

In Augsburg hat das Frohsinn Bildungsze­ntrum Pläne für einen weiteren Kindergart­en. Das Bildungsre­ferat bestätigt, dass der freie Träger Interesse bekundet hat. Der Verein gehört zur konservati­v-muslimisch­en Gülen-bewegung und betreibt seit 25 Jahren Kitas in Augsburg, Mering und Gersthofen mit insgesamt 234 Betreuungs­plätze. Nach Informatio­nen unserer Zeitung geht es bei dem Vorhaben, das der Träger selbst nicht bestätigt, um das frühere Obi-gelände im Textilvier­tel. Dort plant die Sefunda Projekt Gmbh bis zu 400 Wohnungen und eine Kita. Die Bauplanung ist noch nicht abgeschlos­sen, wann der Bau startet, sei noch nicht abzusehen, so das Stadtplanu­ngsamt. Auch in Mering sind laut Bürgermeis­ter Florian Mayer Erweiterun­gen der Frohsinn-kitas Kinderwelt Mering und Kinderwelt Schlossmüh­lstraße im Gespräch.

Zusammen mit dem Frauenvere­in Calla, dem Rumi Kulturforu­m, mit einer Frauen- und zwei Männer-„lichthaus“-wgs sowie der Initiative für Flüchtling­e Augsburg (IFFA), die etwa 330 Geflüchtet­e aus der Türkei vertritt, bildet Frohsinn den Augsburger Knoten des weltweiten Netzwerks um den türkischen Prediger Fethullah Gülen. Als charismati­sche Autorität scharte er mit seinen Predigten und islamkonfo­rmen Visionen nach Art islamische­r Bruderscha­ften eine millionens­tarke, meist männliche Anhängersc­haft um sich und wurde in der Türkei zum Staat im Staat. Mit seinem intranspar­enten Unternehme­nsund Stiftungsg­eflecht expandiert­e das Netzwerk mit Schulen, Wohnheimen, Medien und zahlreiche­n mobilen türkischen Managern und Lehrern in alle Welt. Zwischen vier und zehn Millionen Menschen schlossen sich Gülens Bewegung an. Er selbst verließ die Türkei 1999, als die Justiz sich anschickte, ihn wegen subversive­r Unterwande­rung des Staates zu verhaften. Teile seiner Anhänger sollen mit seinem Wissen den Militärput­sch 2016 unternomme­n haben. Seither stehen sie im Visier Erdogans, der sie verfolgt, als „Terroriste­n“verhaften und gewaltsam aus dem Ausland in die Türkei entführen lässt.

Das Frohsinn Bildungsze­ntrum ist seit 1996 Teil dieser Bewegung. Allerdings gibt es bis heute keinen öffentlich­en Hinweis darauf. Auch beim 1992 gegründete­n Muttervere­in Rumi nicht. Er ist Ritual- und Lernort der Anhänger. Hier werden die Predigten Gülens gehört, der Koran gelesen und der Umgang mit der Außenwelt geschult. Frohsinn ist das Fenster zu dieser Außenwelt, wegen der finanziell­en Förderung vor allem zur Stadtverwa­ltung. Rumi trat außerhalb der „Gemeinde“nie in Erscheinun­g. „Die Existenz einer mit Frohsinn verbundene­n Hintergrun­dorganisat­ion haben wir immer vermutet, aber sie wurde abgestritt­en. Auch dass dort Imame tätig sind, die für die Verbindung­en zur überregion­alen Hierarchie in München zuständig sind, wurde in meiner Amtszeit bestritten“, erklärt Matthias Garte, der zwischen 2008 und 2015 Integratio­nsbeauftra­gter der Stadt Augsburg war.

Wie viele Kinder und Jugendlich­e werden seit der Ankunft der Flüchtling­e bei Rumi in islamische­r Charakteru­nd Moralbildu­ng unterricht­et? Der Verein antwortet nicht. Unbeantwor­tet bleibt auch die Frage an Frohsinn, ob ein neuer Kindergart­en in Planung ist. Geschäftsf­ührer Mehmet Badal möchte diese Informatio­nen „schützen“, erklärt er schriftlic­h. Die Fördersumm­e für die Kitas möchte er ebenfalls nicht nennen. Das bayerische Familienmi­nisterium errechnete für eine fiktive Kita in der Größe des Augsburger „Kinderland“jedoch eine Summe von rund 500.000 Euro. Eine Anfrage für ein Gespräch mit den Vorsitzend­en von Frohsinn wird abgelehnt. Die beiden möchten nicht in der Öffentlich­keit stehen, erklärt Badal. Wo ist das Problem, wenn der Verein doch nichts zu verstecken hat, wie er betont? Das beim Amtsgerich­t einsehbare Vereinsreg­ister und ein wenig Recherche zeigen: Die beiden sind Lehrer an staatliche­n Schulen im Landkreis.

Auch um pädagogisc­hes Personal einer möglichen neuen Kita kümmert sich Frohsinn bereits. Im Februar fand im Verein ein Online-seminar auf Türkisch statt: „Wie werde ich Vorschulle­hrer in Deutschlan­d? Ausbildung­s- und Arbeitsmög­lichkeiten in den Vorschulen des Frohsinn Bildungsze­ntrums.“Es zielte auf die Integratio­n der etwa 70 Lehrer unter den Augsburger Gülen-flüchtling­en, die aus Gülenschul­en, -Wohnheimen und -Lernzentre­n in Aserbaidsc­han, Georgien, Irak, Kasachstan, Ghana und der Türkei nach Augsburg kamen.

Geflüchtet­e treiben auch das Wachstum der Nachwuchso­rganisatio­n Frohsinn-jugend an. Deren Zielgruppe ist seit 2016 um etwa 300 Kinder und Jugendlich­e gewachsen. Seit ihrer Mitgliedsc­haft im Stadtjugen­dring hat die Frohsinn-jugend Zugang zu kommunalen Fördermitt­eln. Es gibt Hinweise, dass mit der Gruppe des Interkultu­rellen Dialogzent­rums München (Idizem) ein Jugend-landesverb­and in Planung ist. Die verantwort­lichen Studenten bei Frohsinn bestätigen dies auf Nachfrage. Die Satzung, die Grundlage ihrer Arbeit im Stadtjugen­dring ist, wollen sie nicht schicken. Sie befinde sich in Überarbeit­ung. Mit einer solchen Landesstru­ktur könnte sich die Gülen-bewegung um Aufnahme beim Bayerische­n Landesjuge­ndring bewerben.

So stünden ihnen staatliche Programme offen, die die internatio­nale Jugendarbe­it fördern. Die weltweite Mobilität der Anhänger schon in jungen Jahren ist unverzicht­bar für das Konzept der „goldenen Generation“, mit der Gülen eine „neue Welt bauen“will. An dieser Vision und der in Teilen fundamenta­listischen, muslimisch­en Missionsar­beit würde dann auch der bayerische Steuerzahl­er beteiligt.

Serdar Akin, Stadtratsm­itglied der Grünen, kritisiert solche Parallelst­rukturen in der Bildung. „Dass Anhänger der Gülen-bewegung als Flüchtling­e anerkannt werden, ist korrekt. Ihre Struktur jedoch wirkt nur nach außen modern, nach innen ist sie streng hierarchis­ch und geschlecht­ergetrennt organisier­t. Eigene Lebensentw­ürfe zu ermutigen, gehört zu unserem Bildungsko­nzept, aber nicht zum Erziehungs­programm der Gülen-bewegung.“

Und die Stadt? Margret Spohn, Leiterin des Büros für gesellscha­ftliche Integratio­n, hat keine Berührungs­ängste mit der Bewegung. Sie tritt seit Jahren bei den vom Münchener Gülen-netzwerk initiierte­n Nymphenbur­ger Gesprächen auf. Im letzten Jahr publiziert­e sie im „Handbuch des interrelig­iösen Dialogs“einen Aufsatz zum Zusammensp­iel zwischen Kommunen und religiösen Gemeinscha­ften. Herausgebe­r war der deutsche Theologe Samet Er. Dieser und viele Autoren des Bandes zählen zum Gülen-umfeld. Gefragt, ob die Stadt Augsburg die Gülen-bewegung unterstütz­t, betont das Bildungsre­ferat, man stehe „Einrichtun­gen, die in Struktur und/oder Herangehen­sweise autoritäre oder gar totalitäre Standpunkt­e vertreten, ablehnend gegenüber. Weder die Stadt noch Frau Dr. Spohn sympathisi­eren mit der Gülen-bewegung.“

Die Frage zur neuen Kita bleibt unbeantwor­tet

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Foto: Ulrich Wagner Will die umstritten­e Gülen‰bewegung auf dem ehemaligen Obi‰gelände eine neue Kita gründen?

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