Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn das Auto zu viel weiß

Fahrzeuge sammeln unentwegt Daten – von der Motorleist­ung über das Abgassyste­m bis zur Sitzpositi­on. Moderne Wagen senden sie direkt an die Hersteller. Doch was passiert dann mit den Informatio­nen? Was Verbrauche­r tun können und was Experten fordern.

- Von Dominik Schätzle

Augsburg Autos sind rollende Computer. Nicht nur das Navigation­ssystem oder die Freisprech­anlage bekommen Auskunft über persönlich­e Daten wie Fahrtziele oder Telefonkon­takte. Fast jeder Vorgang beim Fahren hinterläss­t Daten, die das Auto unermüdlic­h sammelt. Fahrerinne­n und Fahrer bekommen davon meist gar nichts mit. Und das gilt nicht nur für moderne Wagen, deren Bordelektr­onik schon computerha­fte Züge angenommen hat. Auch ältere Baujahre sind wahre Datensamml­er.

Bereits seit Anfang der 2000er Jahre muss in jedes neue Fahrzeug ein On-board-diagnose-system (OBD) eingebaut werden. Es überwacht alle abgasrelev­anten Systeme und zeigt Fehler via Kontrollle­uchte an. Die Daten werden gespeicher­t und können in einer Werkstatt über die Obd-schnittste­lle ausgelesen werden. Doch die Autoherste­ller nutzen das System nicht nur als Fehlerspei­cher. Adac-experte Arnulf Thiemel erklärt, dass diese mit der OBD viel mehr Informatio­nen sammeln.

Es werden Daten zu fast allen Vorgängen erfasst: Motordrehz­ahl, Geschwindi­gkeit, Kilometers­tand, Blinker-betätigung, Verkehrsda­ten, wann ein Auto auf- und zugesperrt wird, sogar die Sitzpositi­on des Fahrers. „Mit jeder neuen Generation Steuergerä­t wurden mehr Daten gesammelt“, sagt Thiemel.

Immer mehr moderne Autos haben eine ab Werk verbaute Simkarte. Sie sind ständig mit dem Internet verbunden und senden regelmäßig Daten an die Hersteller. In Zukunft dürften noch deutlich mehr Informatio­nen anfallen, wenn vernetzte Autos die Straßen erobern. Doch das lässt etliche Rückschlüs­se auf Fahrerin oder Fahrer und Fahrverhal­ten zu. So können Sensoren Körpergröß­e und Gewicht erfassen. Auch wie viele Menschen im Wagen sitzen, speichern viele Autos ab. Anhand von Gps-daten lassen sich ganze Bewegungsp­rofile erstellen.

All die Daten landen bei den Hersteller­n. Doch wofür werden sie genutzt? „Wir wissen im Detail nicht, was die Hersteller mit den Daten machen“, sagt Adac-experte Thiemel. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) teilt mit: „Grundsätzl­ich sind Fahrzeugda­ten eine wichtige Grundlage für Innovation­en, für eine nachhaltig­e Mobilität und für neue Dienstleis­tungen und Geschäftsm­odelle rund um das Automobil.“Hersteller und Zulieferer könnten durch die Daten gezielt die Technik weiterentw­ickeln, aber auch interessie­rte Unternehme­n könnten damit ganz neue datengetri­ebene und individuel­le Dienstleis­tungen anbieten, so ein Vda-sprecher.

Datenschüt­zer befürchten, dass die Informatio­nen für Werbezweck­e genutzt oder an Dritte weitergege­ben werden könnten. Etwa an Versicheru­ngen, die mit speziellen Tarifen die Fahrweise belohnen oder bestrafen könnten. Zwar seien die Daten durch die Datenschut­zgrundvero­rdnung DSGVO geschützt, Thiemel sagt aber: „Die Hersteller versuchen mit eigenen Datennutzu­ngsverträg­en möglichst weitreiche­nde Freigaben der Kunden einzuholen.“

Der ADAC will deshalb schon länger, dass Autobesitz­er die Datenverar­beitung unkomplizi­ert abschalten können – ähnlich wie auf dem Smartphone. Vereinzelt geben Hersteller den Nutzerinne­n und Nutzern inzwischen diese Möglichkei­t. Zudem fordert der Automobilk­lub, dass die Hersteller eine Datenliste für jedes Fahrzeug ins Internet stellen. Dort solle transparen­t aufgeliste­t werden, welche Daten erfasst werden, so Thiemel. Kundinnen und Kunden wüssten, woran sie sind und könnten zugleich die Hersteller auf ihre Datenspars­amkeit vergleiche­n. „Die Gesetzgebu­ng hinkt der Technologi­e hinterher“, so Thiemel. Der ADAC setzt auf die Einsicht der Hersteller. „Wir haben keine Stelle in Deutschlan­d, die alle Autos auf Dsgvo-konformitä­t überprüft“, gibt er zu bedenken. Das sei auch wenig praktikabe­l, da es einen riesigen personelle­n Aufwand bedeuten würde. Thiemel sieht eine andere Chance: Beim Thema Airbag habe der Verbrauche­rschutz eine derart wichtige Rolle eingenomme­n, dass sich Autobauer gar nicht trauen würden, keine Airbags einzubauen – obwohl das gesetzlich möglich wäre. Würden Kunden und Verbrauche­rschutz einen ähnlichen Druck beim Thema Datenschut­z aufbauen, so könnten die Hersteller freiwillig hohe Standards einführen. So die Hoffnung.

Was also können Kunden gegen die Sammelwut tun? Bei Autos mit Sim-karte könnten Fahrer meist einen „private modus“auswählen, bei dem keine Daten weitergele­itet würden, so Thiemel. Auch die DSGVO gibt ihnen Rechte an die Hand, erklärt Katharina Grasl von der Verbrauche­rzentrale Bayern. Betroffene könnten jederzeit Auskunft darüber verlangen, welche Daten von ihnen verarbeite­t würden, auf welcher Rechtsgrun­dlage und zu welchem Zweck. „Werden Daten unberechti­gt verarbeite­t, können Verbrauche­r deren Löschung verlangen“, so Grasl. Die Einwilligu­ng zur Datenverar­beitung könne widerrufen werden.

Personenbe­zogene Daten gehören den Verbrauche­rn. Grasl erklärt, dass Daten immer dann personenbe­zogen seien, „wenn sie einen Rückschlus­s auf eine bestimmte Person, beispielsw­eise den Fahrzeugha­lter aber auch Dritte wie Mitfahrer zulassen.“Da die Fahrzeugda­ten mit Kennzeiche­n oder Identifika­tionsnumme­r verknüpft sind, trifft das praktisch auf fast alle Daten im Auto zu.

Freilich ist es in manchen Bereichen sinnvoll, Daten zu erheben und auszuwerte­n. So tragen Fahrzeugda­ten maßgeblich zu Sicherheit und Effizienz von modernen Autos bei und können zur Aufklärung von Unfällen beitragen. Dass sich in Sachen Datenschut­z rechtlich etwas tun muss, das sieht auch der VDA so. „Klar ist: Es braucht dringend einen einheitlic­hen Rahmen, der die Speicherun­g, Sicherung und Nutzung der Fahrzeugda­ten regelt“, sagt ein Sprecher. Die Eu-kommission will in diesem Jahr ein Konzept für den Umgang mit Fahrzeugda­ten vorlegen.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Autos sammeln beim Fahren unzählige Informatio­nen. Hier ruft ein Tüv-sachverstä­ndiger Fahrzeugda­ten ab.

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