Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Wir machen Schiffe klimafreundlich“
Uwe Lauber ist Chef des Augsburger Unternehmens MAN Energy Solutions. Die Firma sieht sich als einer der weltweit maßgeblichen Akteure, um in großer Menge den Ausstoß von CO2 zu vermeiden.
Herr Lauber: Krisen, nichts als Krisen. Wie geht es MAN Energy Solutions als Motoren- und Turbomaschinenhersteller?
Uwe Lauber: Wir können nicht klagen. Es läuft gut. Wir machen Fortschritte, sind aber noch nicht ganz über den Berg.
Die Einschätzung „Fortschritte“wirkt etwas untertrieben. MAN Energy Solutions sei auf Rekordkurs, heißt es hinter den Kulissen.
Lauber: Genaue Angaben darf ich noch nicht machen. Wir haben aber 2022 mit Abstand den höchsten Auftragseingang in der Geschichte unseres Unternehmens verzeichnet. Und das, obwohl wir einen Großauftrag aus Russland für Schiffsgasmotoren wegen des russischen Angriffskrieges und des Embargos stornieren mussten.
Diese 60 Motoren sollten in Augsburg produziert werden. Welche Folgen hat das für den Standort?
Lauber: Wir bauen im Jahr 100 bis 150 Motoren in Augsburg. Der Stopp des russischen Auftrags war ein Schock für die Belegschaft. Plötzlich hatten 100 bis 150 Beschäftigte in der Montage und Fertigung keine Arbeit mehr.
Konnten Sie den weggebrochenen Auftrag ausgleichen?
Lauber: Das ging leider nicht. Deswegen mussten wir die betroffenen Beschäftigten zum Teil in Kurzarbeit schicken. Zum Glück floriert die Industrie im Augsburger Raum. So haben wir viele Mitarbeiter an den händeringend nach Fachkräften suchenden Augsburger Getriebe-spezialisten Renk ausgeliehen. All diese Beschäftigten kommen jetzt Schritt für Schritt wieder zu uns zurück.
Konnten Sie trotz des weggebrochenen Großauftrags alle Arbeitsplätze erhalten?
Lauber: Wir konnten alle Arbeitsplätze sichern.
Doch MAN Energy Solutions hat eine harte Sanierung hinter sich. Nach der Vereinbarung mit der Konzern-mutter Volkswagen müssen rund 800 von einst etwa 4400 Arbeitsplätzen wegfallen. Klappt das ohne betriebsbedingte Kündigungen?
Lauber: Wir müssen keinem einzigen Mitarbeiter kündigen. Wir schaffen den Abbau von 800 Arbeitsplätzen auf rein freiwilliger Basis, also etwa über Altersteilzeit. Mitte dieses Jahres sind wir mit dem Programm zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch. Unsere Strategie stimmt. Sie lautet: Moving big things to zero.
Frei übersetzt und zugespitzt, hat sich MAN Energy Solutions vorgenommen, große Co2-sünder einmal auf null klimaschädliche Emissionen runterzukriegen.
Lauber: Wir wollen die großen Schiffe der Welt, Energieerzeuger und Zementfabriken mit klimafreundlichen Antrieben und technischen Lösungen ausstatten. Mit unserer Technologie zur Co2-abscheidung und Verdichtung, schaffen wir es, eine Zementfabrik in Norwegen deutlich klimafreundlicher zu machen. Ab Sommer 2024 werden dort jährlich 400.000 Tonnen CO2 abgeschieden, was 50 Prozent der Emissionen dieses mit Gas betriebenen Zementwerks entspricht.
Wie funktioniert das? Rund sechs bis acht Prozent der weltweiten Co2-emissionen fallen in der Zementherstellung an.
Lauber: Der Kohlenstoff wird abgeschieden und anschließend mit unserer Kompressor-technologie verdichtet, verflüssigt und mit Schiffen zu einem unterirdischen Speicher in Norwegen transportiert und dort gelagert. Das ist die weltweit erste Kohlenstoff-abscheideanlage im Industriemaßstab in der Zementherstellung. Das CO2 in Norwegen wird nicht nur eingelagert, sondern zum Teil auch als Rohstoff verwendet.
Als Rohstoff?
Lauber: In Norwegen ist CO2 seit mehr als 20 Jahren ein Produkt. Wir vergessen in Deutschland oft, dass CO2 auch ein wichtiger Rohstoff ist, den wir unter anderem für die Herstellung von synthetischem Kraftstoff benötigen. CO2 wird auch in der chemischen Industrie benötigt. Selbst für Mineralwasser braucht man CO2 für die Kohlensäure-produktion.
Aus dem Klimakiller wird also ein nützliches Produkt.
Lauber: Genau. Unser Ziel muss das Prinzip „Flaschenpfand“sein: Wir scheiden CO2 ab, wo es unvermeidbar anfällt, und verwenden es immer wieder. Zum Beispiel für grüne Schiffstreibstoffe, die wir aus CO2 und Wasserstoff herstellen können.
Doch für die Energiewende braucht man massenhaft grünen Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie hergestellt wird.
Lauber: Deshalb müssen wir in Regionen mit viel Sonne und Wind, also etwa im Nahen Osten, im großen Maßstab Solar- und Windkraftwerke bauen. In Abu Dhabi wird jetzt ein Solarkraftwerk gebaut, dessen Energieleistung eineinhalb Atomkraftwerken entspricht. Dort wird mit grünem Strom und mittels Elektrolyse
Wasserstoff hergestellt, den wir auch in Deutschland dringend als Energiequelle, etwa für Stahlwerke, aber auch für Schiffe brauchen. Hier gibt es eine bahnbrechende Idee: Wir bringen unser abgeschiedenes und verflüssigtes CO2 mit Schiffen in den Nahen Osten. Dortige Unternehmen verwenden dann unser CO2, um zusammen mit ihrem grünen Wasserstoff synthetisches Gas herzustellen.
Wenn das klappt und das Gas auch noch günstig ist, schaut Russland in die Röhre.
Lauber: Am Ende fahren dann die Schiffe, die unser CO2 etwa in die Vereinigten Arabischen Emirate gebracht haben, mit synthetischem Gas zurück. Und für die Produktion von Wasserstoff liefert MAN Energy Solutions mit seiner Augsburger Tochter H-tec Systems die notwendigen Elektrolyseure. Augsburg hat die Chance, das Mekka der Wasserstoffindustrie zu werden.
Bei aller Euphorie: Machen wir uns so nicht erneut zu abhängig von Staaten im Nahen Osten?
Lauber: Das muss nicht sein. Solche grünen Riesenkraftwerke zur Erzeugung von Wasserstoff lassen sich auch in Afrika und Australien bauen. Der australische Energieminister war unlängst in Deutschland
zu Besuch und hat mit Wirtschaftsminister Robert Habeck darüber gesprochen. Er hat auch unser Werk in Berlin besucht. Schon drei Prozent der Fläche Australiens würden ausreichen, um eine Wasserstoffmenge zu produzieren, die 60 Mal dem erwarteten Bedarf Deutschlands entspricht. Wird die Energiewende entschieden genug vorangetrieben? Lauber: Wir sollten in Deutschland mal aufhören zu reden und dafür mehr machen. Ich bin mittlerweile besorgt. Ich habe an der Weltklimakonferenz in Ägypten teilgenommen. Dort haben andere Nationen reihenweise Absichtserklärungen unterschrieben, Solarfarmen oder Wasserstoffanlagen zu bauen. Doch am deutschen Pavillon fand das nicht statt. Wir sind zu langsam. Vieles versauert in unserer Bürokratie. MAN Energy Solutions setzt sich dagegen ehrgeizige Ziele. Lauber: Wir haben die Technologien, um rechnerisch zehn Prozent des weltweiten Co2-ausstoßes zu vermeiden. Mit unserer Technologie entsteht bei BASF in Ludwigshafen die größte Wärmepumpe der Welt. Damit lassen sich pro Jahr rund 450.000 Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht in etwa dem Klimaausstoß von 250.000 Autos. Der Markt für Großwärme-pumpen wächst bis 2030 auf fünf Milliarden Euro. Wir rechnen uns aus, hier Geschäfte im Wert von einer Milliarde Euro zu machen. Der von uns erwartete Anteil an dem Geschäft würde einer Verringerung des weltweiten Co2-ausstoßes von zwei Prozent entsprechen.
Dann fehlen noch acht Prozent.
Lauber: Wir haben außerdem die Chance, fünf Prozent der weltweiten Co2-emissionen mit unserer Auffang- und Abscheide-technologie von CO2 etwa für die Zementindustrie einzusparen. Das sind schon sieben Prozent. Ein weiteres Prozent können wir mit unserer Wasserstoff-tochter H-tec erreichen. Über neue Schiffsmotoren, die mit synthetischem Gas fahren können, kommen weitere zwei Prozent hinzu.