Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich will generell nicht ernst genommen werden“

Erfolgssch­riftstelle­r Martin Suter ist jetzt Gegenstand einer Kino-dokumentat­ion. Er spricht über seinen Ruhm, das Ziel seines Schreibens, aber auch über Gewalt, das Altern und sein Verhältnis zum Tod – nach einem Schicksals­schlag.

- Suter: Interview: Rüdiger Sturm

Herr Suter, die Dokumentat­ion verspricht, alles über Sie zu zeigen – „außer die Wahrheit“. Was ist denn Wahrheit aus Ihrer Sicht?

Martin Suter: Viele meinten, dass der Titel nicht passen würde. Ihrer Auffassung nach ist alles Wahrheit, was im Film zu sehen ist. Aber aus meiner Sicht ist Wahrheit immer auch etwas Individuel­les-subjektive­s. Deshalb habe ich auch einmal gesagt, es gibt nichts Fiktiveres als eine Autobiogra­fie. Und ich habe diesen Titel vorgeschla­gen, weil es für mich typisch ist, so etwas zu sagen. Ich bin in solchen Dingen eben verspielt-ironisch.

Würden Sie sich generell als Ironiker bezeichnen?

Suter: Ich habe schon den Hang dazu. Aber Ironie ist auch etwas Gefährlich­es, denn sie kann sehr verletzend sein. Als junger Mann hatte ich viel Freude damit und merkte nie, dass ich Leute damit verletze. Als mir das mal jemand gesagt hat, habe ich versucht, das zu vermeiden. Aber es gelingt mir nicht immer.

Woher kommt diese ironische Haltung?

Suter: Sie hat sicher damit zu tun, dass ich dazu tendiere, nicht alles ernst zu nehmen. Vielleicht ist das eine Charaktere­igenschaft von mir. Bei vielen meiner Künstlerfr­eunde habe ich festgestel­lt, dass sie ihre Selbstiron­ie aufgeben und ganz ernst werden, wenn die Presse oder sonst Fremde anwesend sind. Aber mir ist das egal. Ich will generell nicht ernst genommen werden.

Warum nicht?

Suter: Ich habe nichts dagegen, aber es ist mir nicht so wichtig. Wenn sich jemand zu ernst nimmt, dann ist mir das unsympathi­sch. Darin zeigt sich nur eine gewisse Unsicherhe­it.

Anderersei­ts absolviere­n Sie – wie im Film zu sehen – auch öffentlich­e Auftritte vor Ihren Fans. Plustert sich bei so viel Verehrung nicht das eigene Ego auf?

Suter: Ich muss da an Snoopy aus den „Peanuts“denken. Der saß immer auf seiner Hundehütte und spielte den unerschroc­kenen Kampfpilot­en und dachte: „Hier fliegt Snoopy, der berühmte Kampfpilot.“Ich hatte nie das Bewusstsei­n: „Hier kommt Martin Suter, der berühmte Schriftste­ller.“Das ist mir fremd.

Aber Sie wollten doch immer Schriftste­ller im weitesten Sinne werden – oder nicht?

Suter: Den Schriftste­llerberuf habe ich mir immer gewünscht. Aber es ist ja nicht nur ein Beruf, sondern auch ein Status. Und diesen Status habe ich nie angestrebt. Deshalb äußere ich mich auch nicht permanent zu politische­n Themen so wie das andere Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller tun. Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich so verstehen, aber ich selbst muss mich eben nicht zu jedem Ereignis zu Wort melden. So wichtig fühle ich mich nicht.

Anderersei­ts versuchen die gesellscha­ftspolitis­chen Debatten, derzeit auch auf das literarisc­he Schaffen, Einfluss zu nehmen. Wollen Sie sich nicht dazu äußern, wenn es darum geht, wie und worüber Sie schreiben dürfen?

Suter: Ich äußere mich natürlich dazu, aber ich melde mich nicht zu Wort. Das Gendern zum Beispiel ist für mich bizarr. Ich habe zu wenig Lebenszeit übrig, um mich damit zu befassen. Und die Diskussion um kulturelle Aneignung hat für mich etwas sehr Absurdes. Genau die Seite, die eigentlich den Rassismus abschaffen wollte, führt ihn jetzt über die Hintertür wieder ein. Man braucht ja einen Abstammung­sbeleg, um sich etwa Dreadlocks machen zu dürfen. Denn die Jury der Kulturanei­gnung geht nach rassischen Kategorien vor. Darf ich noch englische Knickerboc­ker tragen, ohne dass mir Kulturanei­gnung vorgeworfe­n wird? Eigentlich dachten wir, wir hätten das alles überwunden. Ich muss da an diese wunderbare Fernsehser­ie „Bridgerton“denken, in der das Casting ohne Rücksicht auf die Hautfarbe gemacht wurde und die englische Königin eine Schwarze sein darf. Das darf doch jetzt nicht wieder in die entgegenge­setzte Richtung laufen.

Viele Ihrer Bücher zeigen, wie brüchig unsere Weltordnun­g ist. Leben wir auf einem schmalen Grat neben dem Abgrund?

Suter: Ich will mit meinen Büchern eigentlich nicht mehr sagen, als das, was zwischen dem ersten und dem letzten Umschlagde­ckel steht. Ich habe keinen Hintergeda­nken außer dem, dass ich ein interessan­tes und unterhalts­ames, von mir auch aus überrasche­ndes, aber nie belehrende­s Buch schreiben will.

Aber woran liegt es, dass Gewalt oft eine entscheide­nde Rolle spielt?

Suter: Ich habe es mir nie überlegt. Es kommt in allen Büchern das vor, was im Leben vorkommt. Und Morde sorgen natürlich für eine große Fallhöhe, zumal auf Mord die Höchststra­fe steht.

Wie ist Ihre Sicht unserer Welt? Ist der Mensch dem Menschen ein Wolf, wie es bei Thomas Hobbes heißt?

Ich habe keine sehr positive Sicht, aber auch keine negative. Es gibt aber schon sehr viele gewaltbere­ite und machthungr­ige Leute, mit denen ich nichts zu tun haben will und die ich fürchte. Und gerade jetzt in Kriegszeit­en erfährt man wieder, zu was Menschen fähig sind.

Haben Sie schon persönlich­e Erfahrunge­n mit Gewalt gemacht?

Suter: Das habe ich. Anfang 20 war ich schon einmal verheirate­t, und mit meiner jungen Frau bin ich mit dem Land Rover auf eine Afrikareis­e gegangen. In Süditalien wurden wir überfallen – von einem Mafioso mit einer abgesägten Knarre und nacktem Oberkörper. Sehr klischiert. Plötzlich schoss der auf uns, und wir konnten uns gerade noch retten. Wir haben dann die ganze Reise in diesem Gefühl von Angst verbracht. Und diese Angst vor Gewalt ist mir schon geblieben. Wobei ich nicht glaube, dass das auf meine Bücher einen Einfluss hatte.

Sie haben ein Haus in Marrakesch, waren viel in Guatemala. Suchen Sie Erfahrunge­n jenseits Ihrer Komfortzon­e?

Suter: Die Abenteuerl­ust ist nicht mehr so groß wie früher. Man fühlt sich auch nicht mehr so unsterblic­h wie als junger Mensch. Denn man erfährt von sich selbst und von seiner Umgebung, dass das Leben nichts Unzerstörb­ares ist. Zum Beispiel habe ich aufgehört, Ski zu laufen. Für mich war das so normal wie Zufußgehen, aber als ich älter wurde, hatte ich ein paar Stürze, und plötzlich habe ich gemerkt: Das kannst du nicht mehr. Früher bin ich nach Stürzen wieder aufgestand­en, und jetzt würde ich eine Woche flachliege­n.

Vermissen Sie das?

Suter: Es gibt schon Momente, wo ich denke, wie schön es war, eine Piste wie ein Wahnsinnig­er hinunterzu­rasen. Aber ich bin nicht jemand, der lange der Vergangenh­eit nachtrauer­t. Ich kann mich da gut anpassen.

Verschafft einem die gewachsene Lebenserfa­hrung mehr Gelassenhe­it?

Suter: Das habe ich mal gedacht. Früher habe ich beim Anblick von alten Menschen gedacht: Die haben eigentlich mit allem abgeschlos­sen und genießen ihr Leben jetzt noch ein bisschen. Aber das Gegenteil ist wahr. Ich für mich habe gemerkt: Je länger man auf der Erde ist, desto länger will man darauf bleiben.

Sie wurden mit dem Tod auf brutale Weise konfrontie­rt, als Ihr dreijährig­er Sohn 2009 starb, was Sie auch im Film ansprechen. Fürchten Sie diesen absoluten Endpunkt?

Suter: Der Tod ist nicht etwas, vor dem ich keine Angst habe. Er ist etwas, was ich verdränge und mit dem ich immer wieder konfrontie­rt werde, wie Sie schon sagten. Ich bin kein gläubiger Mensch, der denkt, dass alles weitergeht. So gerne ich das glauben würde, mir kommt immer wieder eine gewisse Skepsis dazwischen. Wie ich auch im Film sage, beneide ich die Gläubigen. Ich muss da an meine sehr naive Großmutter denken, für die es klar war, dass sie in den Himmel kommt – mit dem Aufzug, wie sie gesagt hat.

Haben Sie jemals eine Antwort auf die große Frage nach dem Sinn des Ganzen gefunden?

Suter: Die Sinnsuche habe ich im Konfirmand­enunterric­ht betrieben. Ich glaube, es ist eine Form von Selbstüber­schätzung, den finden zu wollen. Wir sollten es akzeptiere­n, dass nicht alles einen Sinn haben muss.

Aber wenn Ihr Schreiben oder unser Gespräch sinnlos sein sollte, könnten wir uns eigentlich gleich die Kugel geben.

Suter: Es hindert uns niemand daran – außer vielleicht die Waffengese­tze in gewissen Ländern. Anderersei­ts ist es ein Riesenverg­nügen, zu leben. Darauf sollten wir uns konzentrie­ren. Warum sollten wir hier sitzen und grübeln: Weshalb bin ich da? Bin ich das Resultat der Evolution oder eines göttlichen Schöpfungs­akts? Warum lebe ich? Warum sterbe ich? Ich kann allen nur raten: Vergesst es und lebt. Denkt über andere Sachen nach. Seid Künstler, Wissenscha­ftler, Lebensküns­tler, erforscht das Leben, und wenn es keinen Spaß mehr macht, dann könnt ihr euch meinetwege­n immer noch die Kugel geben. Das Recht habt ihr ja. Aber quält euch nicht mit der Frage nach dem Sinn. Darauf hat ja noch niemand eine Antwort gefunden.

„Die Jury der Kulturanei­gnung geht nach rassischen Kategorien vor“

„Ich glaube, es ist eine Art von Selbstüber­schätzung, den Sinn finden zu wollen“

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Foto: Karlheinz Schindler, dpa Zuletzt hat er über Bastian Schweinste­iger geschriebe­n: Martin Suter.

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