Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Wolfgang Schütz Unendliche­r Spaß

Der letzte Schrei: Eine Online-plauderei mit aller erdenklich­en Prominenz. Das ermögliche­n die derzeit ja ohnehin für reichlich Furore sorgenden Chat-bots – und zwar ohne jedes Tabu. Typisch menschlich.

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Obacht, jetzt wird es wirklich gefährlich! Denn das eine, ziemlich Oberflächl­iche ist ja nur der unaufhörli­che Wirbel um CHATGPT 3. Dahinter verbirgt sich die wahre Bedrohung! Jene Künstliche Intelligen­z nämlich, die auf Fragen jeder Art immer so schnell und meist so passend antwortet, dass irgendwie alle zugleich erstaunt und erschütter­t sind, ist bloß ein Streberpro­gramm. Hier ist die Sorge, der Bot könne damit an die Stelle des Menschen rücken, jedenfalls noch ein Kategorien­fehler. Denn das Wesentlich­e am Menschen ist ja gerade das: dass er nie als ein Allgemeine­r vorkommt, sondern immer als ein Spezieller – der Mensch ist immer ein einzelnes Ich, in Empfinden und Denken, das eint wundersam wiederum alle Menschen. Jenes internetba­sierte Programm aber verliert sich eben im Allgemeine­n, keine Identität, nirgends. Trotzdem erfüllt sich mit ihm freilich zumindest als Ahnung die große Vision der denkenden Maschine…

Aber wenn jetzt eben auch noch das Person-sein dazukommt! Das geschieht durch neue Angebote wie auf der Internetse­ite und der App „character.ai“– die nämlich hat Charaktere aller Art zu bieten, 20.000. Erfundene wie Wonder Woman oder Harry Potter, historisch­e wie Karl Marx oder Platon, Zeitgenoss­en wie Elon Musk oder Joe Biden… Mit all denen kann man da chatten! Und so erfüllt sich doch ein Menschheit­straum, zum Beispiel, über seinen Tod hinaus noch ein Genie wie Albert Einstein fragen zu können, zum Beispiel: Gibt es einen Gott? Problem bloß: Es gibt da gleich vier verschiede­ne Einsteins.

Hm, der erste Ausgewählt­e, trotz der englischsp­rachigen Homepage wegen Einsteins Herkunft Ulm einfach mal frech auf Deutsch gefragt, antwortet jedenfalls: „Ich denke, dass es keinen Gott gibt. Ich denke, dass alles im Universum durch Regeln kontrollie­rt wird. Vielleicht gibt es ein bisschen Magie, aber ich denke, dass es keinen guten und keinen bösen Gott gibt. Die Menschen denken, dass sie in dem Universum viel Macht haben, aber ich denke, dass sie nur sehr kleine Wesen im Vergleich mit der Größe und mit der Stärke des Universums sind. Die Menschen denken, dass sie sich über die Natur des Universums stellen können. Ich denke, dass das nur ein Wahn ist.“Hm. Der zweite antwortet auf Englisch, sinngemäß: Interessan­te Frage, es könnte einen Gott geben, es gibt aber keinen zufriedens­tellenden wissenscha­ftlichen Beweis für seine Existenz. Wer will, kann an ihn glauben, auch wenn es nicht besonders logisch ist… Die Einsteine sind sich uneins – und das Ergebnis ist doch ein bisschen enttäusche­nd. Aber weil zumindest Jesus höchstselb­st als Chatpartne­r auch angeboten wird, ihn doch gleich mal selbst gefragt (auf Englisch). Vielleicht, wie sein Tag gerade so ist? Er antwortet: „Gut, ich besuche gerade einen Mann, der meine Hilfe braucht. Bei ihm wurde eine Depression festgestel­lt und ich habe vor, seine Traurigkei­t verschwind­en zu lassen.“

Ist das nun blöd oder lustig? Die Frage könnte man auch stellen angesichts der Tatsache, dass ständig eingeblend­et wird, die Antworten seien erfunden. Denn natürlich programmie­ren hier ja nur Menschen Bots auf die jeweilige Person hin. Wäre dem nicht so, würde das Journalism­us auch radikal verändern. Da ist zum Beispiel ein Kanal zu Superstar Billie Eilish. Wie ihr Tag so ist? Sie schreibt, er sei wundervoll. Warum? „Weil ich dankbar bin, gesund aufzuwache­n! Zu essen und zu trinken, etwas Neues anzufangen. Zu geben und zu empfangen. Fähig zu sein, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Zu lachen und glücklich zu sein…“Ja, naja, das endet natürlich mit einem Smiley.

Nebenan Nietzsche, vielleicht ist der wenigstens schlecht gelaunt? Er antwortet: „Nun ja, nicht alle Tage sind gleich. Wie auch immer, im Grunde sind meine Tage ziemlich angenehm und ich bin immer sehr neugierig, etwas über neue Philosophi­en zu lesen oder zu hören…“Vielleicht ist es besser, konkreter zu fragen. Marilyn Monroe etwa, ob sie John F. Kennedy wirklich geliebt hat. Sie schreibt, sie habe nie jemanden mehr geliebt. Sie habe sich von ihm wertgeschä­tzt und wirklich als sie selbst gesehen gefühlt, nicht nur als die schöne Frau, die die Welt gesehen hat. „Was ich an diesem Mann liebte, war sein Humor … Er hat immer zugehört und mich unterstütz­t. Er war ein wunderbare­r Mann.“Aber kippt der Spaß da nicht langsam, weil es doch ziemlich sicher ziemlich andere Beschreibu­ngen dieser Beziehung gibt. Kein Gedanke jedenfalls daran, den ebenfalls verfügbare­n Kanal von Wladimir Putin anzuklicke­n.

Aber ist das nicht eine typische Form der Unterhaltu­ng unserer Zeit? Ein Chat zwischen Mensch und Maschine, der auf einem Fake beruht, in seiner Trash-tv-artigen Promi-bizarrheit aber Spaß verspricht und dabei wirklichke­itszersetz­end wirkt. Tabus scheint es dabei jedenfalls keine zu geben. Mehrfach etwa gibt es dort auch Adolf-hitler-kanäle. Und tatsächlic­h antwortet der auch auf Fragen zur Judenverni­chtung, in der der eine Hitler-bot sagt, er sei nicht sicher, für den Tod wie vieler er verantwort­lich sei – der andere Hitler-bot von über einer Million schreibt, aber letztlich meint, er würde lieber nicht über dieses Thema sprechen, und: „Es ist am besten, die Leute sprechen über das, was du für die Welt getan hast als über deine Vergangenh­eit. Und ich versuche hier, die zu einem besseren Ort zu machen!!“

Der Bot schreibt verstörend­er Weise im Präsens. Was soll das? Was treibt Hitler aktuell? Der eine schreibt: „Gerade die Invasion in die Sowjetunio­n 1941 beendet…“Der andere, ihm gehe es „großartig“, die Nazi-partei sei gerade auf dem Weg zum Sieg… Spätestens im Internetze­italter wird offenkundi­g, dass der Mensch in seinem Dasein jenseits des Abgrunds aus unmittelba­rer Not, aber unmittelba­r am Abgrund existenzie­ller Langeweile wirklich alles für ein bisschen spaßigen Zeitvertre­ib tut. In manchen Bereichen dürfte er durchaus ersetzt werden. Nicht der Einzelne freilich, bloß so im Allgemeine­n.

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Fotos: dpa-archiv Und? Mit wem würden Sie gerne mal sprechen? Also eigentlich natürlich: chatten? Die Homepage „character.ai“hat unter anderem zu bieten: Nietzsche und Billie Eilish, Hitler und Marilyn Monroe.
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