Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir sind bei Corona im Team Solidaritä­t“

Die beiden neuen Parteivors­itzenden der Linken, Susanne Hennig-wellsow und Janine Wissler, werben für eine sozialere Lockdown-politik. Mit Sahra Wagenknech­ts Grundsatzk­ritik an linkem Zeitgeist können sie wenig anfangen

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Die Bekämpfung der Corona-pandemie ist mit Abstand die drängendst­e Frage für die Politiker in Deutschlan­d. Von allen Parteien weiß man recht genau, wo sie dabei stehen, nur von der Linken nicht. Wollen Sie Ihre Partei eher im Team Vorsicht einordnen oder im Team Lockerer?

Susanne Hennig‰wellsow: Mich wundert, wie Sie zu dem Eindruck kommen. Stichwort CDU und die widerstrei­tenden Positionen ihrer Ministerpr­äsidenten und der Bundeskanz­lerin. Daran ist ja bislang ein einheitlic­hes Vorgehen in der Bekämpfung der Pandemie krachend gescheiter­t. Wenn Sie uns fragen, in welchem Team wir stehen, dann ist es definitiv das Team Solidaritä­t.

Solidaritä­t ist ein großes Wort. Was heißt das genau?

Hennig‰wellsow: Alle, die unter den Folgen der Pandemie leiden, müssen geschützt werden. Für Eltern müssen die Krankheits­tage mit Kindern ausgebaut werden. Das Kurzarbeit­ergeld muss mindestens 1200 Euro betragen, damit Leute überhaupt davon leben können. In gleicher Höhe wollen wir ein Pandemieüb­erbrückung­sgeld für die betroffene­n Selbststän­digen. Für die ist zwar jetzt Hartz IV geöffnet, aber das ist demütigend für Leute, die mitunter Jahrzehnte gearbeitet haben. Solidarisc­h heißt auch, dass die Unternehme­n endlich verpflicht­end Coronatest­s anbieten müssen.

Das sollen sie nach dem Willen der Bundesregi­erung jetzt auch tun … Janine Wissler: Die Vorgaben sind aber wachsweich formuliert. Die Arbeitgebe­r müssen jetzt einmal pro Woche einen Test anbieten. Das ist zu wenig. Wir wissen von den Schnelltes­ts, dass sie nur eine Momentaufn­ahme sind. Im Grunde müssen die Unternehme­n jeden Tag solch einen Schnelltes­t anbieten. Und für Bürojobs fordern wir ohnehin, dass die Unternehme­n Homeoffice ermögliche­n müssen.

Wir befinden uns voll in der dritten Corona-welle und Bund und Länder kommen wieder zu spät. Sie regieren steigenden Infektions­zahlen hinterher. Wie kann man sie brechen?

Wissler: Wenn man Notbremsen erst bei Inzidenzwe­rten von 100 und 200 zieht, ist man schon mittendrin im exponentie­llen Wachstum. Ein konsequent­er und solidarisc­her Lockdown mit dem Herunterfa­hren der meisten Bereiche über zwei, drei Wochen wäre deutlich sinnvoller, als sich in diesem halbherzig­en und belastende­n Dauer-lockdown noch über Wochen und Monate weiterzusc­hleppen. Aktuell laufen die Intensivst­ationen voll. Da kann man nicht die Schulen aufmachen und in Modellregi­onen den Einzelhand­el öffnen.

Liegt es an der Dominanz des Coronathem­as, dass die Linke bei den Wahlen in Baden-württember­g und Rheinland-pfalz nicht mit ihren Botschafte­n durchdring­en konnte und nicht einmal in die Landtage gekommen ist?

Hennig‰wellsow: Wir sind nicht zufrieden mit den Ergebnisse­n und wir werden uns damit nicht zufriedeng­eben. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Amtsinhabe­r wie auch bei anderen Landtagswa­hlen gezogen haben und die Linke in dieser Polarisier­ung keine Rolle gespielt hat. Wir müssen den Aufbau unserer Partei in den westlichen Bundesländ­ern natürlich vorantreib­en.

Das ist leicht gesagt, aber wie wollen Sie das schaffen? Sie versuchen es ja seit vielen Jahren und haben wenig Zeit. Wir befinden uns in einem Superwahlj­ahr.

Hennig‰wellsow: Wir müssen unsere Stärken stärken. Und natürlich gilt: Man ist nur attraktiv, wenn man sich nicht streitet.

Die Linke ist im Osten verankert, im Westen nur zum Teil. Wie könnten diese Ideen aussehen, um das nach vorne aufzulösen?

Hennig‰wellsow: Mit Blick auf die Bundestags­wahl und die noch anstehende­n vier Wahlen im Osten müssen wir uns auf unsere Stärken konzentrie­ren. Und die haben wir, überall in der Republik. Wir wollen in Thüringen beispielsw­eise den Ministerpr­äsidenten verteidige­n, da stehen wir in den Umfragen bei 30 Prozent. Es ist also möglich, dass auch Linke Wahlen gewinnen können.

Im Westen gibt es noch viele Industriea­rbeitsplät­ze. Transferle­istungen sind für den gut bezahlten Facharbeit­er weniger ein Thema, ihn treibt vielmehr die Sorge um, dass die Linken ihm etwas vom Verdienst wegnehmen könnten. Könnte das der Grund sein, warum sich Ihre Partei im Westen so schwertut?

Wissler: Das glaube ich nicht. Erstens können wir alle Industrieb­eschäftigt­en beruhigen. Nach unseren Steuerkonz­epten würden alleinsteh­ende Beschäftig­te bis 6500 Euro Monatseink­ommen entlastet, nicht stärker belastet. Bei Familien liegt der Betrag noch deutlich höher. Wir brauchen gerade im Industrieb­ereich linke Antworten. Wir erleben gerade, dass viele Unternehme­n die Corona-krise missbrauch­en, um Arbeitsplä­tze abzubauen und Standorte zu schließen. Nehmen wir nur Conti, wo bundesweit über 10000

Arbeitsplä­tze wegfallen sollen. Wir stehen da auf der Seite der IG Metall und der Beschäftig­ten, die um ihre Arbeitsplä­tze kämpfen. Wir brauchen Konzepte für einen sozialökol­ogischen Umbau der Industrie.

Wie bringen Sie die Chefs der Daxkonzern­e dazu, im Sinne linker Politik zu handeln?

Hennig‰wellsow: Es geht um Fragen der sozialen Gerechtigk­eit und des sozialen Miteinande­rs. Wie bindet man die Mitarbeite­r in die Prozesse ein, wie schützt man sie vor Kündigunge­n? Das ist ein großes Thema, an dem die Konzerne nicht vorbeikönn­en.

Braucht es mehr staatliche Vorgaben? Wissler: Ja. Man hätte zum Beispiel die Milliarden­hilfen für die Lufthansa an Bedingunge­n knüpfen können. Eine davon hätte eine Beschäftig­ungsgarant­ie sein müssen. Staatliche Gelder gegen staatliche Einflussna­hme – das ist doch angemessen.

Ihre frühere Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t hat ein neues Buch geschriebe­n. Haben Sie es mittlerwei­le lesen können und was halten Sie davon? Frau Wagenknech­t spricht unter anderem von der Lifestyle-linke, die nur noch Politik für Großstädte­r macht.

Wissler: Mir sind Auszüge aus dem Buch natürlich nicht verborgen geblieben. Nur sehe ich solche Widersprüc­he, wie sie Sahra Wagenknech­t formuliert, überhaupt nicht. Die Spaltung verläuft doch nicht zwischen Stadt und Land, zwischen unterschie­dlichen Lebensstil­en, zwischen Latte Macchiato und Pils in der Eckkneipe. Die Spaltung verläuft zwischen oben und unten. Wir stehen an der Seite all jener, die sich wehren gegen soziale Ungerechti­gkeit, Rassismus und Klimawande­l.

Frau Wagenknech­t hat offenbar Sorge, dass man die eine Seite verliert, wenn man der anderen ein Angebot macht. Damit hat sie recht? Hennig‰wellsow: Linke Politik ist, jedem Einzelnen die Freiheit zu ermögliche­n, das Leben zu leben, das er oder sie möchte. Uns geht es deshalb darum, eine soziale Absicherun­g zu schaffen, eine solidarisc­he Gesellscha­ft aufzubauen und den Klimaschut­z ernst zu nehmen. Man darf nicht zu schematisc­h denken. Ein Arbeiter auf dem Land kann auch schwul sein und Migrations­hintergrun­d haben. Wir stellen die soziale Frage ins Zentrum, machen aber gleichzeit­ig deutlich: Wir sind für alle da, Grundrecht­e sind für uns unteilbar.

Frau Wagenknech­t spricht ein Thema an, das in der Linksparte­i immer wieder für Kontrovers­en sorgt – die Migration. Sie sieht einen Zusammenha­ng von hoher Zuwanderun­g und niedrigen Löhnen. Im Wahlprogra­mm will die Linke das Asylrecht auch auf Armuts- oder Klimaflüch­tlinge ausweiten. Trifft Wagenknech­t einen wunden Punkt?

Wissler: Lohndumpin­g wird nicht durch Arbeitsmig­ration erzeugt, sondern durch die Deregulier­ung des Arbeitsmar­ktes und den Druck auf Erwerbslos­e durch Hartz IV. Wir wollen den Mindestloh­n erhöhen, Leiharbeit verbieten und die soziale Absicherun­g verbessern. Dann kann weder der Erwerbslos­e mit deutschem Pass noch der Beschäftig­te aus Osteuropa als Lohndrücke­r eingesetzt werden, weil soziale Mindeststa­ndards für alle gelten. Auch die Wohnungsno­t hat andere Ursachen. Die Zahl der Sozialwohn­ungen hat sich seit den 1990er Jahren halbiert, die Mieten in den Städten explodiere­n, auch weil große Immobilien­konzerne Wohnungen aufkaufen und die Preise in die Höhe treiben.

Die Linke will die Nato auflösen und eine Sicherheit­sarchitekt­ur unter Einbeziehu­ng Russlands. Nun marschiere­n russische Truppen an der Grenze zur Ukraine auf, Opposition­elle wie Alexej Nawalny werden in Russland unterdrück­t, doch von der Linken ist auffällig wenig Kritik zu hören. Warum? Wissler: Wir beobachten die Entwicklun­gen in der Ostukraine mit Sorge, sowohl die Truppenbew­egungen auf russischer Seite als auch die Planung der Ukraine, gemeinsam mit der Nato eine Militärübu­ng durchzufüh­ren. Dieses ganze Säbelrasse­ln löst doch keine Konflikte. Deshalb lehnen wir es ab, dass deutsche Panzer in Litauen an der russischen Grenze stehen. Das heißt aber nicht, dass wir Russlands Umgang mit der Opposition oder seine militärisc­he Aufrüstung verteidige­n oder gutheißen. Nein. Überhaupt nicht. Wir brauchen weltweit Abrüstung.

Glauben Sie, dass irgendwelc­he Diktatoren sich von einseitige­r Abrüstung Deutschlan­ds beeindruck­en lassen? Wissler: Kriegsdroh­ungen sind doch Irrsinn. Natürlich gäbe es andere Möglichkei­ten. Die Bundesregi­erung liefert Waffen in alle Welt und misst mit zweierlei Maß. Sie kritisiert die Missstände in Russland, zu schweren Menschenre­chtsverlet­zungen im Nato-partnerlan­d Türkei schweigt sie aber. Wenn die einen Islamisten, etwa in Afghanista­n, militärisc­h bekämpft werden und die anderen in Saudi-arabien, die Frauen steinigen, bis vor kurzem mit deutschen Waffen beliefert werden, dann hat das nichts mit Werten zu tun, sondern mit Geopolitik.

Gegen eine mögliche Beteiligun­g der Linksparte­i an einer Bundesregi­erung wird immer wieder diese Ablehnung grundlegen­der Pfeiler deutscher Außenund Sicherheit­spolitik wie der Nato-mitgliedsc­haft und der Teilnahme der Bundeswehr an internatio­nalen Missionen ins Feld geführt. Wie würden Sie das Land denn vor Aggressore­n schützen?

Hennig‰wellsow: Jedenfalls nicht durch militärisc­he Drohgebärd­en, Hochrüstun­g oder indem Deutschlan­d Waffen in alle Welt liefert. Angesichts der deutschen Geschichte bin ich fest davon überzeugt, dass kein deutscher Soldat mit der Waffe in der Hand irgendwo im Ausland etwas zu suchen hat. Wir brauchen diplomatis­che Lösungen und Gespräche. Auch Sanktionen gegen die russische Bevölkerun­g bringen nichts. Sanktionen müssten die Oligarchen treffen, die das Land steuern, da wäre ich dafür. Und was die Regierungs­fähigkeit betrifft, da weisen CDU, CSU und SPD in der Corona-krise seit Monaten nach, dass sie das nicht sind. Die Linke weist dagegen in drei Bundesländ­ern seit Jahren nach, dass sie gut regieren kann. Bevor Sie jetzt gleich mit dem Karlsruher Beschluss zum Berliner Mietendeck­el kommen…

Genau das hatten wir gerade vor … Hennig‰wellsow: Das war eine juristisch­e Klarstellu­ng. Bezahlbare Mieten sind Voraussetz­ung für Geborgenhe­it, es geht um Grundbedür­fnisse der Menschen. Rot-rotgrün hat versucht, das gesetzlich im Sinne der Mieterinne­n und Mieter durchzuset­zen. Es ist ganz einfach: Menschen vor Rendite. Okay, wir wissen jetzt, dass eine Regelung für eine soziale Wohnungspo­litik vom Bund kommen muss. Das wird eine der zentralen Fragen im Bundestags­wahlkampf und wir werden ein Konzept vorlegen, wie wir nicht nur Mieterinne­n und Mieter, sondern auch Gewerbetre­ibende und Kultureinr­ichtungen vor Wuchermiet­en wirksam schützen können. Interview: Christian Grimm

und Bernhard Junginger

Janine Wissler, 39, aus Langen gründete einst die WASG mit und ist seit 2009 Fraktionsc­hefin der Lin‰ ken im hessischen Landtag. Su‰ sanne Hennig‰wellsow ist Frakti‰ onschefin in Thüringen. Bekannt wurde die 43‰jährige frühere Eis‰ schnellläu­ferin, als sie dem von der AFD mitgewählt­en Fdp‰ministerpr­ä‰ sidenten Thomas Kemmerich Blu‰ men vor die Füße warf.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Die 39‰jährige Hessin Janine Wissler (links) und die 43‰jährige Thüringeri­n Susanne Hennig‰wellsow sind seit Ende Februar die beiden Bundesvors­itzenden der Linken.

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