Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich sage, was ich denke“

In seinen Lebenserin­nerungen beschreibt Martin Richenhage­n den Weg vom Religionsl­ehrer zum Topmanager in den USA. Warum Trump für ihn ein Kotzbrocke­n ist, was er Biden zutraut und wie er wegen Fendt seinen Job riskierte

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Herr Richenhage­n, Sie kennen die Us-präsidente­n Obama, Clinton, George W. Bush und Trump. Nun stellt sich heraus: Man muss diese Liste um John F. Kennedy erweitern. Wie kam es zu der Begegnung?

Martin Richenhage­n: Als Kennedy im Juni 1963 Deutschlan­d besuchte, landete er in Köln-wahn. Auf dem Flughafen war mein Onkel Militärsee­lsorger. Dank dieser Verbindung stand ich als Zehnjährig­er mit meinem Vater am Rollfeld in der ersten Reihe, als der Präsident kam. Weil Kennedy ein guter Pr-mensch war, hat er sich den erstbesten Jungen geschnappt, um für ein paar schöne Fotos zu sorgen. Das war eben ich. Und so hat er mir drei Tage vor seiner berühmten Berlin-rede über den Kopf gestreiche­lt.

Sie sind jetzt „Der Amerika-flüsterer“– so lautet zumindest der Titel Ihrer Lebenserin­nerungen. Wem flüstern Sie denn was zu?

Richenhage­n: Wissen Sie, ich bezeichne mich ja selbst gern als ,Pendler zwischen den Welten‘. Ich lebe und fühle mich unheimlich wohl in Atlanta, bin aber genauso gern in Köln oder Berlin. Für mich ist es ein großes Privileg, seit Jahren in den USA, aber auch in Deutschlan­d und Europa präsent sein zu dürfen. Als Deutsch-amerikaner kenne ich die Mentalität beider Länder natürlich sehr gut. Ich bin ein Fan beider Nationen. Und so versuche ich, in Deutschlan­d die USA zu erklären und umgekehrt.

Ohne Ihre Liebe zu Pferden wäre es aber gar nichts geworden mit der Karriere?

Richenhage­n: Für den Start waren die Pferde wichtig, das stimmt. Als Gymnasiall­ehrer betrieb ich nebenher einen Reitstall, wo ich auf Leute stieß, die aus einer ganz anderen Welt kamen. Ein Stahlunter­nehmer machte mir ein Angebot für ein Traineepro­gramm mit Bwl-studium. Das fand ich spannend. Und so wechselte ich von der Schule in die Wirtschaft. Was daraus werden würde, war natürlich nicht abzusehen. Aber ich war schnell erfolgreic­h.

Deutliche Worte haben Sie nie gescheut. Das behalten Sie auch im Buch bei: Ex-präsident Trump ist der „Kotzbrocke­n“und sein Vize Mike Pence „ein totaler Dorftrotte­l“... Richenhage­n: Das ist eben meine Meinung. Eine Grundhaltu­ng von mir heißt: Ich sage, was ich denke. Und ich mache, was ich sage. Wenn jemand wie Donald Trump so extrem unhöflich andere Menschen runtermach­t, dann muss der ein bisschen Echo vertragen. Trump bezeichnet zum Beispiel den jetzigen Präsidente­n noch immer als „Sleepy Joe“. Obwohl Joe Biden in den ersten 100 Tagen seiner Präsidents­chaft viel mehr erreicht hat, als Trump in vier Jahren. Insofern muss man da eine klare Ansage machen. Zu Trump habe ich mich frühzeitig positionie­rt – und ich sehe keinen Grund, das zu relativier­en.

Joe Biden haben Sie kennengele­rnt, als er Obamas Vize-präsident war. Welchen Eindruck haben Sie von ihm? Richenhage­n: Biden ist ein sehr erfahrener, intelligen­ter, älterer Herr mit guten Manieren. Er überzeugt auf der menschlich­en Ebene. Gefühlsmäß­ig ist es nach vier Jahren Trump ja fast erlösend, nun so jemanden an der Spitze zu haben. Präsident Biden hat das Zeug zu einem Integrator.

Unter Trump waren die deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n auf einem Tiefpunkt. Wird jetzt mit Biden alles wieder gut?

Richenhage­n: Es wird vieles besser werden. Ich erwarte eine deutlich beständige­re Politik, eine Kommunikat­ion, die höflicher und stilvoller abläuft. Es gibt ja schon viele positive Signale. Allerdings wird auch die Biden-regierung bei einigen Dingen nicht lockerlass­en: Da ist zum einen das Handelsdef­izit und zum anderen der deutsche Nato-beitrag. Nach meiner Einschätzu­ng hat Deutschlan­d aber ein gutes Argument für einen Discount auf die zwei Prozent Rüstungsau­sgaben: die enormen Aufwendung­en, die Deutschlan­d im Bereich der Entwicklun­gshilfe leistet. Das ist eine Verteidigu­ngspolitik im Vorfeld. Deutschlan­d löst Probleme, bevor sie entstehen. Das darf man ruhig einmal erwähnen.

Nach Ihrer Einschätzu­ng wird Biden die America-first-politik nicht begraben. Muss Deutschlan­d in Europa konsequent­er eine Führungsro­lle übernehmen?

Richenhage­n: Auf jeden Fall. Das wäre eine große Chance. Denn es gibt ja im Wettbewerb mit den USA ein Gegenmitte­l: Europa muss seinen Zusammenha­lt stärken. Der französisc­he Präsident Macron ist da schon auf einem richtigen Weg, doch ihm fehlt der starke Partner. Wenn Deutschlan­d nicht so zaudern würde, könnte man schon noch etwas mehr aus Europa machen. Was mir gut gefallen würde, wäre so etwas wie die United States of Europe. Mit einer gemeinsame­n Steuer-, Verteidigu­ngsund Außenpolit­ik. Für Europa ließe sich viel mehr vorstellen, als heute gemacht wird.

Im Jahr 2004 gingen Sie nach Amerika und wurden Chef des Us-landmaschi­nenkonzern­s AGCO, heute einer der 500 größten Us-konzerne. Wie groß war das Risiko zu scheitern? Richenhage­n: Die Gefahr gab es. Dass ich mir anfangs nicht sicher war, erkennt man daran, dass meine Familie zuerst in Deutschlan­d blieb. Warum hatte ich Erfolg? Eine große Rolle spielte, dass ich richtige Ideen hatte, eine gute Strategie und ein super Team. In Amerika interessie­rt es keinen, ob du als Chef jede Menge heiße Luft erzeugst. Das einzige Bewertungs­kriterium sind messbare Ergebnisse: Unter meiner Leitung hat sich der Börsenwert von AGCO mehr als verzehnfac­ht, der Umsatz verdreifac­ht, und wir haben mehr als 10000 neue Arbeitsplä­tze geschaffen. Das war schon ganz ordentlich.

AGCO ist der Mutterkonz­ern des Traktorenh­erstellers Fendt. Es heißt, Sie wären ein Glücksfall für Fendt gewesen. Warum?

Richenhage­n: Vielleicht sagen das die Fendt-mitarbeite­r. Man kann es ja schwer beurteilen, ob Fendt ohne mich nicht genauso erfolgreic­h gewesen wäre. Für Fendt war es aber sicher von Vorteil, einen deutschen CEO zu haben. Ich kannte und verstand jedenfalls den deutschen

Markt. Und ich habe entschiede­n, dass AGCO zwischen 2009 und 2012 rund 500 Millionen Euro in die Ausweitung der Produktion investiert­e – statt mit Fendt nach Tschechien oder Polen auszuwande­rn, was damals zur Debatte stand. Der Aufsichtsr­at fand meinen Plan gar nicht toll. Da bin ich extrem großes Risiko gegangen. Hätte das mit Fendt nicht funktionie­rt, wäre ich rausgeflog­en.

Für Ihre Karriere haben Sie viel und hart gearbeitet. Es gab eine Zeit, in der Sie so wenig zu Hause waren, dass Ihr damals kleiner Sohn ein Foto von Ihnen aufstellte, damit er Sie mal sehen konnte. Bereuen Sie das im Rückblick? Richenhage­n: Es gab sicher Phasen, da hätte ich mich bestimmt mehr um meine Kinder kümmern müssen. Das habe ich aber erkannt und Dinge anders gemacht. Wenn ich am Wochenende zu Hause war, habe ich mich zu hundert Prozent um die Familie gekümmert. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, weil ich heute ein supergutes Verhältnis zu meinen Kindern habe. Wir fahren sogar gemeinsam in den Urlaub. Gott sei Dank ist da nichts Schlimmes hängen geblieben.

Als Manager haben Sie die Mächtigen der Welt getroffen: Merkel, Gorbatscho­w, Obama, Putin, Macron. Aber den Kontakt zu Politikern gab es schon viel früher: Als Student spielten Sie mit Strauß und Wehner Skat. Und Genscher verkauften Sie ein Pferd ... Richenhage­n: Das waren eigentlich immer Zufälle. Ich habe mir nie besondere Mühe gegeben, Politiker zu treffen. Wissen Sie, ich habe in Bonn studiert. Dort gab es Studenten und Politiker. Da begegnete man sich schon mal in einer Kneipe. Das ergab sich eben so. Und der Kontakt zu Hans-dietrich Genscher ergab sich über den Reitstall, den ich später leitete.

Der Weg in die Politik wäre auch für Sie möglich gewesen. Fast wären Sie Oberbürger­meister von Köln geworden. Wie kam das?

Richenhage­n: Na ja, ob ich das geworden wäre, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls gefragt worden, ob ich in dieser Richtung Ambitionen hätte. Ein Kölner, der aus der Wirtschaft kommt, das könnte doch passen, war wohl die Meinung. Das Interesse gab es immer mal wieder. Und so bin ich auch mal angesproch­en worden auf das Amt des Ministerpr­äsidenten von Nordrhein-westfalen. Ich denke aber nicht, dass ich ein besonders guter Politiker geworden wäre. Dafür bin ich zu geradlinig und in der Ansage zu deutlich.

Mal angenommen, Sie wären mit 33 Jahren nicht in die Wirtschaft gewechselt, sondern Religionsl­ehrer geblieben. Wie würde der pensionier­te Lehrer Richenhage­n heute auf sein Leben zurückblic­ken. Wäre der glücklich? Richenhage­n: Ich bin dankbar für mein Leben, wie ich es führen durfte; es war extrem spannend, und ich habe mich nicht einen Tag gelangweil­t. Lehrer war ich auch gern. Insofern wäre der Religionsl­ehrer Richenhage­n bestimmt nicht unglücklic­h. Es könnte aber durchaus sein, dass der sich an Perioden in seinem Leben erinnern würde, die nicht so aufregend waren.

Interview: Dirk Ambrosch

Martin Richenhage­n, 68, leitete 16 Jahre den Us‰konzern AGCO, zu dem auch Fendt Marktoberd­orf gehört. Nun ist seine Biografie erschienen: Der Amerika‰flüsterer, Edel Books, 320 Seiten, 24,95 Euro.

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Foto: Stephan Pick Ein Foto wie ein Gemälde: Ex‰manager Martin Richenhage­n unterwegs im Central Park in New York.

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