Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie sich der Materialmangel am Bau verschärft
Holz, Kabel, Rohre – die Konjunktur zieht an und die Lieferengpässe samt Teuerungen werden auf den Baustellen immer mehr zum Problem. Das belastet die Unternehmen und künftig wohl zunehmend die Verbraucher
Augsburg/erding Die Therme Erding firmiert als „größte der Welt“und in Bayern kennt sie so ziemlich jeder. Ein großer Entspannungstempel: Rutschen, Wellenbad, Saunen, in den Tag hinein dösen, danach einen Burger. Wer das mag, kann hier eine gute Zeit haben. Wegen Corona war das Großbad über 300 Tage zu. Nun hat es wieder auf. Allerdings nicht komplett, denn es wird dort in größerem Stil gewerkelt.
Der Ursprungsbau von 1999 bekommt eine Kernsanierung. Neue Leitungen, neue Sanitäreinrichtungen, so was. Ein gutes Viertel der Therme ist daher gesperrt. Nun sollte so eine Therme ein Ort der Erholung sein. Aber die Baustelle trägt dazu gerade nicht bei, zumindest nicht aus Sicht der Betreiber. Eine Baustelle ist eine Baustelle, aber auf dieser dauert es diesmal länger als geplant. Schuld sind auch hier Lieferengpässe.
Das Gegenteil von Wellness für die postpandemische Wirtschaft ganz generell. Auf dem Bau hat sich das Problem allerdings nochmals verschärft. Das Ifo-institut meldet: Die deutschen Bauunternehmen leiden immer stärker unter Materialmangel und steigenden Einkaufspreisen, wie aus der jüngsten Ifoumfrage hervorgeht. 95,2 Prozent der Befragten berichteten im Juni von steigenden Einkaufspreisen in den vorangegangenen drei Monaten.
Marco Neueder ist der technische Leiter der Therme. Im Laufe des Sommers sollte die Sanierung durch sein. Das kann klappen, muss nicht. Materialmangel ist Neueder inzwischen vertraut: „Es gibt Firmen, die sich rechtzeitig eingedeckt haben, viele aber haben das auch nicht.“
Die Preise, erklärt der Fachmann, stiegen „teilweise ins Unermessliche“. Für Kupfer etwa habe es immer schon Tagespreise gegeben, inzwischen gelte das seiner Erfahrung nach teilweise auch für Holz. Das bleibe selten und werde immer teurer. Polyethylenrohre – für die Wasser- oder Gasversorgung – fehlen, Dämmstoffe, die für die Therme wichtigen Badewasserpumpen ebenfalls. Die Liste ließe sich fortsetzen. „Man kann einfach nicht mehr richtig planen, wann was kommt.“
Neueder sagt: „Wir haben einen Zimmerer, der kriegt für Holz gerade nicht mal mehr ein Angebot. Die Lieferzeiten sind nicht mehr just in time wie vor Corona, sondern es gilt: Schau, was du bekommst.“Auch wenn der Renovierungszeitplan für die Therme Erding möglicherweise eingehalten werden kann, obwohl viele Firmen wegen der anziehenden Konjunktur ausgebucht sind, steht schon jetzt fest: „Es wird definitiv um einiges teurer als ursprünglich geplant, das ist keine Frage.“
Auch in der Region ist die Preisentwicklung – für die die Ursachen höchst unterschiedlich sind – alles andere als entspannend und macht laut Handwerkskammer Schwaben (HWK) vielen zu schaffen. Zwar sind laut der jüngsten Hwk-umfrage 85 Prozent der befragten Unternehmen mit ihrer Geschäftslage zufrieden und auf dem Bau sogar noch etwas mehr – das Rohstoffproblem aber bleibt.
Auch für die M. Dumberger Bauunternehmung. Dumberger hat 160 Mitarbeiter. Pro Jahr schafft der Mittelständler aus Königsbrunn 100 bis 150 Wohnungen. Dumberger ist vor allem im Großraum Augsburg unterwegs, überwiegend als Bauträger, aber auch im Auftragsgeschäft. Vertriebsleiter Gerhard Failer zählt
an welchen Baustoffen es gerade besonders fehlt, wo es „massive Schwierigkeiten“und heftige Preissteigerungen gibt: Das sind – trotz guter Kontakte und eines gepflegten Lieferantennetzwerkes – nach wie vor Holz, Stahl, Dämmstoffe und Rohre. Alles teurer geworden. Teilweise gab es Preissteigerungen im Einkauf von bis zu 100 Prozent. Und Failer sagt: „Die Tendenz ist steigend. Ich höre von niemand: Entwarnung. Das ist nicht absehbar.“Konkret fehlen derzeit am meisten die Dämmstoffe. Lieferzeit im Augenblick: vier Monate. Mineralwolle ist rar, Styropor, die Liste ließe sich fortsetzten. Failer sagt: „Wir haben teilweise bei einfachen Kabeln Beschaffungsschwierigkeiten. Auch die Verknappung beim Holz hätte ich mir so nie vorstellen können.“Einer ihrer Geschäftspartner liefere derzeit zum Beispiel gar kein Parkett mehr. Bis auf Weiteres. „So was macht uns Riesenschwierigkeiten.“Die Folge: „Wir horten, wo wir können.“Platz sei auf dem Firmengelände zum Glück genug. Die Folgen der Materialengpässe und Preissteigerungen: „Wenn wir vom Auftragsbau sprechen, wenn also zum Beispiel ein Unternehmer ein Mehrfamilienhaus von uns fertigen lassen möchte, haben wir Kalkulationsprobleme. Wir müssen versuchen, die Preisentwicklung mit zu berücksichtigen, aber mit der derzeitigen Dynamik rechnet ja keiner.“Hinzu kommt: „Wir werden unflexibler wegen der langen Lieferzeiten.“Oft warte der Auftraggeber lange auf die Baugenehmigung. Dann sei sie endlich da und es könnte losgehen. „Aber“, sagt Failer, „im Extremfall rollte dann erst vier Monate später der erste Bagger.“
Im Bauträgergeschäft, wenn Dumberger auf eigenem Grund baut und verkauft, bietet das Unternehmen Festpreise an. Failer sagt, dass das inzwischen kaum noch zu machen sei, „weil wir ein extremes Risiko gehen. Alles, was während der Bauphase teurer wird, bleibt bei uns. Und bei Festpreisen haben Sie auch keine rechtliche Handhabe.“Bisher habe Dumberger die Preiserhöhung nicht an die Kunden weitergegeben, aber inzwischen denke das Unternehmen über Preisklauseln nach.
Felix Leiss, Umfrageexperte beim Ifo-institut, resümiert im Geauf, spräch mit unserer Redaktion: „Der Materialmangel auf dem Bau bleibt ein ernstes Problem. Wir haben so einen Engpass noch nicht gesehen.“Dabei sei die Auftragslage sehr gut und die Kapazitätsauslastung hoch. Schnittholz, bestätigt Leiss, bleibe ein problematisches Thema, erdölbasierte Baustoffe, synthetische Dämmmaterialien. Leiss erklärt: „Den Bauunternehmen fehlt das Kunststoffmaterial, aber bereits eine Stufe davor, in der Industrie, fehlt das Kunststoffgranulat.“Die Folge von Lieferengpässen und Teuerungen: „Wir sehen in der aktuellen Umfrage auch, dass viele Bauunternehmer planen, innerhalb der nächsten drei Monate die Preise zu erhöhen und die gestiegenen Beschaffungskosten somit an die Kunden weiterzugeben. Allerdings fürchten auch viele Betriebe, auf den höheren Einkaufspreisen zumindest teilweise sitzen zu bleiben“
Bei der Bayerischen Landesbausparkasse (LBS) mit ihren 1,4 Millionen Kunden sind nach Angaben eines Sprechers bislang „nur in Einzelfällen Bauverzögerungen in einem Maß aufgetreten, das zur Überschreitung von Fristen bei der Finanzierung führt.“In diesen Fällen werde nach einer individuellen Lösung mit betroffenen Kunden gesucht, heißt es weiter. Dazu der Hinweis für alle, die eine Wohnimmobilie nicht zum Festpreis kaufen: „Eine Reserve für unerwartete Ausgaben während der Bauphase – zum Beispiel aufgrund steigender Rohstoffpreise – zur Seite legen.“
Das unterstreicht auch Sascha Straub, Experte für Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Bayern. Straub rät Häuslebauern jetzt, ihre Verträge nochmals zu prüfen. „Kommen tatsächlich Preiserhöhungen ins Spiel, muss man unbedingt nachfragen, ob diese überhaupt zulässig sind und woraus sie sich genau ergeben.“Und auch Straub betont: „Künftig gilt: Man muss bei der Baufinanzierung mit größeren Puffern arbeiten als früher und schauen, dass es Festpreise für Materialien gibt und es im Vertrag dazu auch keine Aufweichungsmöglichkeiten gibt.“Bauverzögerungen könnten, gerade wenn alles auf Kante gerechnet sei, zu einem großen Problem werden. Etwa dann, wenn jemand den Mietvertrag für seine alte Wohnung schon gekündigt hat oder sich etwa die Bereitstellungszinsen für einen Kredit läppern, weil der Kunde das Geld nur verzögert bei seiner Bank abruft.