Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Güterzug erfasst Kinder
Der Horrorunfall von Donnerstagabend erschüttert viele Menschen. Politiker zeigen sich zutiefst betroffen. Wie es zu dem Unglück kam, muss nun die Polizei ermitteln.
Recklinghausen Ein zehnjähriger Junge ist tot, ein Neunjähriger liegt schwer verletzt im Krankenhaus – beide erfasst von einem Güterzug. Am Freitag, dem Tag danach, fragen sich viele erschüttert: Warum hielten sich die Kinder im Gleisbereich auf? Wo exakt auf der Strecke zwischen Recklinghausen Hauptbahnhof und Recklinghausen-ost ereignete sich das Unglück? Nur eines ist drastische Gewissheit, schon kurz nach dem Unfall am Donnerstagabend: Für den Zehnjährigen kam jede Hilfe zu spät. Der Jüngere wurde noch am Abend operiert. Am Freitagmorgen hieß es, er schwebe nicht mehr in akuter Lebensgefahr.
Antworten auf die Fragen soll nun die Kriminalpolizei geben. Am Freitag ließen Ermittler zwei Drohnen aufsteigen. Man habe Fotos von dem langen Güterzug gemacht und vom kompletten Unfallbereich, sagte ein Polizeisprecher. „Womöglich können wir später noch Spuren gewinnen.“Aufschluss über das Unglücksgeschehen soll zudem die Obduktion des toten Jungen geben. Sie wird voraussichtlich am Montag durchgeführt. Zu den Kindern und ihren Familien machte der Polizeisprecher keine weiteren Angaben. Bekannt ist, dass sich Opferschutzbeauftragte um die betroffenen Familien kümmern. Der Notruf war kurz nach 18 Uhr gekommen; die Polizei geht davon aus, dass der Lokführer die Feuerwehr verständigte.
Nordrhein-westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach den Angehörigen am Freitag sein Mitgefühl aus. „Wer selber Kinder hat, hat vielleicht eine Ahnung, wie schlimm das sein muss, wenn das eigene Kind aus dem Leben gerissen wird“, sagte der Vater einer Tochter. Spd-landeschef Thomas Kutschaty twitterte: „Dass auch noch Kinder die Opfer sind, zieht einem die Beine weg.“
Bereits am Donnerstagabend war Nrw-innenminister Herbert Reul (CDU) nach Recklinghausen gekommen. „Unsere Gedanken sind bei dem Kind, das im Krankenhaus ist, dass das gut geht“, sagte er mit belegter Stimme. Er sprach von einem „großen Drama“. Auch Recklinghausens Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) machte sich vor Ort ein Bild. Das Unglück habe für große Betroffenheit in der Recklinghauser Bürgerschaft gesorgt. „Ich denke aber auch an den Lokführer, der dieses schlimme Erlebnis verarbeiten muss“, sagte Tesche. „Auch er benötigt ganz sicher Unterstützung.“
Der Lokführer blieb bei dem Unglück körperlich unversehrt, wie der Polizeisprecher am Freitag sagte. Sein seelischer Zustand sei aber „den furchtbaren Vorkommnissen entsprechend“. Nach Angaben der Bezirksregierung Münster wurden für Schüler und Lehrkräfte seit dem Freitagmorgen „umfangreiche Unterstützungsangebote“zur Trauerbewältigung eingerichtet. Diese Angebote sollten bei Bedarf ausgeweitet und „so lange wie nötig“fortgesetzt werden.
Der Güterzug, der nach dem Unfall zunächst weiter auf dem Gleis stand, wurde am Freitagnachmittag von der Unglücksstelle weggefahren. Nach Angaben einer Bahn-sprecherin handelte es sich nicht um einen Zug der Deutschen Bahn (DB). Die Bahnstrecke ist inzwischen wieder für den Regionalverkehr freigegeben. Das Unternehmen DB Regio sagte eine für Freitag geplante Veranstaltung kurzfristig ab. Anlässlich der Jubiläumssession „200 Jahre Kölner Karneval“hätte der Sonderzug „Karneval 2023“vorgestellt werden sollen.
Derweil baten die Ermittlerinnen und Ermittler um Mithilfe von Augenzeugen, welche die Kinder im Vorfeld des Unfalls gesehen haben. Es gebe momentan keine Hinweise darauf, dass noch weitere Kinder am Unfallgeschehen beteiligt waren. Unmittelbar nach dem Unglück war dies unklar gewesen, die Rede war zeitweise von einem dritten Kind, womöglich gar einer noch größeren Gruppe. Vor Ort berichteten zahlreiche Medienvertreter. Blumen oder Kerzen waren nicht zu sehen. Aber wo sollte man die auch ablegen?