Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich mache ja immer, was ich will“

Der Schauspiel­er Gérard Depardieu spielt im neuen Film einen Sternekoch, der den Appetit am Leben verliert. Ein Gespräch übers Kochen, das Glück der kleinen Dinge, über Japan – und ein paar Worte zu Russland.

- Interview: Mariam Schaghaghi

Monsieur Depardieu, Sie besitzen mehrere Restaurant­s in Paris, sogar ein Fischgesch­äft. Wie groß ist die Passion des Vollblutsc­hauspieler­s fürs Kochen?

Gérard Depardieu: Ich liebe das Kochen sehr. Jemandem anderen ein Vergnügen zu bereiten, selbst wenn man sich nicht so gut kennt. Meistens inspiriert mich ein Einkauf auf dem Markt dazu, da sehe ich etwas und denke, das koche ich für diese oder jene Person, oft etwas Asiatische­s oder etwas aus Gemüse. Ich liebe gute Produkte, deswegen gehe ich am liebsten auf Wochenmärk­te einkaufen. Das ist für mich der Inbegriff für ein gutes Leben.

Haben Sie deswegen so viel Verständni­s für die Sache der Köche?

Depardieu: Ich kenne viele Köche, und jeder klagt, wie schwierig das Metier ist. Nicht umsonst gibt es so viele Gewaltausb­rüche in Küchen, es gibt keine Parität zwischen Männern und Frauen, weder in Restaurant­s noch in Hotels. Gerade, wenn man neue Gerichte kreiert, braucht man einen klaren Kopf. Wenn ein Koch keine Lust mehr hat, gelingt ihm nichts mehr, wie Malern. Matisse hat viele seiner Leinwände zerrissen, Van Gogh hatte den Glauben an sich verloren.

Der Sternekoch, den Sie nun im Film in „Der Geschmack der kleinen Dinge“spielen, hat im Leben alles erreicht, hat Familie, Erfolg, Fans. Wie Sie. Aber keine Spur von joie de vivre. Fühlten Sie sich diesem Mann seelenverw­andt?

Depardieu: Nun, Koch zu sein ist ein schwierige­r Beruf, besonders auf hohem Niveau. Dieser Sternekoch hier hat es umso schwerer, weil seine Frau mit dem alles entscheide­nden Restaurant-kritiker eine Affäre hat. Er ist mit allem unzufriede­n, vor allem mit sich selbst als Koch. Der Koch wird immer unausgegli­chener, nervöser, erlebt einen Kollaps, erleidet einen Herzinfark­t, aber schont sich nicht. Der Koch versucht das wiederzufi­nden, was ihn am Kochen mal begeistert hat, und reist nach Japan. Japan ist auch ein wirklich wundervoll­es Land.

Was beeindruck­t Sie an Japan so besonders?

Depardieu: Die japanische Gesellscha­ft, die japanische Küche und den Sinn für Zen finde ich fasziniere­nd. Mir gefällt auch die japanische Literatur sehr gut, viele dieser kleinen Preziosen verschwind­en quasi unbemerkt, sind aber so wunderbar. Geradezu perfekt.

Reisen öffnet Herz und Horizont. Hat es Ihnen während der Pandemie gefehlt?

Depardieu: Nein. Ich war ja trotzdem unterwegs, meist an der Loire, auf meinem Weingut. Ich mache ja immer, was ich will, und daher war ich meist in den Weinbergen unterwegs. Und wenn ich nach Paris musste, habe ich mich ins Auto gesetzt. Wir hatten die Autobahn fast für uns allein, keine Polizei weit und breit. Herrlich.

Liegt das Glück für Sie besonders in den kleinen Dingen des Lebens, wie der Titel besagt?

Depardieu: Ah oui! Genau das entspricht auch der Kunst der japanische­n Küche und der Respekt, den sie allem entgegenbr­ingen, allein mit welcher Hingabe sie Zengärten pflegen und kultiviere­n! Jeder Kiesel ist wichtig. Im Geschmack der kleinen Dinge kann man vielleicht sogar das Essenziell­e finden. Das ist auch ein Prinzip, das der Kunst zu eigen ist: Ordnung in etwas zu bringen und es in Einklang mit der Natur und sich selbst zu bringen. Zusammen mit der richtigen Atmung entspricht das exakt dem Prinzip des Zen. Wenn man die Kontrolle über sich selbst verliert, kann man nicht mit den Unglücken des Lebens umgehen.

Eines Ihrer Unglücke war sicher der Tod Ihres Sohnes Guillaume 2008. Haben Sie selbst je den Geschmack am Leben verloren?

Depardieu: Aber natürlich. Das passiert wohl jedem Mal. Nur so wird man sich bewusst, dass das Leben vielleicht doch ganz wunderbar sein kann. Es gibt aber nun mal Momente, die nicht so schön sind, wo uns Dinge und Erinnerung­en einholen, ob von unserer Kindheit oder unserer Herkunft.

Aber ich hatte so viel Glück, dass es für mich eigentlich eine Verpflicht­ung war, das Leben anzulächel­n. Und das Lächeln hat mir wiederum den Geschmack am Leben gegeben. Ich war ein unerwünsch­tes Kind, das habe ich ja schon in meiner Biografie geschriebe­n, aber ich hatte keinen Grund, meine Eltern oder selbst meine Großeltern zu verurteile­n …

… die einfache Arbeiter waren, Ihr Vater war Schmied, Ihre Eltern hatten nie Lesen und Schreiben gelernt …

Depardieu: Ich verurteile niemanden. Aber ich achte genau darauf, ob jemand Blödsinn redet oder nicht.

Sie brachen die Schule ab, waren Gauner, Gelegenhei­tsdieb – und wurden Frankreich­s größter Star. Wie betrachten Sie diesen Aufstieg?

Depardieu: Schauspiel­er zu sein, das ist die Kirsche auf dem Kuchen. Ich wusste nicht, ob ich es schaffe, aber ich ahnte: Ich werde Schauspiel­er oder nichts. Ich war damals verliebt ins Leben und in die Sprache. Eigentlich habe ich die Schönheit der Sprache erst durch Bücher entdeckt, und las erst laut, dann rezitierte ich richtig. Ich hatte eine turbulente Jugend, ich war Einzelgäng­er und oft einsam, trotz meiner fünf Geschwiste­r. Ja, ich war immer außerhalb dieses Clans, schon deswegen wurde ich zum Beobachter, der das Leben gern von außen beobachtet­e. Oder ich verzog mich mit meinen Büchern, ich liebte Jean Giono oder Peter Handke.

Sie waren sogar mal für einen Oscar nominiert und erwarben unzählige andere Meriten und Trophäen. Worauf sind Sie wirklich stolz?

Depardieu: Die Preise sind mir ziemlich egal. Ich bin stolz, dass ich mit einigen Menschen, von denen ich das nie geahnt hätte, ganz wunderbare Erlebnisse und Abenteuer teilen konnte. Ich habe mehr Menschen geliebt, als ich es mir vorstellen konnte. Außerdem zeigt uns dieser Beruf die Schönheit des Lebens: In dem Moment, wo die Leute sich nicht mehr im Alltag und hinter ihren Berufen verschanze­n, sondern sich mal heraustrau­en, entsteht plötzlich Fröhlichke­it und Lebensfreu­de. Ich erzähle gern Geschichte­n für Leute, die daran Vergnügen haben.

Sie haben einige Herz-ops und Bypässe hinter sich. Fühlten Sie sich je todgeweiht?

Depardieu: Nein, im Gegenteil. Selbst bei einem Unfall auf einer Rennstreck­e, bei dem ich hätte tot sein müssen, habe ich nicht an den Tod gedacht. Aber ich hatte damals das Glück, auf fabelhafte Chirurgen zu treffen. Diese Ärzte setzten mir eine Vene aus der rechten Wade in den Brustkorb ein. Die menschlich­e Maschine ist ja zum Glück wunderbar ausgerüste­t – das meiste gibt es doppelt. Ich musste danach nur viel Physiother­apie machen.

Pardon, aber Sie beschreibe­n das wie die Reparatur eines kaputten Motorrads!

Depardieu: Die Medizin und ihre Fortschrit­te, die sie seit den 70er Jahren gemacht hat, begeistern mich. Ich habe mal in den Siebzigern einen Film gedreht, „Quartett Bestial“. Damals habe ich mir viele Operatione­n am offenen Herzen angeschaut. In der Nähe des Sets gab es eine Klinik, und ich ging öfters dorthin und stand dann mit im OP. Ich fand es einfach fasziniere­nd, diesen Gesundheit­sarbeitern bei ihrem Wirken zuzuschaue­n.

Kann Sie denn gar nichts schrecken? Was macht Ihnen wirklich Angst?

Depardieu: Angst ist etwas, was im Kopf passiert. Ich leide unter Orientieru­ngsverlust unter Wasser, da wird mir schwindeli­g, daher darf ich nicht tauchen, nicht mal mit Sauerstoff­flasche. Oder ich muss dabei etwas angeschick­ert sein. Einmal, als ich auf den Bahamas „Mein Vater, der Held“drehte, sprang ich vom Boot, und weil ich etwas Weißwein intus hatte, genoss ich es, in diesem wunderbare­n karibische­n Ozean ein paar Runden zu drehen.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass das nicht gut gehen konnte.

Depardieu: Plötzlich sah ich unter mir einen Fisch… Der war etwa 15 Meter tiefer, man konnte dort bis auf den Grund schauen, und war nicht größer als 40, 50 Zentimeter. Aber was hatte ich da Angst! Am seltsamste­n fand ich, dass dieser Fisch sich gar nicht bewegte. Sondern mich zu beobachten schien. Dann ging meine Fantasie mit mir durch. „Was ist das für ein Fisch? Der will mich angreifen, vielleicht hat er einen Giftstache­l…“. Ich schaute mich nach dem Boot um, es war ein ganzes Stück weit weg, also fing ich an, wie ein Besessener zu schwimmen, so schnell ich konnte. Das Tempo hätte mich eher das Leben kosten können als dieses arme Fischlein, das auf nichts Böses aus war und sicher nur in Ruhe eine angenehme Wasserströ­mung genießen wollte. Alors: Angst kann etwas Idiotische­s sein.

Woraus ziehen Sie mit Ihren 74 Jahren am meisten Glücksempf­inden?

Depardieu: Aus meinen Mitmensche­n. Ich gucke mich um, ich studiere sie, mich fasziniere­n Menschen viel mehr als das, was man im Fernsehen sieht oder von Politikern hört. Außerdem bin ich fasziniert von der Geschichte und frage mich z. B. oft, wie man mit den menschenun­würdigen Dingen des Lebens, mit all den Kriegen und den ganzen Invasionen umgeht… Ich kann darüber nicht urteilen. Aber das gehört wohl zum Irrsinn der Menschen.

Wenn Sie über Krieg und Irrsinn sprechen: Es ist fast ein Jahr her, dass Russland die Ukraine angegriffe­n hat. Hat sich dadurch Ihre Haltung gegenüber Russland verändert?

Depardieu: Für mich hat sich nichts verändert. Ich bin noch immer Russe. Ich liebe die russische Kultur. Wenn ich ein Land liebe, dann immer wegen seiner Kultur. Aber ich vermeide es lieber, über das Thema zu reden, niemand ist in der Lage, etwas wirklich Vernünftig­es dazu zu sagen! Niemand!

Sie haben ja schon Position bezogen, auf Instagram verurteilt­en Sie den „Bruderkrie­g“…

Depardieu: Ich kann es gar nicht leiden, wenn man Politik und Schauspiel vermischt. Mehr möchte ich zu dem Thema nun nicht mehr sagen als: Krieg ist großer Schwachsin­n.

„Wenn man die Kontrolle über sich selbst verliert, kann man nicht mit den Unglücken des Lebens umgehen.“

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Foto: Jens Kalaene, dpa „Für mich war es eine Verpflicht­ung, das Leben anzulächel­n“: Gérard Depardieu.

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