Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Hoffnung auf Frieden hat getrogen
Rafael Seligmann im Gespräch mit Theo Waigel
Ichenhausen Ein Alterswerk des Philosophen Kant ist sein Entwurf „Zum ewigen Frieden“, der eine Politik beschreibt, die bereit ist, sich dem Recht unterzuordnen. „1990 haben viele gedacht, der ewige Friede sei ausgebrochen“, spielt der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel beim erstmals stattfindenden „Ichenhauser Synagogengespräch“auf Kant und auf die deutsche Wiedervereinigung an. Doch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hat die Hoffnung offenbar getrogen.
Waigel unterhielt sich mit dem jüdischen Publizisten Rafael Seligmann, der die neue Gesprächsreihe etablieren soll und der aus Berlin in die Heimat seines Vaters gereist ist. Seligmann lässt den ersten Band seiner Familientrilogie („Lauf, Ludwig, lauf“) in Ichenhausen spielen und damit auch in jener Synagoge, in der er jetzt neben Waigel Platz genommen hat.
Seligmanns Gesprächspartner kommt angesichts des Ukrainekrieges Shakespeares „König Lear“in den Sinn. Das Stück hat er vor Jahren in Wien gesehen. Im vierten Akt sagt der geblendete Graf von Gloucester: „Das ist die Seuche dieser Zeit – Verrückte führen Blinde.“Das löste damals am Burgtheater Lacher aus, weil viele den Satz auf die österreichische Innenpolitik bezogen. Waigel spannt einen größeren Bogen, fragt sich, an welche Länder die Menschen heute denken: „An die USA? Russland? China? Die Türkei? Manche vielleicht an Deutschland?“
Waigel erinnert in Ichenhausen an die im Bundestag gehaltene Rede Putins 2001. Der habe sich zum Frieden, zur Demokratie und zu einem Europa bekannt, das aus den Fehlern der Vergangenheit lernen solle. Was ist da passiert? Waigel erklärt es sich damit, das sich jedes Land in Europa besser entwickelt habe als Russland. Der ökonomische Misserfolg solle nicht erst seit diesem Jahr kompensiert werden mit Bomben und Raketen.
Waigel riet, nun das verstärkt anzugehen, was vor rund 70 Jahren wegen einer fehlenden Mehrheit im französischen Parlament nicht gelungen ist: die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Die militärische Komponente ist für ihn ein Signal der Stärke Europas gegenüber Russland und führe außerdem zu einer größeren Unabhängigkeit.