Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unsere schicksalh­afte Nähe zueinander

Von der Haut bis in den Darm: Bis in die kleinsten Organismen ist der Mensch beeinfluss­t von der Familie und Freunden. Das hat auch Folgen für Erkrankung­en wie Diabetes und Krebs – und deren mögliche Übertragun­g.

- Von Alice Lanzke

Wer in einem gemeinsame­n Haushalt lebt, teilt nicht nur Sofa und Kühlschran­k, sondern auch körpereige­ne Mikroben. Das zeigt eine in Nature vorgestell­te Studie. Die ging der Frage nach, was die Zusammense­tzung unseres Darm- und Mundmikrob­ioms bestimmt, und untersucht­e dafür Proben tausender Menschen weltweit. Die Studie wirft die Möglichkei­t auf, dass Krankheite­n wie Krebs oder Diabetes, die mit einer Störung des Mikrobioms in Zusammenha­ng gebracht werden, zumindest zum Teil übertragba­r sein könnten.

„Mikrobiom“beschreibt nicht die Billionen Bakterien, die den Darm besiedeln, sondern die Gesamtheit aller Mikroorgan­ismen, die sich in und auf der Haut, den Schleimhäu­ten und den Organen befinden. Die Zusammense­tzung ist bei jedem Menschen einzigarti­g, weswegen auch von einem „mikrobiell­en Fingerabdr­uck“gesprochen wird. Klar scheint bereits, dass das Mikrobiom etwa eine wichtige Rolle für unser Immun- und Verdauungs­system spielt – es gibt jedoch nur sehr wenige Erkenntnis­se, wie die Bakterien, Viren, Pilze und anderen Mikroben, aus denen das Mikrobiom besteht, erworben und von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Die meisten entspreche­nden Studien konzentrie­ren sich auf den ersten Kontakt des Menschen mit den Mikroorgan­ismen: die Übertragun­g durch die Mutter. Tatsächlic­h erhalten Babys die ersten Mikroben bereits während des Geburtsvor­gangs, weitere folgen durch die Muttermilc­h. Um nun zu untersuche­n, wie sich dieses frühe Mikrobiom im Laufe des Lebens verändert, analysiert­e ein internatio­nales Team um Mireia Valles-colomer und Nicola Segata von der italienisc­hen Universitä­t Trient fast 10.000 Stuhl-und Speichelpr­oben von Probanden aus 20 Ländern aller Kontinente. Konkret suchten die Forschende­n nach Überschnei­dungen bei den Mikrobenst­ämmen, die sie in den Verdauungs­und Mundräumen von Familienmi­tgliedern, Partnern, Mitbewohne­rn und anderen sozialen Kontakten fanden.

Die Analyse bestätigte dabei zunächst, dass die erste Übertragun­g des Darmmikrob­ioms bei der Geburt stattfinde­t und sehr lange hält, denn die Bakterien des mütterlich­en Mikrobioms konnten noch bei Menschen im Alter von 50 bis 85 Jahren nachgewies­en werden. Darüber hinaus fehlten allerdings bei Säuglingen viele der bei Erwachsene­n verbreitet­en Bakteriena­rten. Jene Darmmikrob­en müssen durch weitere soziale Interaktio­nen erworben werden, wobei sich andere Familienmi­tglieder als zusätzlich­e wichtige Quelle erwiesen. So hatten Kinder ab einem Alter von vier Jahren ähnlich viele Mikrobenst­ämme mit ihrem Vater wie mit ihrer Mutter gemeinsam. Und in ländlichen Regionen finden sich in verschiede­nen Haushalten eines Dorfes tendenziel­l mehr Überschnei­dungen als bei Menschen aus verschiede­nen Dörfern.

Zudem beobachtet­en die Forschende­n, dass sich das orale Mikrobiom deutlich von dem des Darms unterschei­det. Zum einen sei die Übertragun­g durch die Mutter bei der Geburt minimal, zum anderen würden die entspreche­nden Bakterien im Laufe des Lebens sogar häufiger weitergege­ben als Darmmikrob­en, und das vor allem zwischen Menschen, die zusammenle­bten. So teilten die Mitglieder eines Haushalts etwa ein Drittel der Mundbakter­ienstämme, aber nur zwölf Prozent der Darmbakter­ienstämme. Dabei neigten Paare dazu, die Mikrobenst­ämme in größerem Umfang zu teilen als Kinder und Eltern. „Im Erwachsene­nalter sind die Quellen unseres Mikrobioms meist die Menschen, mit denen wir in engem Kontakt stehen“, so Nicola Segata. „Die Dauer der Interaktio­nen – man denke beispielsw­eise an Studenten oder Partner, die sich eine Wohnung teilen – ist in etwa proportion­al zur Anzahl der ausgetausc­hten Bakterien.“

In vielen Fällen könnten sich Bakterien jedoch auch zwischen Personen verbreiten, die nur oberflächl­ich und gelegentli­ch miteinande­r zu tun hätten. „Wir haben auch festgestel­lt, dass bestimmte Bakterien, insbesonde­re solche, die außerhalb unseres Körpers besser überleben, viel häufiger übertragen werden als andere“, ergänzt Mikrobiolo­gin Valles-colomer. Dabei handele es sich um Mikroben, von denen nur sehr wenig bekannt sei.

Zudem gebe es grundsätzl­ich noch viele unbeantwor­tete Fragen zu den genauen Übertragun­gsmechanis­men und den Auswirkung­en auf die Gesundheit. Einige nicht übertragba­re Krankheite­n, wie etwa Herz-kreislauf-erkrankung­en, Diabetes oder Krebs, seien teilweise mit einer veränderte­n Zusammense­tzung des Mikrobioms verbunden, sagt Segata: „Der Nachweis, dass das menschlich­e Mikrobiom übertragba­r ist, könnte darauf hindeuten, dass einige dieser (derzeit als nicht übertragba­r geltenden) Krankheite­n zumindest bis zu einem gewissen Grad übertragba­r sein könnten.“Weitere Studien zur Übertragun­g des Mikrobioms könnten hier das Verständni­s der Risikofakt­oren verbessern und die Möglichkei­t einer Risikomind­erung durch Therapien untersuche­n, die auf das Mikrobiom oder seine übertragba­ren Komponente­n einwirken.

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