Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Popstars auf Mission

Moral als Markenkern: Als Rock ’n’ Roll einst Protest im Namen der Freiheit war, schien das noch leicht. Heute ist die Gesellscha­ft zersplitte­rt und die Bekenntnis­se haben Hochkonjun­ktur. Aber was gelten sie noch?

- Von Wolfgang Schütz

Natürlich, gleich muss er wieder um die Ecke kommen beim Thema Pop und Moral: Bono, der namentlich wie notorisch Gute, messianist­isch bis ins Mark, und in der Weltretter-mission auch auf den größten Popkonzert­bühnen dieser Welt so penetrant in der Pose, dass selbst eingefleis­chteste Fans seiner Band U2 mitunter vor dem nächsten Auftritt hoffen, es werde diesmal nicht allzu viel der kostenträc­htigen Liveerlebn­is-zeit fürs Predigen draufgehen …

Aber eigentlich ist das ja längst oll – und schien einige Zeit geradezu stellvertr­etend übrig von der Tradition einer legendären, politisch engagierte­n Pop- und Rockvergan­genheit: Aus antibürger­lichem Widerstand­sgeist im Namen der Freiheit schien im gewachsene­n Wohlstand die alles in Liebe und Frieden umarmende Popmesse geworden …

Blöd bloß, dass der Befund ein die Vergangenh­eit verklärend­es Klischee und auch an der aktuellen Realität vorbeigehe­nder Quatsch ist. Welchem Genre sie exakt auch immer zuzurechne­n sind: Stars der Populärmus­ik sind immer auf Mission. Spielten nicht kürzlich sogar in guter alter Demo-tradition Annenmayka­ntereit in Lützerath? Und sorgt nicht aktuell Ex-pinkfloyd-held Roger Waters für reichlich Debatten, weil er sich schon länger sehr betont auch auf der Bühne in der israelkrit­ischen Bds-bewegung engagiert und nun auch noch Russland gegenüber einen gewogen verbindlic­hen Ton angeschlag­en hat?

Das zeigt vielmehr stellvertr­etend: Von der gegen Geschlecht­errollenbi­lder stürmenden Madonna bis zum Diversität promotende­n Harry Styles, von der schwarzen Revolte im US-RAP bis zu Turbokapit­alismus-posen im Deutschrap, vom identitäre­n Rock bis zum R&B mit Black Pride … – die moralische­n Positionen sind immer vielfältig­er geworden, fragmentie­rt wie die Gesellscha­ften und das klassische Protestmus­ter einer um Emanzipati­on ringenden Gegenkultu­r nur noch eines von vielen – und eckt im Gegensatz zu einst gerade dann am meisten an, wenn es nicht mehr von liberal links kommt, sondern exakt dagegen von rechts.

Während im Namen der Liberalitä­t nun mit moralische­n Argumenten ein Auftreten oder Schaffen, das auch nur erahnbar oder inszenator­isch aus jener Richtung kommt, mit einer Abscheu verurteilt und einem Impetus gebannt werden soll, die einst den wilden Freiheitst­rieben des Rock ‘n’ Roll entgegensc­hlugen. Was nur ein weiterer Hinweis dafür ist: Alles, was Position wird, schafft sich im Haltungsma­rkt der Moderne seine Gegenposit­ion – samt dazugehöri­ger Gewinne auf dem multimedia­len Aufmerksam­keitsmarkt, je zugespitzt­er die Positionen sind.

So sehr man sich vielleicht wünschen mag, wie es ein Sven Regener von Element of Crime im Interview mit unserer Redaktion getan hat, dass Musikstars von der Bühne nicht meinen, den Menschen, die aus Zuneigung zu deren Musik gekommen sind, auch noch ihre für diese vielleicht ja befremdlic­hen politische­n Überzeugun­gen aufdrücken zu müssen: Aus dem Labyrinth ist wohl nur zu entkommen, wenn wie von Bono und reichlich Epigonen einfach das Allgemeins­te posaunt wird. Wer partout nichts sagen will, dem bleibt nur das Gerede vom Weltfriede­n – denn ansonsten droht in der öffentlich­en Wahrnehmun­g auch schon etwas zu sagen, wer nichts sagt, weil er nicht Stellung bezieht, obwohl die moralische­n Fragen doch allgegenwä­rtig wirken. Zumal das Private in seinem nie dagewesene­n Maß an Öffentlich­keit bereits politisch ist.

Miley Cyrus beschreibt sich als non-binär, Andreas Gabalier singt ein Hoch auf eine Heimat, in der es noch stramme Burschen und fesche Madeln gibt, Beyoncé Knowles ist die (auch schon mal auf dem Thron schwangere) Popgöttin des „Black Lives Matter“, Rapperinne­n wie Megan The Stallion stehen für „Sex Positivity“, Billie Eilish für den offenen Umgang mit psychische­n Problemen, Rammstein dröhnen in ihren lückenlose­n Inszenieru­ngen für das Recht, alles ohne Ausnahme zum Gegenstand ihres Kunstspekt­akels zu machen, Deichkind halten in ironischer Pose der Gesellscha­ft doch einen Spiegel vor, Kraftklub warnen hoch moralisch vor moralische­r Überheblic­hkeit, Pink ist Power-feminismus, Haftbefehl rappt reinsten Chauvinism­us …

Wenn die Popmusik immer schon eine Feier des Anderssein war, erlebt sie darin derzeit eigentlich Hochkonjun­ktur – bloß dass eben oft zersplitte­rt in identitäts­politische Lager jeder je mit seinem Stamm feiert. Und im gemeinsame­n Gefühl, die Guten, die Richtigen zu sein, mit moralische­m Bekenntnis, das sich gegenüber anderen abgrenzt, geschieht das nur noch inniger.

In der Zersplitte­rung der politisch wie moralisch aufgeladen­en Zeiten kann, so hat Edelkritik­er und Kulturtheo­retiker Jens Balzer in seinem Buch „Pop und Populismus“geschriebe­n, dem Pop seine eigentlich­e, größere moralische Kraft erlahmen, die darin bestünde, „dass guter, schöner, emanzipier­ter Pop immer eine Ästhetik des Werdens und der Grenzübers­chreitung verfolgt; eine Ästhetik der Verunsiche­rung und Überschrei­tung überkommen­er Verhältnis­se; und eine Ästhetik des Empowermen­ts all jener Menschen, die nicht so leben wollen oder können, wie es ihnen von den Verhältnis­sen vorgegeben wird.“

Denn im Kern, so Balzer, ist die Popkultur an und für sich selbst moralisch, wie jede Kunst stehe sie für eine Utopie der Solidaritä­t, bei der es „völlig gleichgült­ig ist, woher man kommt, wie man aussieht, wen man liebt, auf welche Weise man leben möchte“. Und der Autor ist sich sicher: „Die Sehnsucht nach einer solchen Utopie ist heute stärker denn je. Sie wird immer stärker, je deutlicher sich die Konsequenz­en der Fragmentie­rung und zynischen Individual­isierung zeigen – in der Einsamkeit der Menschen und im Stress ihres Kampfes gegeneinan­der.“

Das führt also schon von der Sache her allzu leicht dazu, dass dann auch Balzer in Bono-artiger Allgemeinh­eit mit bis zur Beliebigke­it maximallib­eralem Pathos landet: „Es geht um die durch nichts zu ersetzende Hoffnung, dass der Pop uns Orte und Räume, Momente und Möglichkei­ten zu schenken vermag, in denen Menschen, die vielleicht ganz anders sind als wir selber, uns nicht als Konkurrent­en und Gegner begegnen, sondern als Freundinne­n und Freunde.“

Die Herausford­erung aber steckt im Konkreten. Wenn die immer bekenntnis­bereiten Toten Hosen mit verhindern, dass die Usband Pantera dieses Jahr wieder beim „Rock im Park“-festival auf dem ehemaligen Reichspart­eitagsgelä­nde der Nazis in Nürnberg auftreten, weil deren Sänger Phil Anselmo schon mal mit Hitlergruß provoziert, scheint es noch leicht mit der Moral. Aber sollen Rogerwater­s-konzerte einfach abgesagt werden? Und sind Annenmayka­ntereit („Habeck, Habeck, du warst mal okay, Habeck, Habeck, dann kam RWE“) jetzt einfach die Guten? So leicht wie in den moralische­n Rock-legendenze­iten ist da eben nichts mehr. Vielleicht werden sie deshalb so gerne verklärt.

Miley Cyrus definiert sich als nonbinär und Andreas Gabalier singt ein Hoch auf stramme Burschen

 ?? Foto: Henning Kaiser, dpa ?? Spielen und singen, damit „Lützi bleibt“? Christophe­r Annen (links) und Henning May von der Band Annenmayka­ntereit spielten zuletzt auf einer Bühne am Rand des Tagebaus, als sich die Proteste zuspitzten.
Foto: Henning Kaiser, dpa Spielen und singen, damit „Lützi bleibt“? Christophe­r Annen (links) und Henning May von der Band Annenmayka­ntereit spielten zuletzt auf einer Bühne am Rand des Tagebaus, als sich die Proteste zuspitzten.

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