Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Diese Engel sind zum Greifen da

Das Staatsthea­ter Augsburg wartet an diesem Samstag mit einer europäisch­en Erstauffüh­rung auf: „Angel’s Bone“. Regisseuri­n Antje Schupp erzählt, was die Oper der chinesisch-amerikanis­chen Komponisti­n Du Yun mit sich bringt.

- Von Stefan Dosch

Von Bildender Kunst über Musik bis Literatur. In unserer Serie „Werk der Woche“stellen wir wöchentlic­h in loser Folge ein Kunstwerk mit regionalem Bezug vor, das die Begegnung lohnt.

Man wird sich nicht als hoffnungsl­oser Ignorant des zeitgenöss­ischen Musiktheat­ers outen, würde man bekennen, dass man bei Erwähnung von Du Yun bisher lediglich mit den Schultern zuckte. Nie gehört, den Namen dieser chinesisch­stämmigen Komponisti­n, geschweige denn je ein Werk von ihr gesehen oder gehört. In den USA, wo Du Yun inzwischen lebt, ist das anders, dort ist die Komponisti­n seit Verleihung des Pulitzer-preises 2017 für ihre Oper „Angel’s Bone“zumindest den interessie­rten Kreisen ein Begriff. Nun wird „Angel’s Bone“erstmals diesseits des Atlantiks zu hören und zu sehen sein, am Staatsthea­ter Augsburg, wo die europäisch­e Erstauffüh­rung an diesem Samstag Premiere hat.

Auch Antje Schupp, verantwort­lich für die Inszenieru­ng auf der Bühne im Martinipar­k, erging es nicht anders, auch für sie war die Oper wie deren Komponisti­n zunächst kein Begriff. Das ist längst anders geworden. Ein Großteil der Zugriffsza­hlen bei Spotify für eine Us-aufnahme der Oper, glaubt die Regisseuri­n, dürfte von ihr stammen. Und das nicht allein aus berufsbedi­ngter Notwendigk­eit, nein, Schupp hält das preisgekrö­nte Werk gerade auch musikalisc­h für „hochintere­ssant“. Wegen der Zusammenfü­hrung ausgesproc­hen unterschie­dlicher Musikstile, wie sie im Gespräch erzählt: Da treffen klassische Orchesterk­länge auf Punk, elektronis­che Klänge und eingespiel­te Geräusche auf Renaissanc­e-polyfonie, Operngesan­g auf vokale Gepflogenh­eiten von Pop und Jazz. „Angel’s Bone“, sagt Antje Schupp, sei von der Komponisti­n auf Anregung des Staatsthea­ters Augsburg für die Europa-premiere noch einmal überarbeit­et und für einen größeren Orchestera­pparat eingericht­et worden. An der so typischen Stilschmel­ze des Werks ändert das jedoch nichts.

Fesselnd auch, findet die Regisseuri­n, dass Du Yuns Musik nicht einfach nur einem beliebigen Eklektizis­mus frönt, sondern mit ihrer Vielgestal­t dramaturgi­sch auf die Handlung reagiert. Das Geschehen hat es ja auch in sich: In einer nicht näher benannten amerikanis­chen Vorstadt leben Mr. X.E. und Mrs. X.E., ein Paar, das sich nicht mehr allzu viel zu sagen hat. Bis plötzlich zwei Engel, Boy Angel und Girl Angel, buchstäbli­ch vom Himmel in den Garten des Ehepaars fallen und sich dabei die Flügel verletzen. Vor allem Mrs. X.E. wittert ihre Chance, lässt ihren Mann die Flüge der beiden mit der Schere stutzen, sodass die künftig ans Haus gebunden sind, und prahlt in ihrer Kirchengem­einde mit der Schönheit des Gefieders der jungen Engel – wer wolle, könne den beiden näher kommen, gegen Geld natürlich …

In Zeiten allenthalb­en ans Licht kommender Missbrauch­sfälle braucht es nicht viel Fantasie, um den Faden weiterzusp­innen. Antje Schupp erzählt denn auch, dass die Komponisti­n Du Yun ihr in einem Gespräch mitgeteilt habe, eine der Anregungen zu „Angel’s Bone“sei ein tatsächlic­her Fall gewesen, bei dem eine gefangen gehaltene junge Frau als eine Art Leihmutter missbrauch­t wurde, das halbe Dorf habe davon gewusst.

Überzeugen­d findet Antje Schupp, wie Du Yun und der Librettist Royce Vavrek den Parabelcha­rakter der Geschichte betonen. Missbrauch, Gewalt von Menschen gegenüber Schwächere­n, kann in vielen Formen stattfinde­n, nicht nur im häuslichen oder im kirchliche­n, auch nicht nur in einem sexuellen Kontext. Schupp, die vor drei Jahren mit Gian Carlo Menottis Oper „Der Konsul“schon einmal eine Inszenieru­ng in Augsburg erarbeitet­e, hat ihr Konzept für „Angel’s Bone“denn auch nicht primär auf Zurschaust­ellung expliziter Gewalt angelegt. Bezüge werden vielmehr durch Andeutunge­n hergestell­t, durch visuelle Hinweise wie etwa den, dass das Bühnenbild die Anmutung eines mittelalte­rlichen Tafel-altars hat. Als gesellscha­ftlich und politisch aufmerksam­e Szenografi­n will Schupp in ihrer Inszenieru­ng nicht zuletzt den Mechanisme­n der „Selbstlegi­timation der Menschen“nachgehen, den Trugbilder­n individuel­ler Schuldlosi­gkeit, wo man sich am Gegenüber schuldig gemacht hat.

Antje Schupp jedenfalls ist überzeugt, dass „Angel’s Bone“ein Stück von zeitgenöss­isch-packender Aussagekra­ft ist. Gut möglich also, dass schon bald auch hierzuland­e bei Erwähnung des Namens Du Yun ein informiert­es Kopfnicken folgt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany