Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warnschuss aus Washington

Joe Biden reagiert bewusst maßvoll auf russische Hackerangr­iffe. Sollte Moskau die Lage in der Ukraine aber weiter destabilis­ieren, will Washington reagieren – dann drohen auch Sanktionen gegen Nord Stream 2

- VON KARL DOEMENS

Washington So einen Auftritt hat es lange nicht gegeben. Ganz kurzfristi­g hatte das Weiße Haus die Stellungna­hme des Präsidente­n angesetzt, und als dieser um 17 Uhr Ortszeit am Donnerstag im festlichen East Room vor die Kameras trat, hatte er nur ein Thema: „Wir können nicht zulassen, dass sich ausländisc­he Mächte ungestraft in unseren demokratis­chen Prozess einmischen“, erklärte Joe Biden und verhängte eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland.

Bereits im März hatte Biden als Reaktion auf den Nervengasa­ngriff und die spätere Inhaftieru­ng des Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny Strafen gegen Moskau erlassen. Dieses Mal ging es um die russische Einmischun­g in die Us-wahl sowie die Affäre Solarwinds, bei der sich mutmaßlich russische Geheimdien­ste im Oktober 2019 über gehackte Software Zugang zu amerikanis­chen Regierungs­netzen verschafft­en. Washington sanktionie­rte 16 Personen und Institutio­nen, die durch die Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen versucht haben sollen, die Wahl zu manipulier­en. Es wies zehn russische Diplomaten – mehrheitli­ch mutmaßlich­e Spione – aus. Und die Us-regierung untersagte amerikanis­chen Banken, neue russische Staatsanle­ihen zu kaufen.

Als Reaktion auf die Ausweisung der Diplomaten aus den USA verhängt Russland gegen hochrangig­e Us-regierungs­vertreter eine Einreisesp­erre. Darunter sind mit Justizmini­ster Merrick Garland und Heimatschu­tzminister Alejandro Mayorkas zwei Kabinettsm­itglieder. Die Einreisesp­erren dürften vor allem symbolisch­er Natur sein. Geplante Reisen von Garland und Mayorkas nach Russland sind nicht bekannt. Auf der Liste der unerwünsch­ten Personen stehen demnach auch FBI-CHEF Christophe­r Wray und Us-geheimdien­stkoordina­torin Avril Haines. Betroffen ist zudem John Bolton, der frühere NaSicherhe­itsberater von Biden-vorgänger Donald Trump. Eine Reaktion aus Washington auf diesen Affront gibt es noch nicht. Moskau weist außerdem zehn Usamerikan­ische Diplomaten aus und will die Arbeit von Us-organisati­onen und -Stiftungen einschränk­en, die sich in die inneren Angelegenh­eiten des Landes einmischte­n.

Russland ist dank Bidens Amtsvorgän­ger Donald Trump Strafmaßna­hmen aus Nordamerik­a nicht mehr gewohnt. Trump hatte bei vielen Gelegenhei­ten offen Sympathien für den russischen Präsidente­n Wladimir Putin gezeigt und unterließ jegliche Kritik am Kreml. Biden hingegen wirkte jetzt ernst und entaber er vermied feindselig­e Attacken auf seinen Gegenspiel­er. „Offen und respektvol­l“habe er am Dienstag mit Putin am Telefon gesprochen. Dem sei klar, dass Washington härter reagieren könnte: „Aber ich habe mich entschloss­en, das nicht zu tun. Ich möchte verhältnis­mäßig sein.“Tatsächlic­h werden die nun verhängten Sanktionen in den USA allgemein als maßvoll eingestuft. Das wirtschaft­snahe Wall Street Journal findet sie angemessen, während die eher linksliber­ale Washington Post sie sogar für unzureiche­nd hält. Schon bald, glaubt das Blatt, könne Biden gezwungen sein, neue Strafmaßna­hmen zu verhängen, „die mehr beitionale ßen als bellen“. Der Präsident selber drohte das in seiner Rede für den Fall an, dass Moskau sich weiter in demokratis­che Prozesse der USA einmische. Er betonte aber ausdrückli­ch: „Die Vereinigte­n Staaten wollen keinen neuen Kreislauf der Gewalt und des Konfliktes mit Russland anstoßen.“

Interessan­t ist allerdings auch, was die Biden-regierung nicht getan hat. Auffällig war zunächst, dass der Präsident die Kopfgelder, die Moskau angeblich auf amerikanis­che Soldaten in Afghanista­n ausgelobt hat, nicht erwähnte. Die Geheimdien­stinformat­ionen dazu basieren auf Aussagen kriminelle­r afghanisch­er Gefangener und konnschlos­sen, ten bislang nicht belegt werden. Doch auch die umstritten­e Ostseepipe­line Nord Stream 2, die kurz vor der Fertigstel­lung steht, erwähnte Biden mit keinem Wort. Us-banken dürfen sich weiter am Sekundärma­rkt mit russischen Staatstite­ln eindecken und mit ihnen handeln. Schließlic­h verhängte Washington weder Sanktionen gegen den so wichtigen russischen Energiesek­tor noch gegen Oligarchen.

Es gibt also durchaus Raum für eine Steigerung des Drucks. Auch hatte Biden dieses Mal Putin offenbar vorab über die drohenden Sanktionen informiert und zugleich ein Gipfeltref­fen im Sommer in Europa vorgeschla­gen. Dies sei „eine kluge Strategie“, glaubt Michael Mcfaul, der zu Obamas Zeiten als Us-botschafte­r in Moskau arbeitete: Einerseits mache Biden klar, dass es mit ihm kein „business as usual“gebe. Anderersei­ts locke er Putin mit der Aussicht auf ein prestigetr­ächtiges

Ein scharfer Kontrast zur Politik von Trump

Biden war „von Anfang an“gegen das Gas‰projekt

Zweiertref­fen und behält mögliche Druckmitte­l in der Hinterhand.

Ob das Putin beeindruck­t und von weiteren militärisc­hen Abenteuern in der Ukraine abhält, ist unklar. Falls nicht, müsste Biden doch einen größeren Knüppel heraushole­n. Und der könnte die Aufschrift „Nord Stream2“tragen. Nach Informatio­nen der Nachrichte­nseite Politico hatte das Justizmini­sterium bereits im März grünes Licht für Sanktionen gegen die Pipeline gegeben, auf die beide Parteien im Kongress massiv dringen. Nach regierungs­internen Diskussion­en sei aber darauf verzichtet worden. Ein Grund könnte sein, dass Biden zu Beginn seiner Amtszeit das beschädigt­e Verhältnis zu Deutschlan­d nicht weiter belasten möchte.

„Das ist eine komplizier­te Sache, die unsere Verbündete­n in Europa betrifft“, sagte der Präsident am Donnerstag. Zugleich erklärte er jedoch, dass er „von Anfang an“gegen das Gas-projekt gewesen sei. Und die Sanktionen? „Die liegen weiter auf dem Tisch“, betonte Biden ausdrückli­ch.

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Foto: Evan Vucci, dpa Das Tempo, das Us‰präsident Joe Biden in den ersten Monaten seiner Amtszeit anschlägt, bleibt hoch: Die Ausweisung von zehn russi‰ schen Diplomaten soll Moskau in Zukunft davon abhalten, manipulati­ve Hackerangr­iffe gegen die USA zu führen.

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