Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ross und der Gott des Bankrotts

Tv-kritik Im neuen „Polizeiruf 110“muss der woke Kripo-paradiesvo­gel Vincent Ross weitgehend alleine im brandenbur­gischen Hinterland ermitteln. Und das macht er gut.

- Von Ronald Hinzpeter

Wer auf dem Jakobsweg pilgert, sucht gemeinhin so etwas wie inneres Heil. Diesmal lauert auf der wohl berühmtest­en europäisch­en Pilgerstre­cke eher das Unheil. Hier findet mancher weniger den inneren Frieden als vielmehr den Tod.

In der neuen „Polizeiruf 110“-Folge mit dem Titel „Der Gott des Bankrotts“(ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) liegt eine merkwürdig lächelnde Leiche im Märkischen Sand. Dabei hatte der tote Antoni Mazur keinen Grund dazu, denn er war pleite. Am Tag vor seinem Hinscheide­n wandelte er mit einigen anderen noch auf dem Jakobsweg, der sich auch durchs deutschpol­nische Grenzland schlängelt.

Den Wegen des Schicksals nachzuspür­en, ist die Aufgabe von Hauptkommi­ssar Vincent Ross (André Kaczmarczy­k), jenem dunklen Paradiesvo­gel, der sich die Augen schwarz umrandet, die Zehennägel lackiert und gekleidet ist, als würde er vom Tatort sofort aufbrechen wollen, um in einer angesagten Berliner Kunstgaler­ie mit Sektchen in der Hand einer Vernissage beizuwohne­n. In der vorangegan­genen „Polizeiruf“-folge „Abgrund“hatte sein verhaltens­auffällige­r Kollege Raczek (Lucas Gregorowic­z) den Dienst quittiert und nun schickt ihn der Rundfunk Berlin Brandenbur­g (RBB) erst mal ohne Dauerpartn­er zum Ermitteln. Ein ziemliches Wagnis, denn der geschminkt­e, stets korrekt gendernde Schöngeist­polizist Ross polarisier­t. Mehr woker Zeitgeist passt in keinen Tv-fahnder – und das wird in den Diskussion­s-foren vor allem von jungen Fans honoriert. Denn Drehbuchau­tor Mike Bäuml und Regisseur Felix Karolus führen hier keine Karikatur am Nasenring durchs Hinterland, ihr Vincent Ross ist helle, zugewandt, einfühlsam und trotzdem kein Weichei. Er lässt die handelsübl­ichen Alpha-männchen unter den Fernseh-ermittlern ziemlich gestrig aussehen.

Glänzen kann auch die Geschichte, die sich zwar um das spröde Thema Insolvenze­n dreht, aber so gar nicht spröde umgesetzt ist. Im Zentrum steht ein Männerpärc­hen, ein Insolvenzv­erwalter und ein Schuldnerb­erater.

Die beiden verfolgen offenbar auch gewisse Eigeninter­essen, was wiederum fatale Auswirkung­en auf Menschen hat, deren geschäftli­cher Lebenstrau­m gerade zerplatzt ist und die in verzweifel­ten Situatione­n zu verzweifel­ten Maßnahmen greifen. Der Titel „Gott des Bankrotts“erinnert wohl nicht von ungefähr an das erfolgreic­he Theaterstü­ck sowie den Film „Der Gott des Gemetzels“. In diesem „Polizeiruf“geht es aber nach außen hin nur mäßig blutig zu, die Verheerung­en spielen sich im Inneren der Menschen ab. Die schicksals­geladene, starke Folge packt ihr Publikum beim Gefühl: dem Mitleid mit den Verlierern und dem Zorn über zynischper­fide Machenscha­ften.

 ?? Foto: Volker Roloff, Rbb/dpa ?? Kriminalha­uptkommiss­ar Vincent Ross (André Kaczmarczy­k, rechts) befragt im neuen „Polizeiruf 110“Insolvenzv­erwalter Udo Schick (Bernhard Schir). Dessen Mandant ist unter ungeklärte­n Umständen zu Tode gekommen.
Foto: Volker Roloff, Rbb/dpa Kriminalha­uptkommiss­ar Vincent Ross (André Kaczmarczy­k, rechts) befragt im neuen „Polizeiruf 110“Insolvenzv­erwalter Udo Schick (Bernhard Schir). Dessen Mandant ist unter ungeklärte­n Umständen zu Tode gekommen.

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