Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Man hat sich kleiner gemacht, als man ist“

Marcel Schäfer, Sportdirek­tor des VFL Wolfsburg, erklärt die Wandlung des Klubs vom Abstiegska­ndidaten zum sicheren Anwärter auf einen Champions League Platz

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Herr Schäfer, Thomas Müller hat kürzlich den VFL Wolfsburg als die große positive Überraschu­ng dieser Saison bezeichnet.

Schäfer: Das ist natürlich schön, wenn Thomas Müller das so sieht. Wenn man als Außenstehe­nder die letzten Jahre betrachtet, war tatsächlic­h nicht zu erwarten, dass wir in dieser Saison vor dem 29. Spieltag auf Platz drei stehen würden. Es ist ja noch nicht lang eher, dass wir in der Relegation knapp dem Abstieg entgangen sind. Wir wissen also, woher wir kommen. Überrasche­nd kommt die Entwicklun­g für mich dennoch nicht. Ich habe extremes Vertrauen in diese Mannschaft. Sie investiert sehr viel, zeigt eine große Leidenscha­ft, ist bereit, an ihre Grenzen zu gehen und hat ganz klar ihren Fokus auf die anstehende­n Aufgaben gerichtet. Das zeichnet das Team aus.

Was ist passiert, dass aus einem Abstiegska­ndidaten ein ernsthafte­r Champions-league-anwärter wurde? Schäfer: Da gibt es viele Faktoren. Wir haben junge, hungrige Spieler geholt, die wir eine gewisse Zeit in ihrer Entwicklun­g begleiten und unterstütz­en wollen. Wir können ihnen dafür ein ruhiges Umfeld und eine außergewöh­nliche Infrastruk­tur mit tollen Bedingunge­n in allen Bereichen bieten. Zudem haben wir ein Top-personal um das Team herum.

Und dennoch fehlt in der öffentlich­en Wahrnehmun­g dem VFL Wolfsburg die Strahlkraf­t anderer Bundesliga­vereine. Für viele ist der VFL weiterhin nur der Vw-klub und Wolfsburg eine graue Stadt ...

Schäfer: Wenn ich so etwas höre, kann ich inzwischen nur noch lächeln. Es war sicher auch bei mir nicht Liebe auf den ersten Blick. Aber meine Familie und ich sind mittlerwei­le tief verwurzelt in dieser Stadt. Wolfsburg ist für junge Familien ein überragend­er Standort. Die Schulen und Kindergärt­en sind alle auf einem Top-niveau. Das wissen auch jene Spieler bei uns zu schätzen, die Kinder haben. Und was die Verbindung zu VW angeht: Wir sind eine 100-prozentige Tochter von Volkswagen und stolz auf diese Beziehung. VW steht für Arbeit und Entwicklun­g. Das leben wir auch beim VFL Wolfsburg in allen Bereichen und stehen dazu. Das ist absolut authentisc­h. Man hat sich in der Vergangenh­eit beim VFL Wolfsburg manchmal kleiner gemacht, als man wirklich ist. Wir haben eine Historie und können auch Erfolge vorweisen.

Da wären der Gewinn des Dfbpokals 2015 und der deutsche Meistertit­el 2009 – mit einem 5:1-Sieg am 26.Spieltag gegen den FC Bayern München als Höhepunkt. Wie in allen anderen 34 Partien der Meistersai­son waren Sie auch bei dieser Lehrstunde für den Rekordmeis­ter dabei. Schäfer: Es war das beste Spiel in der Vereinsges­chichte. Ich glaube, wir haben die Bayern in einer Art besiegt, mit der wir als Vflwolfsbu­rg nicht nur die Region, sondern ganz Fußballdeu­tschland begeistert haben. Wir haben uns in einen wahren Rausch gespielt. Da klappen dann auf einmal Dinge, die sonst selten funktionie­ren. Das schönste Beispiel dafür war das Hackentor von Grafite. Wahrschein­lich das schönste Tor in der Vereinsges­chichte.

Was war der Schlüssel für den ersten und einzigen Meistertit­el in der Vereinsges­chichte?

Schäfer: Trainer Felix Magath. Wir haben unter ihm sehr hart trainiert und sind ihm bedingungs­los gefolgt. Wir waren die fitteste Mannschaft, was sich besonders gegen Ende der Saison ausgezahlt hat. Es war eine junge, hungrige Mannschaft – mit Edin Dzeko, Grafite, Diego Benaglio und Christian Gentner, um nur eine paar Namen zu nennen. Da gibt es Parallelen zu heute. Wir haben auf dem Platz alles gemeinscha­ftlich gemacht. Es hat mir unfassbar viel Spaß bereitet, in diesem Team zu spielen. Der Kontakt ist immer noch da.

Apropos Fitness. Sie sprachen vorher von außergewöh­nlich guten Trainingsb­edingungen in Wolfsburg. Zählt dazu auch der „Mount Magath“, den der Meistertra­iner seinerzeit für ganz spezielle Trainingse­inheiten hat erbauen lassen?

Schäfer (lacht): Den gibt es zwar noch. Aber er ist schon länger nicht mehr genutzt worden. Die Trainer greifen heute lieber auf andere Dinge zurück. Unter Felix Magath hat er unter anderem der Willenssch­ulung gedient.

Der

Meistertit­el

ist

in

dieser

Saison außer Reichweite. Aber die Champions-league-teilnahme in der kommenden Saison ist greifbar nah. Wie schätzen Sie die Situation ein? Schäfer: Wir haben uns eine sehr gute Ausgangsla­ge geschaffen und möchten jetzt den Platz halten, auch wenn wir ein gewaltiges Programm vor uns haben – neben Bayern warten unter anderem noch Dortmund und Leipzig auf uns. Aufgrund der gezeigten Leistungen können wir aber die kommenden Aufgaben selbstbewu­sst angehen. Es wäre natürlich schon eine außergewöh­nliche Geschichte, wenn wir nächste Saison in der Champions League spielen würden – vor drei Jahren haben wir noch um dem Klassenerh­alt gezittert.

Derzeit dreht sich in der Bundesliga das Trainerkar­ussell schnell. Zuerst wurde Ihr Trainer Oliver Glasner als Nachfolger von Marco Rose bei Gladbach gehandelt. Jetzt wird gemunkelt, Frankfurt sei an Glasner als Ersatz für Adi Hütter interessie­rt, nachdem der den Posten in Gladbach übernimmt.

Schäfer: Das gehört in unserem Geschäft dazu. Aber das bereitet mir keine Angst.

Es wird gemunkelt, dass auch Oliver Glasner in seinem Vertrag eine Ausstiegsk­lausel stehen hat.

Schäfer: Zu Vertragsin­halten werde ich nichts sagen.

Sind diese Ausstiegsk­lauseln nicht ein Graus für jeden Sportdirek­tor? Schäfer: Solche Vereinbaru­ngen werden ja gemeinscha­ftlich zwischen Verein und Trainer oder Spieler beschlosse­n. Und man wird ja von Vereinssei­te nicht dazu gezwungen, einen solchen Vertrag zu unterzeich­nen.

Einmal abgesehen von den eigenen Ambitionen bezüglich Championsl­eague-teilnahme, mit einem Sieg könnte Wolfsburg auch das Meistersch­aftsrennen noch mal spannend machen.

Schäfer: Da kommt es aber auch noch auf Leipzig an. Fest steht: Sowohl Bayern als auch wir können mit einem Sieg am Samstag einen großen Schritt machen – wir Richtung Champions-league-teilnahme und Bayern hinsichtli­ch des Meistertit­els.

Was bedeutet das Ausscheide­n der Bayern am Dienstag in der Champions League und der Frust darüber für das Bundesliga-spitzenspi­el am heutigen Samstag?

Schäfer: Die Frage kann ich nicht beantworte­n, weil ich als Außenstehe­nder nicht beurteilen kann, wie die Bayern-spieler damit umgehen. Ich fand es auf jeden Fall sehr schade, dass Bayern ausgeschie­den ist, genauso wie auch der BVB. Ich drücke immer den deutschen Mannschaft­en die Daumen – weil es für den deutschen Fußball gut ist, wenn die Bundesliga-vertreter auf europäisch­er Ebene erfolgreic­h sind.

Interview Roland Wiedemann

● Marcel Schäfer (36) aus Aschaf‰ fenburg ist seit Juli 2018 Sportdi‰ rektor des Fußball‰bundesligi­sten VFL Wolfsburg. Zu seiner aktiven Zeit bestritt Schäfer acht Länderspie­le und von 2007 bis 2017 256 Bun‰ desligaspi­ele für den VFL Wolfsburg. 2009 wurde Schäfer mit Wolfs‰ burg deutscher Meister. 2015 ge‰ wann er mit den „Wölfen“den Dfb‰pokal. (row)

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Foto: dpa „Wir haben uns eine sehr gute Ausgangsla­ge geschaffen“, sagt Wolfsburgs Sportdirek­tor Marcel Schäfer vor dem Spiel gegen Bayern München.

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