Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn das Auto zu viel weiß
Fahrzeuge sammeln unentwegt Daten – von der Motorleistung über das Abgassystem bis zur Sitzposition. Moderne Wagen senden sie direkt an die Hersteller. Doch was passiert dann mit den Informationen? Was Verbraucher tun können und was Experten fordern.
Augsburg Autos sind rollende Computer. Nicht nur das Navigationssystem oder die Freisprechanlage bekommen Auskunft über persönliche Daten wie Fahrtziele oder Telefonkontakte. Fast jeder Vorgang beim Fahren hinterlässt Daten, die das Auto unermüdlich sammelt. Fahrerinnen und Fahrer bekommen davon meist gar nichts mit. Und das gilt nicht nur für moderne Wagen, deren Bordelektronik schon computerhafte Züge angenommen hat. Auch ältere Baujahre sind wahre Datensammler.
Bereits seit Anfang der 2000er Jahre muss in jedes neue Fahrzeug ein On-board-diagnose-system (OBD) eingebaut werden. Es überwacht alle abgasrelevanten Systeme und zeigt Fehler via Kontrollleuchte an. Die Daten werden gespeichert und können in einer Werkstatt über die Obd-schnittstelle ausgelesen werden. Doch die Autohersteller nutzen das System nicht nur als Fehlerspeicher. Adac-experte Arnulf Thiemel erklärt, dass diese mit der OBD viel mehr Informationen sammeln.
Es werden Daten zu fast allen Vorgängen erfasst: Motordrehzahl, Geschwindigkeit, Kilometerstand, Blinker-betätigung, Verkehrsdaten, wann ein Auto auf- und zugesperrt wird, sogar die Sitzposition des Fahrers. „Mit jeder neuen Generation Steuergerät wurden mehr Daten gesammelt“, sagt Thiemel.
Immer mehr moderne Autos haben eine ab Werk verbaute Simkarte. Sie sind ständig mit dem Internet verbunden und senden regelmäßig Daten an die Hersteller. In Zukunft dürften noch deutlich mehr Informationen anfallen, wenn vernetzte Autos die Straßen erobern. Doch das lässt etliche Rückschlüsse auf Fahrerin oder Fahrer und Fahrverhalten zu. So können Sensoren Körpergröße und Gewicht erfassen. Auch wie viele Menschen im Wagen sitzen, speichern viele Autos ab. Anhand von Gps-daten lassen sich ganze Bewegungsprofile erstellen.
All die Daten landen bei den Herstellern. Doch wofür werden sie genutzt? „Wir wissen im Detail nicht, was die Hersteller mit den Daten machen“, sagt Adac-experte Thiemel. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) teilt mit: „Grundsätzlich sind Fahrzeugdaten eine wichtige Grundlage für Innovationen, für eine nachhaltige Mobilität und für neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle rund um das Automobil.“Hersteller und Zulieferer könnten durch die Daten gezielt die Technik weiterentwickeln, aber auch interessierte Unternehmen könnten damit ganz neue datengetriebene und individuelle Dienstleistungen anbieten, so ein Vda-sprecher.
Datenschützer befürchten, dass die Informationen für Werbezwecke genutzt oder an Dritte weitergegeben werden könnten. Etwa an Versicherungen, die mit speziellen Tarifen die Fahrweise belohnen oder bestrafen könnten. Zwar seien die Daten durch die Datenschutzgrundverordnung DSGVO geschützt, Thiemel sagt aber: „Die Hersteller versuchen mit eigenen Datennutzungsverträgen möglichst weitreichende Freigaben der Kunden einzuholen.“
Der ADAC will deshalb schon länger, dass Autobesitzer die Datenverarbeitung unkompliziert abschalten können – ähnlich wie auf dem Smartphone. Vereinzelt geben Hersteller den Nutzerinnen und Nutzern inzwischen diese Möglichkeit. Zudem fordert der Automobilklub, dass die Hersteller eine Datenliste für jedes Fahrzeug ins Internet stellen. Dort solle transparent aufgelistet werden, welche Daten erfasst werden, so Thiemel. Kundinnen und Kunden wüssten, woran sie sind und könnten zugleich die Hersteller auf ihre Datensparsamkeit vergleichen. „Die Gesetzgebung hinkt der Technologie hinterher“, so Thiemel. Der ADAC setzt auf die Einsicht der Hersteller. „Wir haben keine Stelle in Deutschland, die alle Autos auf Dsgvo-konformität überprüft“, gibt er zu bedenken. Das sei auch wenig praktikabel, da es einen riesigen personellen Aufwand bedeuten würde. Thiemel sieht eine andere Chance: Beim Thema Airbag habe der Verbraucherschutz eine derart wichtige Rolle eingenommen, dass sich Autobauer gar nicht trauen würden, keine Airbags einzubauen – obwohl das gesetzlich möglich wäre. Würden Kunden und Verbraucherschutz einen ähnlichen Druck beim Thema Datenschutz aufbauen, so könnten die Hersteller freiwillig hohe Standards einführen. So die Hoffnung.
Was also können Kunden gegen die Sammelwut tun? Bei Autos mit Sim-karte könnten Fahrer meist einen „private modus“auswählen, bei dem keine Daten weitergeleitet würden, so Thiemel. Auch die DSGVO gibt ihnen Rechte an die Hand, erklärt Katharina Grasl von der Verbraucherzentrale Bayern. Betroffene könnten jederzeit Auskunft darüber verlangen, welche Daten von ihnen verarbeitet würden, auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck. „Werden Daten unberechtigt verarbeitet, können Verbraucher deren Löschung verlangen“, so Grasl. Die Einwilligung zur Datenverarbeitung könne widerrufen werden.
Personenbezogene Daten gehören den Verbrauchern. Grasl erklärt, dass Daten immer dann personenbezogen seien, „wenn sie einen Rückschluss auf eine bestimmte Person, beispielsweise den Fahrzeughalter aber auch Dritte wie Mitfahrer zulassen.“Da die Fahrzeugdaten mit Kennzeichen oder Identifikationsnummer verknüpft sind, trifft das praktisch auf fast alle Daten im Auto zu.
Freilich ist es in manchen Bereichen sinnvoll, Daten zu erheben und auszuwerten. So tragen Fahrzeugdaten maßgeblich zu Sicherheit und Effizienz von modernen Autos bei und können zur Aufklärung von Unfällen beitragen. Dass sich in Sachen Datenschutz rechtlich etwas tun muss, das sieht auch der VDA so. „Klar ist: Es braucht dringend einen einheitlichen Rahmen, der die Speicherung, Sicherung und Nutzung der Fahrzeugdaten regelt“, sagt ein Sprecher. Die Eu-kommission will in diesem Jahr ein Konzept für den Umgang mit Fahrzeugdaten vorlegen.