Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Seelsorger mit Herz
Als junger Mann schlug Johannes Netzer den Weg des Geistlichen ein, mit 25 Jahren wurde er zum Priester geweiht. „Es erschien mir als ein sinnvoller Beruf, Menschen in verschiedenen Lebenslagen zu begleiten und ihnen vielleicht helfen zu können“, begründete Netzer seine Entscheidung. Die Seelsorge war ihm zeitlebens ein Herzensanliegen. Als „Don Giovanni“war er schon in der römischen Vorstadtgemeinde, die er während seiner Studienzeit begleitete, beliebt und anerkannt.
Er erlebte das Zweite Vatikanische Konzil aus nächster Nähe. Die Ökumene und die Nähe zu den Gläubigen standen stets im Mittelpunkt seines Wirkens. Kritik übte Netzer dagegen am Reformstau und der in seinen Augen überholten Sexualmoral der Kirche. Er forderte ein Frauendiakonat und eine bessere Behandlung von geschiedenen und wiederverheirateten Christen.
Der Augsburger Bischof Bertram Meier, ein Studienfreund Netzers, hat den gebürtigen Lindenberger als „waschechten Allgäuer mit Ecken und Kanten“in Erinnerung. „Johannes hat mir immer gesagt: Bertram, das Wichtigste ist: Du wirst nicht Hochwürden, du bleibst Mensch.“Diese Einstellung begleitete Netzer auf all seinen Stationen.
Sein Weg führte ihn nach zwei Kaplanstellen als Pfarrer zunächst nach Benningen und später nach Oberstaufen. In der Oberallgäuer Gemeinde wirkte er ab 1994 und hinterließ viele Spuren. Netzer blieb ein Priester aus Leidenschaft, als er älter wurde, und schonte sich nicht. Obwohl er sich schwer krank monatelang zurückziehen musste, lehnte er einen Ruhestand mit 70 Jahren ab. „Ich wollte nicht aus einer Krankheit heraus auf eine Aufgabe verzichten, die mir ein Leben lang wichtig war.“So konnte er 2018 Abschied und 50. Priesterjubiläum feiern – in einer vollen Kirche. Als Ruhestandsgeistlicher lebte er in Wasserburg, wo er mit 76 Jahren im April 2020 an den Folgen einer Corona-infektion starb. Michael Mang